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Zur
KRITIK UND GESCHICHTE
des
Französischen Rolandsliedes.
Von
A. Pakscher,
BERLIN.
Wcidmannsche Buchhandlung.
i885.
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7 MAY
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^
Meinem verehrten Lehrer
Herrn Prof Dr. Groeber
zugeeignet.
Einleitung.
Wer das französische Rolandslied in der ältesten uns er-
haltenen Gestalt, wie sie in der Oxforder Handschrift vorliegt,
im Zusammenhange liest, wird einen seltsam gemischten Ein-
druck erhalten. Zuerst wird ihn die Kraft der Darstellung der
»chanson« ergreifen, deren meist einfache, aber markige Sprache
sich nur selten zu pathetischem Schwünge erhebt; deren Cha-
raktere, grossartig concipirt, mit wenigen Zügen uns anschaulich
vorgeführt werden; deren Zweck, die Verherrlichung Rolands,
immer deutlich im Vordergrunde bleibt. Von diesen Teilen
gilt mit Recht, was Steinthal ') für das ganze Epos in Anspruch
nehmen wollte, dass es mit Homer und den Nibelungen ver-
glichen werden darf. Daneben aber finden sich Partieen, die
im schroffen Gegensatze zu jenen Teilen und namentlich zum
Anfang stehen. Statt des knappen Ausdrucks begegnen uns
stereotype Wendungen und erstarrte Formeln; dort kein Zu-
geständnifs an den Reim, hier sind Lückenbüfser, um den Vers
zu füllen, nicht selten, und der Reim wird oft durch erfundene
Namen hergestellt. An die Stelle des Individuellen ist das
Massenhafte getreten; ganze Strophen werden mit der Auf-
zählung von Truppenteilen gefüllt; unter der Menge ragt kein
Held hervor, der unsere Teilnahme gewönne; der grofse Karl
ist zum Schattenkönig geworden. Ueberall vermisst der auf-
merksame Leser den Flufs und die Durchsichtigkeit der Er-
zählung, welche ihn im ersten Teile gefesselt haben, so dafs
t) Zeitschrift für Völkerpsychologie V, 27.
— 2 -
sich ihm der Zweifel aufdrängt, ob er das Werk eines Dichters
vor sich habe.
Sieht er dann näher zu, so bemerkt er zahlreiche Wieder-
holungen von Erzähltem. Und zwar sind diese nicht etwa,
wie man vermuten könnte und gemeint hat, ein künstlerisches
Mittel, um den Effect zu steigern. An manchen Stellen thuen
sie diese Wirkung, wie z. B. wenn Olivier seine Bitte, Roland
möge Karl durch sein Hörn zu Hülfe rufen, immer dringender
ausspricht; aber daneben stehen andere, wo die zwecklose
Wiederholung von Reden dieselben verwässert und ihren Ein-
druck schwächt. Zugegeben selbst, wozu der Umstand zu
nötigen scheint, dass eine grosse Anzahl der französischen
Nationalepen solche Widerholungen enthält, dass sie zu einer
gewissen Zeit integrirende Eigenschaften der epischen Technik
gewesen seien, so wird doch die Vermutung nicht abzuweisen
sein, dass es vorher eine Stufe des Epos gegeben habe, die sie
nicht kannte, dass das Complicirte auch hier sich aus dem
Einfachen entwickelt habe.
Aber auch an Widersprüchen fehlt es nicht. Das Hörn
Rolands, das gespalten ist, als er es einem Heiden auf den
Kopf schlug, wird später von einem andern Heerführer ge-
blasen und es wird ausdrücklich gesagt, dass sein Ton lauter
erklang, als der aller übrigen Hörner. Als Roland hört, dass
er auf Ganelons Vorschlag den Nachtrab führen soll, ist er
anfangs voller Freude, um schon in der nächsten Strophe,
wenig seinem kampflustigen Charakter entsprechend, sich bitter
über Ganelon zu beklagen. Die Sachsen sind bald als Be-
rater des Königs den Franken und Baiern gleichgestellt, bald
zu fürchtende Feinde.
Solche Bedenken gegen den einen Verfasser waren bisher
nicht nur von Vielen empfunden, sondern auch von Manchen
geäufsert worden. Aber die meisten Schriften, die diesen
Gegenstand behandelten, haben aus dem Complex von Schwierig-
keiten nur eine ins Auge gefafst und daher auch höchstens für
diese eine Lösung gefunden, die sich aber mit den übrigen
Thjatsachen nicht zusammenreimen läfst. Eine Hypothese —
und auf mehr dürfen wir uns bei der Aufhellung so dunkler
Litteraturzustände nicht gefasst machen — wird aber um so
wahrscheinlicher, je mehr sie geeignet ist, auf viele Fragen
— 8 —
zugleich als Antwort zu dienen. Mein Gedanke war daher,
auf dem Grunde sämmtlicher überhaupt tauglicher Kriterien
die Geschichte des Rolandsliedes aufzubauen.
Unter diese sind zunächst die drei am Anfang erwähnten
zu rechnen, die man unter den Begriff: Verstöfse gegen die
Logik der Handlung zusammenfassen kann. Da es nicht an
Gelehrten fehlt, welche der Behauptung vieler anderer, das
Rolandslied mache nicht den Eindruck des Einheitlichen,
widersprechen, so darf man sich mit der Berufung auf die
psychologische Thatsache nicht begnügen, sondern es mufs
nachgewiesen werden, wo sich eine Lücke, wo ein neuer
Anfang mitten in der Erzählung findet, wo die Intentionen
eines ersten Dichters nicht fortgeführt sind oder Neues ein-
geführt wird, das er nicht beabsichtigt haben kann. Und was
die Wiederholungen anbetrifft, so werden die Gegner auf-
hören, sie als etwas Unbegreifliches hinzunehmen, sobald
eine natürliche Art ihrer Entstehung annehmbar gemacht
worden ist.
Aber es wird zugestanden, dass jedes dieser Kriterien für
sich keine zu hohe Beweiskraft besitzt. Denn es ist immerhin
möglich, dass ein Dichter durch Unaufmerksamkeit sich ein-
zelne Widersprüche hat zu Schulden kommen lassen und
dass er, wenn mehrere Jahre zwischen den Teilen seines
Werkes liegen, frühere Intentionen aufgegeben hat. Als ein
Beispiel für den letzteren Fall könnte man den Goetheschen
Faust citiren. Es würde jedoch der Werth dieser Kriterien
bedeutend wachsen, wenn sie sich combiniren, wenn sich also
ergäbe, dass Strophen, die bereits Erzähltes wiederholen, zu-
gleich auch Widersprüche enthalten u. s. f. Und ferner sind
Erscheinungen, wie sie der »Faust« zeigt, doch nur Ausnahme-
fälle und was nötigt uns, für das Rolandslied einen solchen
anzunehmen? Was kann uns überhaupt veranlassen, daran fest-
zuhalten, dass es von einem Dichter herrühre? Etwa die
handschriftliche Ueberlieferung? Grade diese nicht.
Vielmehr ist sie ein neues und gewichtiges Kriterium
gegen die Einheit des Rolandsliedes. Da dieses in mehreren
bedeutend von einander abweichenden französischen Fassungen
auf uns gekommen ist, so haben wir uns für eine von den-
selben als die ursprüngliche zu entscheiden. Wie man aus
— 4 —
dem ersten Capitel ersehn wird, ist dies nicht anders möglich
als durch Hinzunahme der Versionen in fremden Sprachen.
Sie, die zum Teil wieder ganz andre Gestaltungen des Ge-
dichtes bieten, waren lange vernachlässigt worden, indem man
ihre Abweichungen kurzweg auf Verkürzungen der Bearbeiter
zurückführte, bis Gaston Paris dieser Auffassung ein Ende
machte und besonders von dem Carmen de proditione Ganelanis
nachwies, dafs demselben eine consequentere und widerspruchs-
freiere Erzählung zu Grunde liegt als die uns in irgend einer
französischen Handschrift erhaltene. Ich glaube, jedem Vor-
urteilslosen müssen die Darlegungen von Paris einleuchten
und dann haben wir ja schon (mindestens) zwei Dichter: einen,
von dem die Vorlage des Carmen herrührt, und einen andern,
der dieser die Form gab, welche die französischen Texte
gegenwärtig bieten.
Hier stehen wir also auf festem Boden und es handelt sich
darum, die einzelnen von einander abweichenden Züge der
verschiedenen Versionen mit einander zu vergleichen, um ihr
gegenseitiges Verhältnis festzustellen. Paris sagt darüber ') :
la comparaison doit porter non sur Fensemble des diverses
formes du recit, mais sur chaeun des traits qui les composent.
Le travail auquel on doit les soumettre est fort semblable k
celui par lequel on £tablit la Classification de manuscrits d'äge
diffe'rent remontant par des interme'diaires perdus k un original
egalement perdu.
Sobald dies geschehen, würden wir der Lösung der Auf-
gabe, jedem Verfasser das Seine zuzuteilen, nahe sein, wenn
nur die Natur der ausländischen Ueberlieferungen diesem Unter-
nehmen günstiger wäre. Aber, obwohl sie nichts Wesentliches
auslassen, sind sie doch im Ganzen kürzer zusammengefafst
und lassen uns daher häufig bei der Entscheidung über die
Zugehörigkeit der einzelnen Strophen im Stiche. Wir müssen
uns daher noch nach andern Hülfsmitteln umsehen.
Ein solches scheint uns die Metrik darbieten zu können.
Es ist, um nur Eines anzuführen, schon oft hervorgehoben
worden, dafs sich im Rolandsliede neben einer Reihe von
Strophen, die ausschliefslich in ant reimen, solche befinden,
') Romania XI, 484.
— 5 —
welche ent und ant am Versende mischen. Es liegt nahe zu
vermuten, dafs diese beiden Gattungen von verschiedenen Ver-
fassern herrühren. Allein versucht man diese Scheidung vor-
zunehmen, so ergiebt sich kein reinliches Resultat. Denn es
wechseln Strophen ohne Mischung des Reims mit solchen,
welche Mischung zeigen, oft in demselben Stück ab, dessen
Einheitlichkeit sonst auf keine andre Weise zu verdächtigen ist.
Es ist also die Frage, ob sich der Dichter nicht zeitweise
gewisse Freiheiten in Bezug auf den Reim erlaubt hat. Ferner
sind wir, soviel mir bekannt ist, noch nicht im Stande, die
Gegenden, in denen en und an im Mittelalter lautlich geschieden
waren, von den andern sicher abzugrenzen. Schliesslich findet
sich die erwähnte Erscheinung auch in andern Gedichten, als
im Rolandsliede, sie müfste also erst durch eine umfassende
Spezialuntersuchung ') klar gestellt sein, ehe wir sie als Kriterium
benützen können.
Dagegen habe ich mit Erfolg den bekannten sprachlichen
Unterschied zwischen volkstümlichen und gelehrten Wörtern
des Französischen für meine litterarhistorische Untersuchung
verwandt. Sollte diese Methode, zu der bisher nur ein ganz
schwacher Anlauf genommen worden war, Beifall finden, so
wäre damit nicht nur ein neues Hülfsmittel zur Feststellung
von Interpolationen gewonnen, sondern, wenn es gelänge, was
mir nicht ausgeschlossen scheint, die Einführung bestimmter
gelehrter Wörter chronologisch genau zu fixiren, so könnte ihr
Vorkommen allein zur Datierung eines litterarischen Denkmals
ausreichen.
Schliefslich ist der Umstand verwerthet worden, dafs Teile
des Gedichts ziemlich genau mit der historischen Ueberlieferung
übereinstimmen, während in andern das sagenhafte Element
überwiegt. Wird man aber in den letzteren unzweifelhaft
spätere Zusätze erblicken, so ist zu vermuten, dafs, wo die
Erzählung sich in ihrer ursprünglichen Reinheit erhalten hat,
ihr nicht blos mündliche Berichte, sondern ein älteres Lied zu
Grunde liege.
} ) Den Anfang zu einer solchen hat die bekannte Arbeit von P. Meyer (Mem.
de la soci£t6 de ling. tome I) gemacht; Mebes' Aufsatz »Die Nasalität im Alt-
französischen« Jahrb. XIV hat die Frage wenig gefördert; auf das Rambeausche
Buch komme ich später zu sprechen.
— 6 —
So haben alle die erwähnten Erwägungen zusammen-
genommen mich zu folgender Ansicht geführt:
Wie das französische Rolandslied in mehreren von
einander bedeutend abweichenden Fassungen erhalten
ist, von denen die einen augenscheinlich durch Zusätze
aus der anderen entstanden sind, so ist diese älteste
erhaltene Gestalt selbst wieder das Produkt aus einem
Original, das ins neunte Jahrhundert hinaufreicht, und
zahlreichen Interpolationen, die zwar nicht mehr aus-
geschieden werden können, aber teilweise als solche
noch deutlich zu erkennen sind.
Dieses Resultat ist nun kein alleinstehendes, sondern Prof.
Gröber ist in seiner Untersuchung über ein andres französisches
Epos 1 ) zu einem ganz ähnlichen gelangt. Demnach ist man
berechtigt, die übliche Darstellung der Litteraturgeschichte, als
ob das französische Epos erst am Ende des elften Jahrhunderts
aus mündlichen Traditionen entstanden sei, dahin zu corrigiren,
dafs die eigentliche Blüte des Volksgesangs in das neunte und
zehnte Jahrhundert fällt, dafs aber derselbe erst im Zeitalter
der Kreuzzüge von denen, die damals allein des Schreibens
gewohnt waren, den Geistlichen, aufgezeichnet wurde. Sie
wurden dazu veranlagst durch das religiöse Interesse, die beim
Volke beliebten Helden als fromme Ritter, ja als Märtyrer, die
von ihnen geführten Kriege als Kämpfe für den Glauben er-
scheinen zu lassen, und sie nahmen zu diesem Zwecke nicht
unbedeutende Aenderungen, besonders in den charakterisirenden
Reden, vor. Jch glaube diesen culturhistorisch interessanten
Umstand aus der Art der Verteilung der gelehrten Wörter
bestimmt nachgewiesen zu haben.
Die Gruppirung des Stoffes bot bedeutende Schwierigkeiten.
Hätte ich bei einer verdächtigen Strophe Alles, was gegen ihr
Alter spricht, an derselben Stelle angeführt, so wäre dadurch
die Triftigkeit meiner Ansicht augenfälliger geworden, aber ich
hätte mir dadurch eine fortlaufende Darstellung unmöglich und
zahlreiche Widerholungen notwendig gemacht. Ebenfalls mit
Rücksicht auf die Uebersichtlichkeit habe ich die Erörterung
mancher Einzelheiten, welche den Umfang des Buches be-
') Gröber, die handschriftlichen Gestaltungen der Geste de Fierabras.
-^ 7 —
deutend vergröfsert hätten, aber für den Grundgedanken ohne
Bedeutung sind, unterlassen und einen Punkt, der eine solche
Entwicklung des Details erforderte, in einem besonderen Excurse
behandelt.
Schliesslich habe ich noch der Schriften zu gedenken,
aus denen ich besonders reiche Belehrung geschöpft habe.
Es sind:
Gautier, Les Epopees fran^aises.
Graevel, Die Charakteristik der Personen im Rolandsliede.
Groeber, Die handschriftlichen Gestaltungen der geste de
Fierabras.
P. Meyer, Recherches sur Te'pope'e fr. du moyen äge.
G. Paris, Histoire poetique de Charlemagne.
Rosenberg, Rolandskvadet et normannisk Heltegedigt.
Steinthal, Das Epos, Zeitschr. f. Völkerpsychologie V, ifF.
Tobler, Ueber das volkstümliche Epos der Franzosen, Zeitschr.
f. Völkerpsychologie IV, 139 fr.
In Bezug auf die übrigen von mir benutzten Bücher ver-
weise ich auf die kleine Schrift von Bauquier, la bibliographie
de la chanson de Roland, Heilbronn 1877; seitdem erschienene
Abhandlungen sind in den Anmerkungen citiert. Pio Rayna,
Le origini delT epopea francese und Kristoffer Nyrop, Den
oldfranske Heltedigtning sind mir zu spät bekannt geworden,
als dafs ich sie hätte für meine Arbeit verwerten können.
Für mündliche Ratschläge und Hinweise bin ich den
Herren Professoren Gröber, Martin und SchefFer-Boichorst,
sowie meinem Freunde Dr. J. Bernays zu wärmstem Danke
verpflichtet.
I. Das Verhältnis der französischen Hand-
schriften zu einander und zu den ausländischen
Ueberlieferungen.
Das französische Rolandslied ist uns in 8 Handschriften
erhalten, aufserdem sind von wichtigeren Bearbeitungen des-
selben 2 lateinische, 3 deutsche, 2 nordische, schliefslich 4 Frag-
mente und ein Volksbuch in holländischer Sprache zu nennen.
Ueber das Verhältnis dieser Ueberlieferungen zu einander hat
man sich bisher noch nicht einigen können. Daher bin ich
genötigt, die in dieser Beziehung aufgestellten Ansichten einzeln
vorzuführen und zu prüfen.
1. Unter den Herausgebern hat sich zunächst Gautier
mehrfach bemüht, die Verzweigung der französischen Hand-
schriften klarzulegen, aber man kann nicht sagen, dafs es ihm
gelungen sei. In seiner grofsen Ausgabe vom Jahre 1872 (Ein-
leitung XLIIff,) bezeichnet er das Verhältnis folgendermafsen:
Alle Hs. teilen sich in zwei Klassen. Den ursprünglichen Text
stellen die Oxforder (O) 1 ) und die ältere Venezianer (V) vor,
einen überarbeiteten [texte remanie) die 6 andern Hs.: die
Pariser (P), Lyoner (L), Cambridger (C), die Lothringer Frag-
mente (Lth), die Versailler (Vs) und die jüngere Venezianer (Vz).
Also:
Rem
)) Ich behalte die Müllerschen Bezeichnungen als die bekannteste n bei.
— 9 -
Aber Gautier ist seinem Schema selber nicht treu geblieben.
Wollte er seine Ansicht, dafs Alles, was V und die Reraanie-
ments bieten, im Original gestanden hat, praktisch durch-
führen, so hätte er noch weit mehr Strophen aus V in seinen
Text aufnehmenmüs sen, als er schon gethan hat. Ferner hat
er die ausländischen Redaktionen nicht systematisch verwertet
und über das allerdings sehr schwierige Verhältnis von O und
V ist er sich vollends nicht klar geworden. Immer von Neuem
zu bessern bemüht, sucht er in der 8. Auflage sein eignes
System mit den späteren von Förster und Rambeau zu ver-
schmelzen. Dabei kommt er dann zu Folgerungen wie die
(S. 399): Quand une le^on nous sera fournie a la fois par
Venise IV (V) et par Vtm des nos remaniements, nous Tadop-
terons de prefe'rence ä celle que nous offre le manuscrit d'Ox-
ford. Obwohl er also wesentlich eklektisch verfährt, hat er
doch häufig, sozusagen unbewufst, das Richtige getroffen und
Strophen in seinen Text aufgenommen, die nicht nur für .den
Zusammenhang durchaus erforderlich sind, sondern sich auch
auf andere Weise als ursprünglich dokumentiren.
2. Förster hat in der Besprechung der Müllerschen Aus-
gabe 1 ) einen dem Gautiers in mancher Beziehung ähnlichen
nämlich folgenden Stammbaum aufgestellt:
Original
«
a
tt
11
o
ß
p
VsVz
ß"
r
PLthL
Man sieht zunächst nicht ein, was F. veranlafst, V für un-
abhängig von ß zu erklären. Dagegen sprechen u. a. folgende
gewichtige Gründe:
>) Zeitschrift für roman. Philol. II, 160 ff.
— 10 —
t
Wie will F. bei obiger Ansicht die Üebereinstimmung
vieler Namen und ganzer Verse zwischen V einerseits und Vs,
resp. Vz erklären? z. B. O bietet V. io3ff.
Li empereres est en un grant vergier
Ensembr od lui Rollans e Oliviers,
Sanses li ducs e Anseis li fiers
Gefreiz d'Anjou, le rei gunfanuniers
E si i furent e Gerins e Geriers
V dagegen anstatt der beiden letzten Verse
Gui de gaschogna Nantehnes e Garner
(^ufrai dagor il lor confaloner
Vs Gui de Guascogne et Anseume et Garner
Jofroi d'Aniou qi ert conflenover
Vz Gui de Gascogne Antelme e Garner
Jofroi d'Anioy qi ert gonfanonier
Das den angeführten Hs. aufser O Gemeinsame hat wahr-
scheinlich nicht im Original gestanden, denn es handelt sich
hier um die 12 Pairs Karls des Grofsen und zu diesen ge-
hören Antelme und Garnier nicht, falls der Letztere nicht blos
eine Entstellung aus Geriers ist. Auch der Grund warum
Antelme von einem späteren Ueberarbeiter hier eingeführt ist,
läfst sich angeben. Er ist wahrscheinlich identisch mit Antelme
de Maience, welcher im zweiten, wie ich zeigen werde,
jüngeren Theile des Rol. als einer der nächsten Begleiter
Karls vorkommt (V. 3oo8), während er im ersten garnicht ge-
nannt wird. Die Quelle von V hat diesen Mangel gut machen
wollen.
Ein anderes Beispiel. An Stelle des einen Verses
in O 722 Par tel air Fat trussee e brandie
hat V 653 Par tel force la croleit et brandie
Chentro ses pung loit frait et brisee
Vs T 62 par tel vertu la crolee et brandie
quentre sez poinz li est fraite et brisie.
Aehnlich Vz. Auch hier ist die Lesart von O (trussee) für
die ursprüngliche zu halten, grade weil sie ein ungewöhnliches
Wort giebt und dafs bei der Abweichung alle Hs. dasselbe
Wort bieten, ist schon bezeichnend für ihre Abhängigkeit von
derselben Grundlage. Noch mehr der ganze Vers, den sie
mehr als O und in völlig übereinstimmendem Wortlaut haben,
— 11 —
und der gleichfalls unursprünglich scheint, weil das dem par
tel dir entsprechende Glied im folgenden Verse (bei O V. 723)
ausgedrückt ist, also doppelt ausgedrückt wäre.
Ein drittes Beispiel bietet gleich die folgende Strophe und
mit diesem will ich es dann genug sein lassen. Es handelt
sich um einen Traum Karls des Grofsen; O hat V 728
Devers Ardene vit venir un leupart,
V, Vs und Vz dagegen devers Espaigne.
Die Bemerkung Müllers (S. 67) «die Lesart der Rec. ß l )
devers Espaigne beruht auf einem Misverständnis« ist voll-
kommen richtig. Man braucht blofs V. 2558 zu vergleichen,
wo derselbe Traum erzählt wird und wo auch die andern Hs.
devers Ardene haben.
Ferner aber: wie will Förster erklären, dafs V sowohl, als
P, Vs und Vz nicht nur eine grofse Anzahl von Strophen ent-
halten, die nicht in O stehen, sondern dafs, soviel ich sehe,
alle Strophen von V mit geringen Ausnahmen in P, Vs, Vz
sich finden und meistens in derselben Reihenfolge? Um dies
deutlich zu machen, führe ich absichtlich einen der schwie-
rigsten Abschnitte vor, der aber auch für die Erkenntnis des
ganzen Zusammenhanges einer der wichtigsten ist, auf den ich
noch wiederholt werde zurückkommen müssen. Es entsprechen
einander folgende Verse und Tiraden:
V
P
Vs
i3g6 — 141 1
i3io — 22 |
1412 — 1437
i323 — 46 J
1347—57 \
T
i3o
T
i5o — i52
i358—74
T
i3i, i32
T
1 53, 154
1438 — 1448
1375—81
T
i33
T
i55
i382 — 92
T
134
T
i56
i3g3 — 1402I
1403 — 1420/
T
i35
T
i5 7 »)
r /
T
i36
T
157
144g — 1466
1421 — 39
T
T
i38
i3 9
l ) Was diese Bezeichnung bedeutet, darüber 8. den Mülle rechen Stammbaum.
») bis V Vers 1409.
— 12 —
V
P
Vs
1467 — 82
1440 — 5i
T 140
1453 — 64
T 141
T i58
1465—82
T 142
T i5g
1483—97
T 143
T 160
Die Uebereinstimmung von V mit den jüngeren Hs. ist
evident. In einem so kleinen Abschnitte haben V und P neun,
V und Vs acht Strophen gemeinsam, die nicht in O stehen.
Darf man nun annehmen, dafs diese Plusstrophen dem Ori-
ginal 1 ) angehörten? Müller (3. Aufl. S. 137) hält dies bei den
drei hinter O 1437 eingeschobenen (=T 120— 122 (Gautier) für
wahrscheinlich und auch ich schliefse mich seiner Ansicht mit
Rücksicht darauf an, dafs dieselben durch die altnordische Be-
arbeitung gestützt werden. Dies gilt aber z. B. - nicht von den
beiden zunächst hinter O 1482 folgenden Tiraden (=T 128
und 12g Gautier) und ihr ganzer Charakter läfst sie als spätere
Zusätze erscheinen. Da aber diese trotzdem in P, Vs (und Vz)
mit V fast Zeile für Zeile übereinstimmen, so müssen diese
sämmtlich auf eine gemeinsame Quelle zurückgehen, die nicht
das Original ist.
Noch beweiskräftiger ist die Uebereinsimmung eines ganzen
grofsen Abschnittes, der das Ende der Dichtung bildet: von
V 441g bis 6012 ist Strophe für Strophe vonP und Vs wieder-
gegeben. Hier handelt es sich nicht um Erweiterung von
Schilderungen, Hinzufügung von Reden, sondern es werden
neue Thatsachen erzählt und die Erzählung des Originals um-
geformt. Da es aufser Frage ist, dafs diejenige Version von
Aldas Tod, die der Oxforder Text und übereinstimmend damit
Konrad giebt, die ältere ist, wie konnten Vs, Vz und P zu
ihrer genau V entsprechenden Erzählung gelangen, wenn sie
nicht V oder deren Quelle vor sich hatten? Das Erstere wird
dadurch ausgeschlossen, dafs V Tiraden ausgelassen hat, die
dem Original gehören (z. B. O. T. 11 und 12), während Vs,
Vz und P sie enthalten; folglich wird die Annahme, von der
wir unten sehen werden, dafs sie Müller eigenthümlich ist,
dafs nämlich die Gruppe der jüngeren Hs. mit V auf dieselbe
l ) Hier immer im Försterschen Sinne ; ieh bezeichne diese Stufen der Ent-
wicklung später mit y.
— 13 —
Quelle zurückgeht, wie mir scheint, in allen Punkten be-
wiesen.
Vielleicht vermag Förster diese Ausführungen tu wider-
legen und, im Gegensatz zu denselben, nachzuweisen, dafs
wirklich alles V und den jüngeren Hs. Gemeinsame in dem
zu rekonstruierenden Originale gestanden haben müsse. Wird
er aber soweit gehn, was doch dann unausweichlich wäre, in
dasselbe den ganzen Abschnitt V 4419 bis 6012 aufzunehmen?
Ich glaube kaum. Jedenfalls bin ich nur seinem Wunsche
nachgekommen, 1 ) indem ich grade bei dem Verhältnis von V
zu den übrigen Hs. so ausführlich verweilte, da ich voll-
kommen seine Ansicht teile, dafs dieser Punkt für die ganze
Rolandkritik von hoher Bedeutung ist.
3. Wir kommen nun zu einem Buche, an dem ich Fleifs
und Gründlichkeit anerkenne, aber mit dessen Grundgedanken
ich mich nicht einverstanden erklären kann. Ich spreche von
Rambeau, die als echt nachweisbaren Assonanzen des Oxforder
Textes der chanson de Roland, Halle 1878. R. hat die richtige
Einsicht, dafs O das handschriftlich zu erschliefsende Original
nicht unverfälscht darstellt und dafs zur Wiederherstellung
desselben die übrigen Hs. herangezogen werden müssen, aber
sein Verfahren ist recht unzweckmäfsig. Er geht nämlich von
den Assonanzen aus. Zeigen diese in O eine Mischung solcher
Vokale, von denen R. glaubt, dafs sie einst lautlich verschieden
waren und sind die fehlerhaften Verse durch die übrigen Hs.
nicht gestützt, so — haben diese Verse nicht im Original gestanden.
Dieser Schlufs setzt voraus, dafs die jüngeren Hs. die im Ori-
ginal stehenden Assonanzen getreulich wiedergeben — und
grade das Gegentheil ist der Fall.
Jede Hs. nimmt eine eingehendere oder oberflächliche
Bearbeitung ihrer Vorlage vor, deren Veranlassung grade die
Assonanzen sind. Schon V sucht dieselben an verschiedenen
Stellen, wenn auch nur für das Auge, durch den Reim zu
ersetzen, Vs, Vz, P etc. haben ihn überall durchgeführt. Aber
diese gröfsere Reinheit der Form wird nur ermöglicht durch
Umstellung, durch Flickwörter, Zerdehnung der Zeilen; und
selbst, auf die Gefahr hin den Sinn zu stören, durch völlige
!■« —
a. a. O.
— 14 —
Auslassung derselben. Man vergleiche z. B. was V 5o3 — 7 an
die Stelle setzt von O 585—87, V 490 — 97 von O 596—602,
V 644—48 von 714—16.
In Vs giebt T 41 die T 35 der Hs. O ziemlich getreu
wieder, nur mult estes bele e clere wird durch belle est
(lies es) et ben letree; ja ne V dirat de France remperere
durch ne dira hon en France la loee ersetzt. Hier ist doch
gar kein Zweifel möglich, dafs clere und etnperere dem
Reime weichen mufsten, Ebenso wurden in der folgenden
Tirade für die Assonanz unanstöfsige Wörterwie ferir, suffrir,
oder wie Sarrazin, sabelm, denn in war damals noch nicht
im heutigen Sinne nasal, entfernt, weil sie dem Reime nicht
gemäfs waren. Also bieten die jüngeren französischen Hs.
grade für Feststellung der Assonanzen den geringsten Anhalt.
Da nun Rambeau auf die Art, wie diese von den einzelnen
Ms. gestützt werden, sein Handschriftenverhältnis aufbaut, so
mufs auch dieses grofse Fehler haben. Er nimmt »fünf resp.
vier« von einander verschiedene Redactionen an, deren eine
die Oxforder und ältere Venezianer darstellen, die zweite die
6 übrigen französischen Hs., die dritte die altnordischen Bear-
beitungen, die vierte die deutschen des Pfaffen Konrad, des
Strickers und Karlmeinet und die fünfte die holländischen
Fragmente, falls nicht die beiden letzteren auf eine besondere
Quelle zurückgehen.
CpLik)^
Einen der wesentlichsten Punkte, die Unabhängigkeit der
Familie ß von «, habe ich schon oben zu widerlegen gesucht,
auf andere komme ich bei der Besprechung des MüUerschen
Stammbaumes zurück. Ein Vorzug der Rschen Aufstellung ist,
dafs hier die altnordischen und die holländische Bearbeitung
herangezogen sind und deren Stellung richtiger, als von Müller
- 15 —
erkannt ist. Dagegen hat mich die Art, wie er die holländischen
Frg. behandelt, nicht befriedigt. Er polemisirt (S. i5) in ziem-
lich scharfer Weise gegen die Ansicht von G. Paris, dafs die
Frgm. L und H dem Oxforder Text folgen, R und B den
jüngeren Texten zu folgen scheinen, und gegen die Gautiers,
der ungefähr dasselbe, aber ohne die lobenswerthe Reserve
von G. Paris vorbringt. Dagegen sind Rambeaus eigene An-
gaben so unbestimmt, dafs Niemand sich aus ihnen ein Bild
von dem wahren Verhältnis der Frgm. zu einander machen
kann. Man wird ihnen schwerlich entnehmen, dafs wo über-
haupt mit einander korrespondierende Stellen der Frgm. erhalten
sind, dieselben fast wörtlich übereinstimmen, so dafs sie zweifel-
los nur von einander oder aus einer gemeinsamen Quelle ab-
geschrieben sein können.
Merkwürdiger ist noch, auf welche Gründe hin R. eine
Verwandtschaft zwischen Kr. und den holl. Frg. annehmen
will. Weil Kr. das französische dantes ü sunt amies (O 957)
durch minnoten in thie frouwen und hV durch beminden hem
die vrouwen übersetzt! Ja, konnten sie den Sinn des fran-
zösischen amie überhaupt anders wiedergeben? Oder dafs sie
in einer so gewöhnlichen Wendung wie er fuar von score ze
scare übereinstimmen oder schliefslich in einem so aufser-
ordentlich seltenen Flickwort wie kant Der letzte Fall, den
R. unter den scheinbaren Widersprüchen anführt, enthält
einen wirklichen Widerspruch gegen sein ganzes System, Alles
nur auf Assonanzen zu basieren. Es handelt sich um die Verse:
860/61. Li niez Marsilie il est venuz avant
Sur un mulet od un bastun tuchant.
R. sagt richtig, dafs die jüngeren Hs. zum Teil das tuchant
aufgegeben haben, weil ihnen die Bedeutung desselben nicht
klar war. Nun ist doch die Art, wie Vs, Kr und Frgm. die
Lücke ausfüllen, höchst auffallend, nämlich Vs durch en sa
mant (main) Kr durch an there hont, hV durch in sijnder
hant, und R. müfste, wollte er seinem sonstigen Verfahren
treu bleiben, unbedingt schliefsen: folglich sind Kr. und hV
von Vs abhängig. Das thut er aber verständiger Weise nicht,
sondern erklärt hant für ein unabhängig gewähltes Flickwort.
Nun derselbe Vorgang ist verhältnifsmäfsig häufig passiert; an
nichtssagenden Wendungen — nicht blofs im Reim, sind Kr und
— 16 —
die holl. Bearbeitungen überreich und es ist daher kein Wunder,
wenn sie hier und dort mit einander in denselben übereinstimmen.
Aber man mufs doch auch die Gegeninstanzen fragen.
Wenn die holl. Frgm. Kr vor sich hatten — der umgekehrte
Fall ist aus verschiedenen Gründen sehr unwahrscheinlich —
wie kommt es, dafs sie alle Zusätze Konrads, nachdem sie
dieselben mit übernatürlichem Scharfsinn als solche erkannt
hatten, bei Seite gelassen, trotzdem sie die kirchliche Tendenz
mit ihm teilen? Wie kommt es, dafs sie von seinen Reimen
so wenig Gebrauch machen? Setzen sie einen besonderen Stolz
darin, ihre Unabhängigkeit zu wahren?
Das ausgearbeitetste Schema zeigt die 3. Auflage der
Müllerschen Ausgabe (1878) und ich kann mich nicht früher
entschliefsen, meine Ausstellungen, die ich auch gegen dieses
zu machen habe, vorzubringen, bevor ich meiner Hochachtung
vor dieser eminenten Leistung Ausdruck gegeben habe. Wären
Mü. manche Untersuchungen der letzten Jahre bekannt ge-
wesen, so hätte er gewifs auch die wenigen Irrtümer ver-
bessert. In nachfolgendem Stammbaum, den ich der Vorrede
der erwähnten Edition entnehme, habe ich manche der vielen
Mittelstufen, die Mü. annimmt, bei Seite gelassen. Die Frage
der Mittelstufen bedürfte überhaupt einer besonderen Erörte-
rung, scheint mir jedoch von geringerer Bedeutung und kann
erst dann zu befriedigenden Resultaten führen, wenn man sich
über die übrigen geeinigt haben wird.
VI v**
— 17 —
Das Verhältnis der beiden wichtigsten Hs. O und V ist
äufserlich richtig dargestellt, aber der graduelle Unterschied,
in welchem sie zum Original stehen, doch nicht präcisirt
Es scheint mir hier eine Bemerkung allgemeiner Art not-
wendig. Wenn ich mich nicht täusche, hat man bisher einen
Punkt von höchster Wichtigkeit nicht genügend beachtet, näm-
lich, dafs wir es beim Roland nicht, wie gewöhnlich, mit einer
blofsen Handschriftenfrage zu thun haben. Stellt man die
Frage so, welche Handschriften sind von einander oder aus
gemeinsamen Quellen abgeschrieben, so wird wenig dabei
herauskommen.
Zwar spricht Müller an verschiedenen Stellen von einem
Ueberarbeiter, aber damit meint er nur, wie z. B. Seite 418
ergiebt, einen Schreiber, der hier und da einige Zeilen einge-
schoben hat, und Rambeau gebraucht den Ausdruck Redactionen,
aber man weifs nicht welchen Begriff er damit verbindet, da er
O und V als zu einer Redaction gehörig ansieht. Es handelt
sich aber darum zu zeigen, dafs neben Abschriften, in denen
unbedeutendere Abweichungen vorkommen, wie man sie wohl
einem Schreiber zutrauen darf, planmäfsige, auf das Ganze der
Anlage gehende Erweiterungen stattgefunden haben. Um zur
Erkenntnis des wahren Sachverhalts zu gelangen, ist es daher
notwendig, jede Hs. zu charakterisieren, ob sie Abschrift oder
das Resultat einer geringeren oder gröfseren Umarbeitung sei.
Zunächst ist es offenbar, dafs das Verhältnis zwischen Vs
und Vz ein ganz anderes ist, als das zwischen O und V. Die
ersteren stimmen, wie man aus dem sehr geschickten Abdruck
Försters leicht ersieht, im gröfsten Theile des Textes und be-
sonders fast stets in den Reimwörtern überein. An diesen
bietet z. B.
Vs T 220 repaire, braire, retraire, aire, maire, doiaire,
aire, uiaire, maire, faire, contraire, Daire
Vz T 214 hat alle diese, nur einen Vers mehr.
P dagegen (T 2o5) repaire, graisles, perde, nouvelle, terre,
adverse, iestre, pesme, honestes, testes.
O T i5g repaire, glaisles, perte, nuvelet; tere, helmes,
estre, pesme, faire.
Man sieht, die Assonanzwörter in P stehen denen in O
sehr nahe , während Vs und Vz , die die Mischung ai : e be-
2
— 18 —
seitigt und reinen Reim eingeführt haben, ausschließlich ge-
meinsame Reimwörter haben. Der Vers, den Vz mehr auf-
weist als Vs, gehört in seinem ersten Teile (per du arons tote
Espegne) auch P und O an, folglich ist Vz nicht aus Vs ab-
geschrieben.
Aber auch das Umgekehrte findet nicht statt, da Vs öfter
eine ursprünglichere Lesart als Vz bewahrt hat (z. B. 39,14;
49,8; 54,6; 62,2 etc.).
In Vs T 222 (Vz T 21 6) haben diese wieder eine grofse
Aehnlichkeit mit V, während P bedeutend abweicht. Sie beginnt
Vs Li cons. R. quant il les uit venir
tant se fait fier eil le puisse garir
que le profete fist del pais or issir
le cons fut mot de merueillos air
ainz i mosra qi lor ueille fuir
sist el cheval con cleme Velantir.
V 2267 Li cont Rollant quant eli vit venirs
tant se fait pro«; et tant sefa ardis
cum fait el leons quant e mal talentis
anci li tnuroü que il uaü fitirs
seit il fiuals cum clama ualianäs.
P T 207 Li dus Rollans oit son oncle venir
tant par est fiers et de si grant air
miex weult morir que il deignast fuir
ses esperons fist au cheval sentir.
Folglich sind Vs und Vz auch nicht aus P abgeschrieben
oder überhaupt aus dieser Handschrift direct hervorgegangen.
Da wir jedoch bald sehen werden, dafs sie trotzdem mit P
viel Gemeinsames haben, so war die Umarbeitung, welche aus
der mit P gemeinschaftlichen Vorlage ihre Quelle (v) hervor-
brachte, eine nicht tief einschneidende. Sollte man darauf
bestehen, einen Mann, der eine solche vornimmt, noch einen
Schreiber zu nennen, so habe ich nichts dagegen; der Name
thut nichts zur Sache, es kommt nur darauf an, dafs man sich
von seiner Thätigkeit ein deutliches Bild mache.
Ebenso besteht zwischen P, Lth und L ein näheres Ver-
hältnis. Zahlreiche Beispiele führt Müller zu den betreffenden
Stellen an (s. bes. 1292, 1428, 3329 — ^4). * m Einzelnen ihr
Verhältnis unter einander und das von C, das für sich zu stehen
— 19 —
scheint, zu ihnen zu erörtern, unterlasse ich, denn es ist schwierig,
wenn auch nicht unmöglich, so lange keine vollständigen, sorg-
fältigen Ausgaben von ihnen vorliegen. Hoffentlich läfst die
angekündigte Edition von Förster nicht lange auf sich warten.
Für beachtenswert halte ich aber Folgendes: Die beiden
Gruppen v und p haben hinter O P 92 einen gröberen Ein-
schub gemeinsam: in P T 82— in, in Vs T 102— 132. Dieser
ist sehr instruktiv. Zunächst sehen wir, auf welche Weise
unser Gedicht in Abschnitte geteilt wurde, damit der Jongleur,
sei es nun, dafs dieser selbst der Umdichter war oder dafs für
ihn gedichtet wurde, je nach Belieben an verschiedenen Punkten
desselben beginnen könne, während es ursprünglich ein fort-
laufendes Ganze bildete. P schildert zunächst in Str. 82 in
einigen allgemeinen Strichen die Situation, wie Einer, der zu
erzählen beginnt, aber bei seinen Zuhörern eine gewisse Be-
kanntschaft mit seinem Gegenstande voraussetzen darf:
Quant Karlemaines ot son ost devisee
Vers douce France a sa voie tornee
L'arriere-garde ot Rollant commandee
E eil la fist, ne Ta pas refus&.
Inhaltlich knüpft unser Bearbeiter ungefähr an O T 64 an,
aber er scheint ein sehr geringes Interesse an seinem Helden
zu nehmen, denn er ist gar nicht bei der Sache. Trotzdem
wir uns hier in der Schlucht von Roncevaux befinden, läfst
er Roland in die Kirche gehn und dort die Messe hören.
Dann gürtet ihm sein Knappe das Schwert um, Roland besteigt
sein Ross und beginnt ein Gebet. Dasselbe hat in seinem Ein-
gange Ähnlichkeit mit dem Gebete Karls vor dem Kampf mit
Baligant, dehnt sich aber übermäfsig aus und läfst neben St. Peter
und St. Paul sogar nicht die heilige Susanne unerwähnt — ein
starkes Stück für einen Helden von der Gemütsbeschaffenheit
Rolands, der, wie ausdrücklich bemerkt wird, die Feinde schon
gesehen hat. T 84 u. 85 enthalten Ermahnungen Rolands an
die Franken. Das Folgende zerfällt in 2 Teile, deren erster
(T 86 — 96) ausführlich schildert, wie die Begleiter Rolands sich
rüsten, indem jedem Einzelnen derselben eine besondere Strophe
eingeräumt wird. Die vorhergehenden Tiraden (bei Vs 77 — 85)
hatten nämlich die Führer der Heiden einzeln auftreten lassen und
es sollte dem offenbar ein Gegenstück an die Seite gesetzt werden.
2*
- 20 -
Aber noch mehr. Der frühere Dichter, für den Roland
fortwährend im Vordergrund steht, hatte sich begnügt, zu be-
schreiben, wie dieser sich rüstete, und als völlig selbstverständ-
lich übergangen, dafs seine Genossen das Gleiche thaten. In-
zwischen hatte sich jedoch das Ritterwesen mit allen seinen
Ceremonieen entwickelt und mit der im Mittelalter allgemein
verbreiteten travestierenden Auffassung der Vergangenheit ver-
langte das Publikum zu hören, dafs Roland, sollte er anders
ein wirklicher Held sein, es vor der Schlacht genau so ge-
macht habe, wie sie es gewohnt waren. Zunächst war es nun
den Gebräuchen des 12. Jhd., wohin wir die Quelle von p
und v (=y) wohl noch zu setzen haben, nicht entsprechend,
dafs Roland sich selbst das Schwert umgürtete, sondern dies
ist die Pflicht des Knappen, der dafür von ihm zum Ritter
geschlagen wird:
P. et eil la ceinst, qu'en donna grant colee
oder wie Vz will quin donra grant colee.
Ebenso durfte die Beschreibung desselben Vorgangs bei
den Andern nicht übergangen werden.
Es ist also die Erweiterung vorgenommen worden, um
dem veränderten Zeitgeschmack zu genügen, und nun ist das
Bemerkenswerte, dafs nicht etwa das Veraltete wegfällt, son-
dern es bleibt neben dem Neuen stehen. Besonders eine
Stelle bietet ein eklatantes Beispiel davon, wie auf diese Weise,
vom Ueberarbeiter gar nicht beabsichtigt, jene schon so oft
disputirten Repetitionsstrophen entstehen, und hat daher, ebenso
wie einige andere, für unsere Kenntnis der Entwicklungsge-
schichte des französischen Epos eine ähnliche Bedeutung, wie
gewisse rudimentäre Organe bei den Tieren für deren Geschichte.
Das Faktum, dafs Roland sich zum Kampf mit den Heiden
rüstet, das natürlich an dem einen Morgen nur einmal ge-
schehen ist, wird dreimal an verschiedenen Stellen der Er-
zählung ausführlich beschrieben: Vs T 69, T 128 und T 102.
Die erste entspricht der Tirade, die Gautier hinter O 64 auf-
genommen hat und die wirklich in x 1 ) stand, aber von O aus-
gelassen wurde; die zweite (T 128) entspricht O T 92. Der
Grund, warum ein späterer Bearbeiter hier noch einmal in den
*) über diese Bezeichnung s. meinen Stammbaum.
— 21 —
Versen u55 — 62 das Aussehen Rolands und die Teile seiner
Rüstung beschreibt, ist wahrscheinlich in seiner Vorliebe für
««-Strophen zu suchen. Der Schreiber von O, der wie wir noch
sehen werden, das Ganze seiner Vorlage mit einer für seine Zeit
bemerkenswerten Kritik betrachtete, hielt eine von beiden
Strophen l ) für überflüssig und liefs sie weg. Dasselbe hat er auch
an anderen Stellen gethan. Was schliefslich y veranlafst hat,
die T. 102 hinzuzudichten, darüber habe ich soeben gesprochen.
Aehnlich verhält es sich mit dem zweiten Teile des Ein-
schubs (P T97 — 110, VsTii7 — i3o). Diese Tiraden enthalten
die wiederholten Aufforderungen Olivers, Roland möge sein
Hörn blasen, dessen Antworten u. s. w., sie entsprechen also
inhaltlich den O T 84 — 92. Vs hatte diese schon in ihrer früheren
Form durch die Tiraden 88 — 10 1 wiedergegeben, esläfst also
wiederum den alten Text neben dem neuen bestehen.
P. hatte gleichfalls die älteren Strophen neben den jüngeren;
dies verrät uns der Rest derselben (bei Michel Tir. 81). Die
Lyoner Hs. beginnt erst mit P. T. 88, wir wissen also nicht,
ob in seiner Vorlage sich der Einschub befand, aber es ist
wahrscheinlich; ebenso weifs ich es nicht von C. Von den
Lothringer Fragmenten erstreckt sich das eine nur von O Vers
3327 — 3422, das andere gehört ausschliefslich den jüngeren Be-
arbeitungen an, denn es erzählt die Flucht Ganelons etc. Nur
Vz hat an der Wiederholung Anstofs genommen und deswegen
die älteren Tiraden, die zweifellos in seiner Vorlage (y) standen,
teilweise ausgelassen, zeigt also ein ähnliches Verfahren, wie
ich es von O. voraussetze.
Schon dieser umfangreiche Einschub ergiebt, dafs die Um-
arbeitung, aus welcher v und p hervorgegangen sind, eine
gründliche und planmäfsige gewesen ist. Aus einem andern
Grunde hatte man sie bisher auch schon, wie ich oben ange-
geben habe, unter der Bezeichnung Remaniements zusammen-
gefafst, weil in ihnen 'die früheren Assonanzen durchweg in
Reime verwandelt sind.
Nachdem ich nun gezeigt habe, dafs diese Remaniements aus
einer Quelle mit V entstanden sind, bleibt mir nur noch das Ver-
hältnis zweier franz. Hs. zu erörtern übrig, das von O und V.
') nämlich die ebenerwähnte (= Gautier T. 68).
— 22 -
Zunächst nun dürfen wir diese beiden nicht unmittelbar
mit einander vergleichen. Denn V trägt ein ganz fremdartiges
Gewand, das man mit dem Namen frankoitalienisch nicht Übel
bezeichnet hat. Auf welche Weise es dasselbe erhalten, ist
noch nicht aufgeklärt; da die Hs. in Italien aufgefunden worden
ist, ist es wahrscheinlich dort geschehen. Wir müssen sie uns
auf einer früheren Stufe (/*') von diesem befreit denken. Ferner
enthält sie eine längere Episode von der Eroberung Narbonnes,
die, vermutlich von einem französischen Jongleur, einer geste
aus dem Cyclus des Aimeri von Narbonne entnommen wurde.
Ich sage einem französischen, weil ein italienischer wohl nicht
genug französisch verstand, um die Episode an das frühere
anzuknüpfen, wenn dies auch sehr oberflächlich geschehen ist.
Da diese Episode nicht in die jüngeren Hs. übergegangen ist,
welche aus ß geschöpft haben, so kann sie sich nur in ß', nicht
in ß befunden haben. Wir vergleichen also ß, sozusagen die
gereinigte Gestalt von V, mit O. Nun tragen diese beiden, im
Vergleich zu den jüngeren Hs., den Stempel grösserer Alter-
tümlichkeit in Sprache und Stil, und da sie neben vielem Ge-
meinsamen auch ganz bedeutende Abweichungen zeigen, so
gerathen wir in grofse Verlegenheit, welcher von beiden wir
den Vorrang einräumen sollen. Der Annahme, dafs etwa ß
ebenso aus O entstanden sei, wie die jüngeren Hs. aus /?, steht
entgegen, dafs ß allein einige Tiraden enthält, die der Zusammen-
hang unbedingt erfordert. Auch kann O nicht aus ß entstanden
sein, da gewisse Teile, z. B. die Erzählung von der Alda,
zweifellos in O in älterer Form erhalten sind, als in ß.
Stellen aber beide zusammen die gemeinsame Quelle dar,
wie sollen wir mit dem Plus verfahren, das V gegen O, das
O gegen V aufweist? Sind Beide gleichberechtigt?
Unter diesen Umständen erlangen die ausländischen Bear-
beitungen 1 ) eine besondere Bedeutung.
a) Nicht die holländische, von 3er ich schon oben ge-
sprochen habe, weil diese, wenn sie auch eine alte Vorlage
benutzte, doch diese sehr ungenau wiedergiebt, Lücken
aufweist und so uns an den schwierigsten Stellen im Stich
läfst.
!) ich habe diesen Ausdruck in der Regel dem längeren »Bearbeitungen in
fremden Sprachen« vorgezogen.
— 23 -
b) Auch die deutsche Bearbeitung des Pfaffen Konrad
leistet das nicht, was sie uns hätte sein können. Dafe ihre
Vorlage das hier zunächst von uns gesuchte Original («)
war, läfst schon die Chronologie vermuthen. Das Gedicht
Konrads ist, wie man jetzt allgemein annimmt, um u3o ent-
standen, die Handschrift O dagegen wird zwischen u5o und
ii 60 gesetzt, also kann Kr sie nicht benutzt haben. Ferner
enthält Kr. eine Anzahl Strophen und Verse, die in « gestanden
haben, in O dagegen . fehlen. Ferner kann auch ß oder gar
eine noch jüngere Bearbeitung, wie Müller annimmt, nicht
Konrads Quelle gewesen sein, weil Kr und O stellenweise
übereinstimmen und im Gegensatze zu diesen d$s Ursprüng-
liche bieten. Man vergleiche O 3708 mit Kr 8685, 3709 — 10
mit 8691 — 93, 3713—16 mit 8696 — 8706.
Diese Verse, in denen Kr so eng mit O zusammengeht,
wie sonst selten, stehen in ß überhaupt nicht.
Aber doch ist damit nicht viel gewonnen. Kr giebt näm-
lich seine Vorlage in sehr freier Weise wieder. Dies wird
zum Teil schon durch seinen vom französischen ganz verschie-
denen Vers bedingt. Wenn ferner seine Angabe richtig ist J
9080 also iz ane theme buoche gescriben stät
in franziscer zungen
so hän ih iz in thie latine bethwungen
thanen in thie tiutiske gekeYet,
so mufste durch diese doppelte Uebersetzung auch viel vom
Ursprünglichen verloren gehn. Aber vor allem hat Kr gar
nicht die Absicht, diese getreu wiederzugeben, sein Werk
ist vielmehr eine freie Umdichtung.
Er trägt überall seinen streng kirchlichen Standpunkt hin-
ein. So beginnt er sein Gedicht mit einem Gebet von 36o
Versen und fügt dann wieder der ersten französischen Strophe
hinzu (V 371 ff.): Hätten die Heiden Karl Berge von Gold ge-
geben, er hätte sie nicht genommen, wenn sie nicht Christen
geworden wären. Es soll dies im Voraus eine Verteidigung
des Benehmens Karls sein, damit man nicht etwa glaube, die
Geschenke des Marsilies seien der Grund gewesen, dafs er von
der Eroberung Saragossas Abstand nahm und abzog. Oder 2364:
9 z. B. Kr. 5192-5206 =3 V 1392— 1409 + Ks.
— 24 —
ther tiuvel gaf ime then sin.
Es fehlen selbst wörtliche Anführungen aus den Psalmen
nicht, z. ß.
7697 Tho sprah ther keiser h€re:
»nu venemet ouh mere.
vone then heithenen stet gescriben thä:
mors peccatorum pessima
there suntare t6d ist freislih,«
wozu Bartsch: Ps. vulg. 34, 22 als Quelle nachweist:
Ebenso 7726 vile ist there er gelathet hat
lutzel ist there erweleten. 1 )
und so öfter. Aber er scheut sich auch nicht, kürzere oder
längere Zusätze andrer Art zu machen; so z. B. beschreibt er
viel ausführlicher als seine Vorlage die Kleidung Ganelons
(iöioff.) und erzählt die Genealogie seines Rosses (1626E). Bei
der Trauer um Roland fliefst Karl Blut aus den Augen, so
dafs der Stein, auf dem er safs, noch heut davon nafs ist
(7568ff.). V. 7791 wird behauptet, dafs die Baiern von den
Armeniern abstammen, V. 2712 verspricht Marsilies dem Ganelon,
dafs sein Sohn Balduin nach ihm im Reiche der Sarazenen
herrschen solle u. s. f.
Aber was schlimmer als diese Zusätze ist, die immerhin,
könnten wir sie nicht mit Hülfe andrer Ueberlieferungen als
solche konstatieren, uns manche Rätsel aufgeben würden; es
fehlen ganze Stücke in Kr. Von den beiden älteren Hs., der
Strafsburger und der Heidelberger, war die erste bis vor Kurzem,
aber nur in Fragmenten erhalten und die zweite zeigt hinter
V. 3o83 eine bedeutende Lücke.
Jedoch fehlt auch zu andern Stellen des französischen Textes
das Entsprechende, z. B. für O 1367 — 1448, wofür ich später
eine Erklärung versuchen werde.
Ich erwähne nur noch einzelne Mifsverständnisse und Un-
genauigkeiten. T 97 beginnt E. Gerins fiert etc., Kr hat daraus
(V. 4495) Egeris gemacht, indem er das e (und) zum Namen
gezogen hat; auffälliger ist dies beim folgenden Namen Egeriers
(V. 4537), da hier das E von dem Namen durch zwei Worte
getrennt ist, denn es heifst O 1269 E sis cumpainz Geriers
*) vgl Matth. 22, 14.
- 25 —
hert etc. Vielleicht darf man daraus schliefsen, dafs in Krs
Vorlage diese Worte umgestellt waren. tJebrigens hätte er
bei einiger Aufmerksamkeit seinen Irrtum bemerken müssen,
da mehrere der folgenden Tiraden gleichfalls mit E und zwar
vor Vokalen beginnen und E Anseis, E Engeliers und E Otes
zusammenzuziehn, hat selbst er nicht versucht. Der umgekehrte
Fall, eine unrichtige Trennung, liegt vor, wo er entresqu 1 a
Durestant (O 870) wiedergibt durch unze an Urstamme..
Ein grobes Mifsverständnis liegt vor, wenn er V. 658
eglentier durch adelare übersetzt, selbst wenn man annehmen
will, dafs ihn eine Schreibung aiglentier seiner Hs. dazu ver-
führt habe, und eine Ungenauigkeit, um dies Sündenregister
zu schliefsen, wenn (V. 2364) Marsilies um zu schwören Apollo,
also dessen Bildsäule, herbeitragen läfst, während es in O heifst
V. 610. Marsilies fait porter un livre avant,
La lei i fut Mahum e Tervagan.
c) Eine ganz andere Wichtigkeit hat schon nach ihrer
äufseren Anlage die altnordische Ueberlieferuug und wir müssen
uns bestreben uns über den Wert derselben für die Kritik des
Rol. ein möglichst bestimmtes Urteil zu bilden. Sie geht auf
eine Uebersetzung zurück, die wahrscheinlich unter Hako
Hakonarson, der von 12 17 — 1263 regierte, angefertigt wurde.
Dieser hatte ein starkes Interesse für die französische Dichtung
und liefs nicht nur eine gröfsere Anzahl ritterlicher Erzählungen
in seine Muttersprache übertragen, sondern auch verschiedene
ihm bekannte gesten, welche sich mit der Person Karls des
Grofsen beschäftigten, in eine Kompilation, Karlamagnussage ')
genannt, vereinigen. Diese Uebersetzung ist uns in «iner älteren
Fassung in 2 Originalhs. des 14/15 s. (bei Unger A u. a) und
in einer bedeutend jüngeren in 2 Kopieen erhalten (B, b). Ich
berücksichtige daher im Folgenden nur die Lesarten A und a.
Rambeau meint nun 2 ), die Ks. gebe bis V. 2562 den Ox-
forder Text fast Vers für Vers, Wort für Wort wieder, nach
V. 2562 sei sie jedoch bedeutend verkürzt. Ganz ähnlich spricht
sich Dönges ) aus. Besonders behaupten Beide mit Bestimmt-
*) herausgegeben von Unger. Eine anerkannt vortreffliche Uebersetzung der-
selben gab Koschwitz, Rom. Studien III, 295 -350, nach welcher ich im Folgenden
citieren werde; selbstverständlich habe ich das Original daneben benutzt
«) a. a. O. S. 13.
3 ) Dönges, die Baligantepisode im Rolandsliede, Heilbronn 1880.S. 5.
— 26 —
heit, dafs die Ks. die sogen. Baligantepisode ausgelassen habe,
trotzdem ihre Vorlage sie enthielt. Ueber diesen Punkt werde
ich im nächsten Kapitel ausführlich zu handeln haben; hier
nur die eine Frage: entspricht es den Regeln der Kritik, von
einem Uebersetzer, der dort, wo wir sein Verfahren durch die
Uebereinstimmung sämmtlicher Texte kontrollieren können, seine
Vorlage mit grofser Treue widergibt, ohne die gewichtigsten
Gründe anzunehmen, dafs er plötzlich sein System geändert
und an 2 Stellen zusammen gegen 1000 Verse ausgelassen
habe? Nein; wenn er diese Abschnitte nicht wiedergibt, so
kann der Grund nur der sein, dafs seine (französische) Vorlage
sie nicht enthielt.
Ferner darf man nicht davon reden, dafs der letzte Teil
der Ks., und zwar die Kapitel 3g bis 41, den Oxforder Text
abkürze, da er ganz andre Fakten bringt als dieser. In O
(V. 2882 ff.) unterstützen den König Karl, als er bei der Leiche
Rolands ohnmächtig wird, 4 Barone und lehnen ihn gegen
eine Fichte, in Ks. (S. 345) ist nur der Herzog Naimes bei ihm
und dieser »eilte geschwind nach einem fliefsenden Wasser und
sprengte es dem König ins Antlitz.« Dann folgt in Ks. ein
längeres Stück von dem Schwerte Rolands, das Niemand der
Hand des Toten habe entreifsen können, bis es ihr zuletzt,
auf Karls Gebet, von selbst entfiel. Kap. 40 wird zum gröfsten
Teil von der Erzählung eingenommen, dafs Gott, um die
Leichen der Christen von denen der Heiden zu unterscheiden,
ein Wunder habe geschehen lassen, indem während der Nacht
über die Leichen der Ersteren Dornsträucher hervorwuchsen
und sie bedeckten, während die Körper der Christen frei da-
lagen. Der Schlufs des Kapitels von »sodann liefs der König
grofse und wolgebaute Bahren anfertigen« (S. 347 unten) geht
etwas näher mit O und entspricht, aber auch uur ungefähr,
den Tir. 214, 21 5 und dem zweiten Teil von T 269.
Die Episode vom Schwerte Rolands bietet keine französische
Hs. ; es ist aber bei dem Charakter der Ks. ganz undenkbar, dafs
sie aus der Phantasie ihres Bearbeiters stamme. Folglich geht Ks.
auf eine nicht erhaltene, von den unsrigen abweichende Version
(k) zurück. Von der Episode von den Dornen sagt Rambeau l ),
1) a. a. 0. S. 13.
— 27 —
# dafs sie sich in dem Schlussgedicht des Rom. de Roncev. wieder-
finde und scheint damit" andeuten zu wollen, dafs Ks. dies
Stück aus dem Rom. de Roncev. ( = Remaniements) entnommen
habe. Vielleicht war Müller auch dieser Ansicht, und dies für
ihn ein Hauptgrund, die Abhängigkeit von Ks. von den jüngeren
fr. Hs. anzunehmen. Tatsächlich aber stellt sich die Sache
so dar.
An der O 2g5iff. entsprechenden Stelle (T 263) folgt die
Hs. P 1 ) der Erzählung der älteren fr. Hs. ziemlich genau und
erwähnt auch nichts von dem Wunder. Trotzdem also hier
schon berichtet war, wie Karl Roland und dessen Begleiter
beklagt und den gröfsten Teil derselben in Ronceval begraben
habe, wird diese ganze Geschichte in P noch einmal, aber in
andrer Form von T 33o ab erzählt, welche mit einer grofsen
Initiale beginnt, wobei dann die Tir. 335 und 336 das Strauch-
wunder enthalten. Wahrscheinlich hat ein Jongleur, der zuerst
die erste Version allein vorgetragen hatte, später eine andre
kennen gelernt, die ihm romantischer schien; flugs begann er:
Grans fu li diaus la nuit en Roncevauls
La clartez luist etc.
denn von einer Komposition war schon nicht mehr die Rede,
der epische Ausdruck war damals, wir stehen im i3. s., zur
epischen Phrase geworden; fertige Formeln wurden ad libitum
an einander gereiht, so lange der Stoff reichte.
Wie kommt aber Ks. zu dieser Episode? Aus P kann sie
diese nicht wohl entnommen haben, denn sie befindet sich dort
an ganz andrer Stelle, als in Ks. und auch mit Zusätzen aus-
geschmückt, die Ks. nicht hat. Auch hier gilt also wieder,
dafs k (die Vorlage von Ks.) diese Episode, und zwar in einer
reineren Fassung als die jüngere fr. Hs., geboten haben muss.
k ist aber auch, wie wir gesehen haben,' von O an einigen
Stellen verschieden, da sie aber andrerseits den gröfsten Teil
mit ihr gemeinsam und nicht die Zusätze der jüngeren Hs. hat,
so mufs k oder Ks, was für uns gleichbedeutend ist, mit O
auf eine gemeinsame Quelle zurückgehn, die ich x nennen will.
Eine Verkürzung der Vorlage darf man nur bei Kap. 41
annehmen. Eine solche verrät schon der Wortlaut z. B. »und
1) und ebenso die anderen jüngeren Hs.
— 28 —
als diese Leute an einem Orte zusammengekommen waren, da
wurde das von weisen Männern auseinandergesetzt und be-
sprochen.« Da ist kein Zweifel möglich, dafs das französische
Epos an dieser Stelle wirkliche Reden enthielt, die in der
Uebersetzung zusammengefafst werden. Ebenso im Folgenden-
»und da geschah es wieder wie immer, dafs der Herzog
Nemes in dieser grofsen Versammlung auftritt und dann eine
lange und aufserordentlich kluge Auseinandersetzung vortrug.«
So spricht die Ks. sonst nie, sie steht ihrer Vorlage naiv gegen-
über, dieser referirende, ein wenig spöttisch-überlegene Ton
ist ihr ganz fremd; während sie sonst nur direkte Reden
kennt, (noch Kap. 39 u. 40 geben deren mehrere), hat dies
Kapitel nur indirekte. Daher ist es vielleicht erlaubt an-
zunehmen, dafs Kap. 41 ein Zusatz der Bearbeitung A, a ist 1 )
Ich komme auf diesen Punkt noch später zurück; zunächst
müssen wir das Verfahren der Ks. an dem kontrollirbaren Teile
etwas genauer studieren.
Einige Beispiele werden genügen, um anschaulich zu
machen, wie getreu sie im Allgemeinen ihre Vorlage widergibt.
Ich nehme gleich den Anfang des Rol.
1. Carles li reis, nostre emperere magnes
Set anz tuz pleinz ad estet en Espaigne
»Der König Karlamagnus war 7 Jahre hinter einander in
Spanien«; also blos das Beiwort nostre emperere fehlt.
Tresqu'en la mer cunquist la tere altaigne
wird etwas ungenau wiedergegeben durch:
»und unterwarf sich Alles am Meere entlang« ;
allerdings drückt sich das Original auch nicht sehr deutlich ~aus.
Ni a castel ki devant lui remaignet,
Murs ne citet n'i est remes a fraindre
Fors Saraguce, k' est en une muntaigne.
»so dafs weder eine Stadt noch ein Schloss da war, das er
nicht unterworfen hätte, noch eine Landschaft, oder ein Ort,
aufser Saraguza, welches auf einem Berge steht« Im All-
gemeinen ziemlich genau, wenn wir von der Vertauschung
einiger gleichbedeutender Redewendungen absehen.
i) Es hat früher 6 Hs. der Ks. gegeben, von denen 4 bei dem grofsen Kopen-
hagner Brand zu Grunde gegangen sind, 2 von den letzteren ,sind wenigstens in Ab-
schriften erhalten (bei Unger B, b); vielleicht stellten die beiden andern eine ältere
Redaktion dar, welche Cap. 41 nicht enthielt
— 29 —
V. 7- Li reis Marsilies la tient, ki Deu nen aimet
Mahumet seit e Apollin recleimet
Ne s* poet guarder, que mals ne li ateignet
»Darüber herrschte der König Marsilies, (der Heide), der Gott
nicht liebte, (vielmehr) an Mahumet und Apollin glaubte; aber
die werden ihn täuschen.« Die letzte Zeile ist ganz frei um-
schrieben. Die Frage, ob die Ks. zur Herstellung verdorbener
Assonanzen geeignet ist, beantwortet sich dadurch, dafs allein
in der ersten Tir. 5 Assonanzwörter, also über die Hälfte aller,
nicht gestützt sind, garnicht la tere altaigne, aber auch nicht
remaigne, fraindre, reclaimet, anteignet, weil für sie auch andre
Synonyma gestanden haben können; und doch sind sämmtliche
Assonanzen richtig, wie die Uebereinstimmung der fr. Hs.
unter einan der beweist.
Vergleichen wir ebenso Tir. 2 mit dem Anfang von Kap. 2
der Ks., so finden wir gleich an der Spitze derselben den
Zusatz »da geschah es eines Tages«. Solche Zusätze, welche
dazu bestimmt sind, eine Art Ueberleitung von einer Tirade
zur andern zu bilden, begegnen uns in der Ks. öfter. So z. B.
Kap. 6, wo Ks. in der Mitte des Kapitels (S. 304) einen neueq
Abschnitt mit den Worten beginnt: »Da er so lange heftig
geredet hatte, da antwortete Rollant und sprach so«, während
das Original (O 3i3) nur hat: Respunt Rollant; die vorher-
gehenden Reden hatte Ks. dabei genau widergegeben. Ebenso
Kap. 8 Anfang: »Es ist nun davon zu sprechen, dafs die Ge-
sandten u. s. w.«
Nur scheinbar liegt eine Aenderung in V. ii vor, wo die
Ks. en un vergier suz Vumbre widergibt durch »unter einen
Oelbaum in den Schatten«. Denn V hat gleichfalls
Desöt une olive seit ala$ allombre,
also stand sos une olive in Ks. Vorlage.
Die Assonanz dulce (V. 16) wird von Ks. nicht gestützt
und man könnte nun glauben, dafs sie nicht im Original
gestanden habe, weil die Tir. in u#-e assoniere; aber soll »und
sich auf einen Marmorstein setzte« nicht (sur on perrun de
marbre bloi) se odchet widergeben, das auch regelwidrig ist?
Und nimmt man diese eine Unregelmäfsigkeit in der Assonanz
als gesichert an, so kann auch behauptet werden, dafs die Vor-
lage von Ks. auch V. io mit einem dritten falschen Assonanz-
— 30 -
wort (Saraguce) geboten und Ks. diesen Vers nur deswegen
ausgelassen hat, weil sein Inhalt schon aus der vorhergehenden
Tir. bekannt ist. Man sieht, die Ks. kann uns für die Assonanzen
von keinem grofsen Nutzen sein.
Der Fehler »Valsundi« statt Val Funde (V. 23) ist durch
Verlesung entstanden. Namen werden von Ks. häufiger ver-
stümmelt, z. B. Auxiens statt Anseis, Boering statt Borengier,
VakU'brun statt Valdrabum u. s. f.
Von Zusätzen sind aufser den oben erwähnten noch solche
anzuführen, wo die Worte des Originals paraphrasirend um-
schrieben werden, so z. B. in dem oben angeführten V. 9;
ferner V. i56 Uncor purrat guarir
»noch mag Gott ihm helfen, wenn er das thun will« (S. 3oo).
V. 77. Dient paien: de 90 avum asez
»die Heiden erwiderten: wohl hast Du gesprochen und wir
werden es besser ausführen« (S. 298) u. s. f.
Schwieriger ist festzustellen, ob die Ks. überhaupt mehr,
als einzelne, für den Zusammenhang nicht notwendige Worte
wovon wir schon Beispiele gehabt haben, ausgelassen hat. Wo
sich in dieser Beziehung zwischen ihr und O Differenzen
zeigen, sind es meistens Wiederholungsverse uud es scheint
mir kaum möglich zu entscheiden, ob diese schon in der
Redaktion x vorhanden gewesen und von Ks. ausgelassen
worden sind, oder ob sie erst später wiederholt wurden* So
wird V. 72 fast genau so in V. 80 wiederholt, die Verse i35
und i36 kehren in i53 u. 154, nur mit veränderter Assonanz,
wieder.
Ich habe diese Charakteristik von Ks. so speziell gehalten,
um zu zeigen, dafs die nachweisbaren Abweichungen von
ihrer Vorlage nur geringfügig sind und den Inhalt nicht alterieren.
Ihrer Vorlage aber, oder vielmehr der mit ihrer Hülfe
erschliefsbaren Redaktion x, werden wir ein verhältnis-
mäfsig hohes Alter zuerkennen müssen, wenn es mir im
folgenden Kapitel gelingen sollte, nachzuweisen, dafs sie die
Baligantepisode nicht enthielt. 1 )
1) Aufser Ks. wird die altnordische Uebersetzung noch durch eine dänische
Chronik repräsentirt, von der Koschwitz, Rom. Stud. Bd. II, S. 14 f. ausführt, dafs sie
auf eine schwedische, und diese wieder auf unsre altnordische Bearbeitung zurück-
geht. Die dänische Chronik weicht zwar in manchen Punkten von der Ks. ab, aber
-Si-
el) Aus noch früherer Zeit abej stammte das französische
Rolandslied, das wir in der lateinischen Uebersetzung des
Carmen de proditione Ganelonis besitzen. Dieses wurde bis
vor kurzer Zeit mit unverdienter Geringschätzung behandelt.
W. Grimm 1 ) sagte: »das lateinische Gedicht mag die Vorlage
absichtlich gekürzt haben.« Gautier 3 ) hat auch eine sehr
geringe Meinung von demselben und scheint seine Abweichungen
für willkürliche Aenderungen zu halten. Anders Graevell 1 )
»dafs CR [Carmen] eine Vorlage gehabt hat, die auf dem Volks-
gesange basirt, läfst sich daraus schliefsen, dafs es neben auf-
fallenden Abweichungen von r [den fr. Hs.], oft fast wörtliche
Uebereinstimmung mit dem überlieferten Rolandsliede zeigt.«
Er hält also die Aenderungen nicht für willkürlich, sondern
durch eine ältere Vorlage bedingt. Eingehend untersucht aber
hat das Verhältnis erst G. Paris in Romania XI, 465 ff., wo er
auch einen kritischen Abdruck des Gedichtes mit vielen Text-
verbesserungen giebt. Seinen Ausführungen schliefse ich mich
im Folgenden an.
Das Carmen beginnt mit einer Einleitung von 14 Versen.
Von diesen geben die beiden ersten den Inhalt des Gedichtes
mit kurzen Worten an, sie bilden den Prologus:
Condita pro donis fraus hie manifesta Guenonis
Per quam deeepit Gallos cum dona reeepit.
Die übrigen 12 Verse enthalten Lobeserhebungen Karls in
schwülstigen Ausdrücken. V. i5 beginnt dann die eigentliche
Erzählung.
Aber diese weicht grade im Anfang ganz bedeutend von
x ab. Der König Karl hat 7 Jahre in Spanien Krieg geführt
und zuletzt die Stadt Morindia (in O [V. 97] Cordres) ein-
genommen. Er ist des Krieges müde und will nach Hause
ziehn. Dem widerspricht Roland aufs Entschiedenste. Nur
das eine Saragossa sei noch zurück, das dürfe man nicht im
dies sind augenscheinlich jüngere Aenderungen, so z. B. wenn sie Turpin, mit Rück-
sicht auf die unter seinem Namen gehende Chronik, den Kampf von Ronceval über-
leben läfst. Da mich meine Vergleichung gelehrt hat, dafs sich aus ihr für die
Rolandkritik so gut wie gar kein Nutzen ziehen läfst, so habe ich sie, um meinen
Stammbaum und die Darstellung nicht unnötigerweise zu complicieren, ganz fort-
gelassen.
1) EinL zu Ruolandes Liet S. 99.
*) Epop. fr. IIP 569.
3 ) Charakt * Pers. i. Rol. S. 33.
— 32 —
Besitze des verräterischen Marsilies lassen. Karl solle daher
an den Sarazenenkönig einen Boten schicken und Unterwerfung
von ihm verlangen. Zu diesem Posten wird Ganelon von
Roland bestimmt (judice Rolando). Es fehlt also gänzlich die
Ratversammlung des Marsilies und die Absendung der sara-
zenischen Gesandten (O T 2 — 7), die Aufzählung der Pairs
(T 8), die Reden derselben und manches Andre.
Im Folgenden sind wesentliche Unterschiede:
1. Weder in dem Briefe Karls, noch in der Rede des
Ganelon (V. 109 ff.) ist von der Taufe des Marsilies
die Rede, die in O eine so grofse Rolle spielt.
2. Dem C fehlt die Figur des Blancandrin; anstatt seiner
tritt die Königin vermittelnd dazwischen, als Marsilies
den Ganelon schlagen will.
3. Als Ganelon an den Hof des Marsilies kommt, hat er
noch nicht die Absicht, seine Genossen zu verraten;
erst durch Schmeicheleien und Bestechung wird er
von Marsilies dazu gebracht.
4. C hat die Träume Karls nicht.
5. In C fehlt die Erzählung von der Rüstung der Heiden
(T 70—80).
6. In C. sieht Roland die Feinde und weifs sofort, dafs
er verraten ist; in O dagegen teilt ihm der auf einem
Hügel stehende Oliver das Herannahen derselben mit
und Roland sträubt sich gegen die Vermutung, dafs
sein Stiefvater an ihm zum Verräter geworden sei u. s. f.
In allen diesen Fällen liegt keine Verkürzung vor, sondern
eine andre und, wie man auf den ersten Blick sieht, einfachere
Darstellung. Es ist nicht daran zu denken, däfs der Verfasser
des Carmens, der, wie gewisse Stellen untrüglich beweisen,
aus dem Französischen übersetzte, derartige einschneidende
Aenderungen, zu denen er nicht die geringste Veranlassung
hatte, vorgenommen haben soll, durch welche die ganze Er-
zählung zu einer andern wurde. Ferner ist seine Darstellung
viel logischer und steht der Geschichte näher, als die französische
Ueberlieferung, wie ich im 3. Kapitel zeigen werde. Allerdings
ist in Bezug auf den Ausdruck im Allgemeinen kein so naher
Anschlufs vorhanden, wie bei der Ks. Während diese fast
überall übersetzt, handelt es sich hier durchgehends um freie
— 38 —
Paraphrase. Der lateinische Dichter entfernt skh hesohdäte
durch ei» übertriebenes rhetorisches Pathos und eine unsiftftige
Vorliebe für Antithesen von der im Ganzen einfachen Sprache
seines Originals. Ferner mag auch der Vers manches Opfer
verlangt haben und manche Details können fortgeblieben sein,
weil ihre Uebersetzung dem lateinischen Gewand nicht an-
gemessen schien. Deswegen wenden wir Verkürzungen von
Schilderungen wohl anzunehmen haben, und wenn an einer
Stelle die fr. Hs. einzelne Umstände mehr als das G bieten
sollten, so würden diese sich dadurch noch nicht als spätere
Zusätze kennzeichnen.
Aber grade der rhetorische Charakter des C verbürgt uns,
dafs sein Autor durchaus nicht das Bestreben hatte, an die
Stelle des Effectvolleren das Einfachere zu setzen und in Fällen
wie 6., wo die compliciertere Form ihm Gelegenheit bot, in
Rede und Gegenrede Antithesen spielen zu lassen, hätte er sich
diese gewifs nicht entgehn lassen, wenn er sie gekannt hätte.
Können wir doch sogar wenigstens eine Stelle aufzeigen, wo
er selbständig Ausschmückungen angebracht hat, während die
fr. Hs. noch das Einfachere bewahren.
In O treten nämlich, nachdem Marsilies den Verrat Ganelcnis
durch Geschenke belohnt hat, auch die Grofsen einzeln heran,
um ihn zu beschenken. Da ist es sehr auffällig, dafe unter
diesen auch die Königin Bramimün<Je (T 5i) erscheint; be-
sonders, da sie ursprünglich überhaupt nur an dieser Stelle des
RoL vorkam und auch vorher in der Umgebung de^ Königs
nicht erwähnt wird» Man kohimt daher auf diel Verfnutun&,
die noch durch andte Umstände gestützt Wird, dafs auch in
der Tir. Si wie in deri vorhergehenden ein männlicher Nairie
das Ursprüngliche war, etwa 1 BfätfuEBtunt. Dieser Bratiiiämät
wird, wie im G fttemimunde thut, die Stellte des BiäncaftcHh
eingenommen haben. Öfe Figur des Blaftcartdih, die € noch
nicht- kennt, erweist steh durch deii Zwedtj dem sie dient, Üs
durchaus uäursprtinglieh '). Süwöft also ist die Vefsion des C
vorzuziehn. Aber riaehdett* Bräriiimwnt *u eiflem FeriiinÖrürn
geworden War* fühlte sfieh der lateinische Dichter ahgdfegt,
das weibliche Element bei ihr hervortreten zu lassen ttod 1 ihr,
i) Wa44ü& fiwvngeäetttet ist, wird mr dritten Kapitel wehtt ausgeÄhrt werden.
— 34 —
die bisher nur durch den Namen sich von den Männern unter-
schied, auch die Attribute einer Frau zu geben. Daher schildert
er ihre prächtige Kleidung, ihre Zärtlichkeit gegen Marsilies,
ihre Empfänglichkeit für männliche Schönheit. Denn während
Bramimunt wahrscheinlich mit der Motivierung für Ganelon
schützend eingetreten war, dafs diese Verletzung eines Ge-
sandten für Matsilies die schlimmsten Folgen haben könne 1 )?
denn er 8 ) stellt den besonnenen Ratgeber am heidnischen Hofe
dar, wie der Herzog Naimes bei Karl: hat in C die schöne
Gestalt Ganelons das Herz Bramimundes gewonnen und des-
wegen will sie ihn geschont wissen. Einen Anhalt dazu bot
die französische Vorlage, in der Ganelon als schöner Mann
bezeichnet wird:
3o5. Gent out le cors e les costetz out larges
Tant par fut bels, mit si per Ten esguardent,
aber weiter auch nichts. Es ist litterarhistorisch von Wichtig-
keit zu constatieren, dafs die Frauen im ursprg. Rol. keine
irgendwie hervorragende Rolle spielen und dafs auch die
wenigen Stellen, wo sie gelegentlich genannt werden, in hohem
Grade verdächtig sind. Diese Unabhängigkeit vom weiblichen
Geschlechte ist ein wesentliches Merkmal der germanischen
Helden, welche auch die Helden des ursprgl. RoL sind, durch
welches sie sich von den Rittern der späteren Jahrhunderte
unterscheiden, derer! That meist auf den Wunsch von Damen
oder um diesen zu gefallen, ausgeführt werden.
In C stammt diese Liebesscene aus der Bekanntschaft des
Dichters mit den Alten, besonders mit OvicL Auf diese weisen
Ausdrücke wie Quirites (385), Gallia (195, 196), der metonymische
Gebrauch von Minerva (57, 5g) für Klugheit, Mars (ausser-
ordentlich oft, z. B. 229, 233, 248, 3o3, 304) für Kampf etc.;
ferner ist wohl aus der Vorliebe für das antike Kolorit zu er-
klären, dafs Gueno zu einem consul gemacht wird (39), wo
die Vorlage wahrscheinlich die Form cons (comes) bot. Ferner
sind grade bei Ovid häufig Wendungen, wie die V. 99 ge-
brauchten dare amplexus und dare oscula, peragrare sinus
(146) etc. An der in Rede stehenden Stelle sind übrigens
2 Verse
») vgl O 453ff.
2 ) wenn er nämliche wie das C lehrt, mit Blancabdin identisch ist
— 35 — . .
Cuius forma micat Phebo mage mane micante (g3)
und Purpurea veste vestitur regia coniunx (97)
direkt den Met. II, 23 f.
purpurea velatus veste sedebat
In solio Phoebus claris lucente smaragdis
nachgebildet.
Sonst habe ich an keiner Stelle eine Erweiterung gefunden,
abgesehn davon, dafs wie schon bemerkt, eine kurze Ein*
leitung hinzugefügt ist. Wir werden also Treue in den Haupt-
zügen, Unzuverlässigkeit in der Wiedergabe der Details, indem
manche derselben wahrscheinlich ausgelassen sind, als den
Charakter dieser Ueberlieferung bezeichnen.
e) Am schwierigsten ist die Beurteilung und Verwertung der
unter Turpins Namen gehenden Chronik. Nachdem schon
vorher festgestellt war, dafs diese eine Fälschung sei und der
Erzbischof Turpin von Rheims an ihr keinen Anteil habe, ist
für die Kritik des Einzelnen auch hier G. Paris bahnbrechend
aufgetreten mit seiner bekannten Dissertation de Pseudoturpino.
Er hat daselbst nachzuweisen gesucht:
1. dafs die 5 ersten Kapitel der Chronik einen andern
Verfasser haben, als der Prolog und die übrigen
Kapitel,
2. dafs dieser ein Spanier gewesen und sie in Compo-
stella gegen io5o verfafst habe,
3. dafs die übrigen Kapitel wiederum mehrere Verfasser
hätten, aber den wesentlichsten Anteil an ihnen habe
ein Mönch aus Vienne gehabt, der sie zwischen 1108
und 11 19 geschrieben.
In eingehender Weise hat dann Laurentius 1 ) die Chronik
mit dem Oxf. Texte verglichen, um die Frage zu beantworten,
»ob die Gestalt der Sage, wie sie die eh. de Roland übeliefert,
die ältere sei, oder die, wie sie die Chronik des Pseudoturpin
überliefert.« Da seine Resultate von G. Paris, obwohl sie zum
Teil dessen früheren Ansichten entgegen sind, aeeeptiert worden
sind, so kann ich sie" als gesichert betrachten und mich einer
neuen Prüfung derselben überheben. Danach ist die eh. de Rol.
d. h. der Oxforder Text, aus mindestens 2 Redaktionen zu-
Laurentius, zur Kritik der chanson de Roland, Altenburg [1876].
3*
— w -
sammengesetzt Und die Chronik stimmt zu der Älteren Redaktion.
Aber sie ist selbst nicht frei von Zusätzen* die bei der Ver-
gleichung aufser Acht zu lassen sind.
Von diesen Zusätzen sagt Laurentius, dafs sie an ihrem
specifisch clerikalen Charakter zu erkennen seien. Das ist
aber nur die eine Gattung derselben, aufserdem ergaben sich
andre aus der Fiktion der Autorschaft Turpins. So z. K dafs
Turpin bei Karl bleibt und daher in dem Kampfe nicht ge-
tötet wird, die Vision Turpins, durch welche ihm der Tot
Rolands verkündigt wird, ferner dafe Balduin, der im RoL gar
keine Rolle spielt, auf dem Pferde Rolands angeritten kommt,
um diese Nachricht zu bestätigen u. s. f.
Ferner bin ich nicht der Ansicht des Laurentius, dafs die
Chronik nicht nach der eh. de Rol. bearbeitet sei, sondern
glaube vielmehr, dafs der letzte ') Redaktor der Chronik, wenn
auch nicht grade die Oxf. "Hs., so doch einen ihr nahestehenden,
verhältnismäßig jüngeren Text vor sich gehabt habe, weil sie
neben entschieden ursprünglichen Zügen jüngere Zusätze mit
den fr. Hs. gemeinsam hat.
Neuerdings hat G. Paris in Folge des Dozyschen Buches 2 )
seine früheren Ansichten wesentlich modifiziert 3 ). Es sind die
ersten 5 Kapitel zwar in Compostella, aber von einem Franzosen
geschrieben, und zwar erst nach 1072. Darin stimmen jetzt
G. Paris und Dozy überein. Dagegen in Bezug auf die Datierung
des Restes sind sie verschiedener Meinung. Dozy glaubt, dafs
derselbe zwischen ii3i und 1140 verfafst und von einem
Aimeri Picud aus Poitou, der einen codex der Chronik nach
St. Jago gebracht hat, mit einem (gleichfalls gefälschten) Briefe
Calixtus IV versehen worden ist, welcher die Echtheit der
Chronik verbürgen sollte* Paris dagegen glaubt, da£s der zweite
Teil selbst 4 ) von Aimeri Picaud herrühre und erst viel später,
gegen 11 65, verfafst sei.
Die Frage wird durch die handschriftlichen Verhältnisse
besonders compüciert, denn es existieren nicht weniger als
60 Ms. der Chronik, von denen die bis jetzt beste Ausgabe
*> oder, rittteicht die letzten» & später.
5 ) Recherches sur l'Espagne II.
3 ) Romania XI.
*) mindesten» zum greisen Teile.
— 37 —
von Castets nur 7 verwertet hat. Eine kritische Ausgabe, die
Baist versprochen hat, steht noch aus. Es kann mir daher
nicht beikommen, mich über die Handschriftenfrage zu ttufsern,
obwohl dieselbe auch in die Rolandkritik eingreift; ich möchte
mir nur erlauben, Einiges anzumerken, was mir die Vergleichung
der Chronik, in der Gestalt, die sie bei Castets hat, mit dem
Roi ergeben hat, weil mir dies für meinen Gegenstand not-
wendig erscheint. Vielleicht können diese Bemerkungen aber
auch einem Wissenden bei der Feststellung des Stammbaums
der Chronik nützlich sein.
Zunächst hat es mich überrascht, dafs G. Paris von seiner
früheren Ansicht, der auch Dozy beigetreten ist, dafs der
zweite Teil der Chronik mindestens 2 Verfasser habe, zurück-
gekommen ist, wenn er dies auch in etwas gemilderter Form
ausspricht 1 ): »J e me sens de plus en plus porte 4 attribuer ä
Aimeri lui-m£me la composition, au moins en partie, de la
chronique (sauf les cinq premiers chapitres)«. Vielmehr scheint
es mir, da, wie G. Paris selbst früher hervorgehoben hat, dieser
zweite Teil ein so stark accentuiertes Interesse für Vienne zeigt,
dafs jedenfalls einer der Bearbeiter desselben daher stammte.
Ich möchte aber für den zweiten Teil nicht nur 2, sondern
3 Hände annehmen. Kap. 6 — 20 bilden ein Ganzes, in dem
noch das Thema der ersten 5 Kapitel, die Befreiung Galliziens,
weitergeführt wird; Kap. 20, wo die Ansprüche Compostellas
auf den Primat Spaniens dargelegt werden (s. Rom. XI, 424)^
bilden den Abschluss.
Das Folgende, das in einer sehr losen Weise angeknüpft
ist 8 ), mufs einen andern Verfasser haben * weil hier noch
einmal Thaten Rolands und zwar nach einer andern geste, als
vorher"), nämlich nach einem Rolandsliede , erzählt werden,
weil St. Jago hier ganz vergessen ist und sich andre Interessen
zeigen. Sowohl die Spaltung derselben > als manche Ver-
*) Romania XI, 436.
*) Qnemadmodum Urnen post liberationem telluris Galeciae ab Hispania redüt
ad Galliam, nobis breviter dicendum est, nachdem er vorher ausdrücklich gesagt
haue, dafs er die übrigen Thaten Karls nicht mehr beschreiben wolle; sed si quem
magna eins gesta ampliua audire delectaverit, enarrare nobis magnum est et onerosum-
magis deficit manus et calamus, quam eius historia. Hier findet ein deutlicher Ab-
schlufs statt
*) vgl Romania XJ, 426.
- 38 —
schiedenheiten in der Darstellung nötigen aber auch hier eine
Zweiheit der Verfasser anzunehmen. Und zwar hat wahr-
scheinlich der Mönch aus Vienne die Hauptsache nach einer
alten Version des Rolandsliedes bearbeitet und ein andrer, dem
Saintonge nahe lag, also wohl jener Aimeri Picaud, den ganzen
Turpin, wie es scheint, unter Benutzung einer jüngeren RoL-
redaktion («) interpoliert. Für diese Ansicht habe ich Folgendes
anzuführen.
Die Hauptzüge des Kap. 21 ff. sind, wie Paris noch deutlicher
als Laurentius nachgewiesen hat, älter als jede andre Ueber-
lieferung des RoL, selbst als das Carmen. Ferner wird die
Vision, in welcher Turpin den Tod Karls sieht (Kap. 32), ihm
in Vienne zu Teil, in Vienne stirbt Turpin und wird dort
begraben (Anlage A) 1 ). Hier ist überall die Thätigkeit des
Mönches aus Vienne zu spüren. Diese Version (v) enthielt ver-
mutlich 2 ) auch die Angabe, dafs Roland in Arles begraben wäre,
das unter der kirchlichen Oberherrlichkeit von Vienne stand.
Der Bearbeiter von Saintonge (s) verrät sich durch folgende
Indicien: Roland wird comes coenomaniensis et Blavii dominus
(Kap. XI.) genannt 1 ), während er nach der Geschichte nur das
Erste war, nach dem Muster von Kap. VIII de bello sancti
Facundi, ubi hastae viruerunt wird Kap. X interpoliert mit der
Aufschrift de urbe Sanctonicae, ubi hastae viruerunt, und ferner
wird auch der Engelier des Rol. zu einem comes einer Stadt
in Aquitanien gemacht, deren Lage genau bezeichnet wird
(quae scilicet urbs sita fuit intra Lemoricas et Bituricas et
Pictavim etc. Kap. XI) u. s. f.
Es ist also Kap. XI, in welchem sich alle diese Angaben
befinden, ebenso wie das vorhergehende Kapitel, auf Rechnung
von s zu setzen. Dessen Absicht war offenbar, die Chronik
des Turpin, die damals schon ein grofses Renomme genossen
haben mufs, zu einem Documente zu gestalten, welches be-
zeugte, dafs in Blaye (vgl. dominus Blaviae) nicht nur Roland
selbst begraben sei, sondern dafs sich dort auch sein Hörn und
sein Schwert befänden, welche man als Reliquien betrachtete ')•
J) dafs diese hierher gehört, beweist »quidam ex nostris clericis« (s. de Pseudo-
turpino S. 31).
3 ) wie ich im 2. Kapitel ausfuhren werde.
*) ebenso Kap. 21 Rotholando, coenomanensi et blavicnsi comiü.
— 39 —
JJm sein Interesse weniger bemerkbar zu machen und zugleich
sich Bundesgenossen zu erwerben, tritt er auch für die An-
sprüche andrer Klöster ein. Er fabriziert zu diesem Zwecke
ein sehr ausführliches Verzeichnis aller Helden, die am spanischen
Feldzug teilgenommen haben sollen; in welchem aufser den
Namen des Rol. ganz fremde, wie Arastagnus, figuri e ren. Diesen
entspricht dann das Gräberverzeichnis im Kap, 28 ff.
Kap. 28 trägt die Aufschrift »de duobus cimiteriis sacro-
sanctis. Unum apud Arelatem, alterum apud Blaviam. That-
sächlich aber spricht das Kapitel von Arles und Bordeaux \ Hier
hat sich einmal der Verfechter von Blaye gar zu sehr de-
couvrirtl Aber sehen wir weiter. Kap. 29 fährt fort: Beatunt
namque Rotholandum usque Blavium Karolus ferri fecit et in
beati Romani basilica, quam ipse olim aedificaverat, canoni-
cosque reguläres intromiserat, honorifice sepelivit, mucronemque
ipsius ad caput et tubam eburneam ad pedes suspendit;
sed et tubam alius postea in beati Severini basilicam apud
Burdegalam indigne transtulit. Dies scheint mir eine direkte
Polemik gegen die Angaben des Rol. (Redaktion «) zu sein,
wo es heifst, dafs Roland, Olivier und der Erzbischof in Blaye
begraben, Hörn und Schwert Rolands aber in Bordeaux auf-
bewahrt seien. Nach s mufs sich Bordeaux mit einigen unter-
geordneten Gröfsen (Gaifer, Gelin, Geriers etc.) begnügen und
Olivier wird mit mehreren Andern in Belin begraben.
Man sieht, der Fälscher hat seine Maryer in ein gewisses
System gebracht; die verschiedenen Klöster von Saintonge
bekommen bei der Verteilung der Märtyrer etwas ab,
aber Blaye bekommt doch den Löwenanteil, Rolands Hörn
und Schwert, es steht im Vordergrund der Interessen. Ich
brauche übrigens, um dies zu beweisen, nur Turpin weiter
sprechen zu lassen: His itaque viris sepulturae traditis,
— — — Karolus — — — totam terram quae circa
basilicam sancti Romani blaviensis sex milliariorum
spatio porrigitur, totumque oppidum blaviense cum
cunctis quae sibi pertinent et etiam mare quod
sub eo est, usibus eiusdem ecclesiae in alodio,
1) Ich werde später zeigen, dafs das Aufhängen von Schwert und Hörn ein sehr
später Zug ist; wie pafst dieser zu den übrigen, altertümlichen, wenn er nicht durch
Interpolation hineingekommen ist?
— 40 —
amori Rotholandi, dedit etc. etc. Das bedarf keines Kom-
mentars; hier ist jeder Zweifel ausgeschlossen, dafs der Ver-
fasser dieses Kapitels etwas Andres als den Vorteil von Blaye
beabsichtigte, und wenn es Aimeri Picaud war, so ist nur zu
untersuchen, was ihn mit der Kirche St. Romaine daselbst
verband.
Nächst Blaye liegt ihm Belin am Herzen. Es bekommt
die Leiche Oliviers, im Widerspruche zum Rol., aufserdem
die mehrerer andrer Helden. Man sieht daraus, dafs es dem
Fälscher ganz direkt nur um Rolands Hörn und Schwert zu
thun ist; wenn diese nur Blaye gesichert sind, so mögen die
Andern sich nach Belieben in das Uebrige teilen. Wie Blaye
gefeiert wird: Felix urbs pinguissima Blavii, quae tanto hospite
decoratur etc. etc., so auch in etwas schwächerer Form: Felix
viUa macilenta Beiini quae tantis heroibus honoratur!
Bordeaux steht ihm ferner, wie schon die Beschuldigung
des Betruges (indigne transtulit) zeigt; es erhält zwar mehr als
ein halbes Dutzend Helden, aber keine Lobeserhebungen.
Aufserdem bekommt noch Nantes etwas ab — fast Alles Städte
in Saintonge oder Guienne, innerhalb welcher Grenzen das
Interesse des Interpolators umschrieben scheint.
Die Annahme von im Ganzen vier Bearbeitern der Chronik,
wenn deren nicht etwa noch mehr anzunehmen sind, hat -nichts
Anstöfsiges. Denn dafs dieselbe sehr verbreitet gewesen und
ein grofees Ansehn genofs, verbürgen uns die 60 erhaltenen Hs.
Es war also für einen Geistlichen, der eine Fälschung be-
absichtigte, und in dieser Beziehung besafs man im Mittelalter,
wie es scheint, ein erstaunlich weites Gewissen, nichts bequemer,
als in den schon gegebenen Rahmen einige Sätze einzufügen.
Auf die Art, wie das Mischmasch, das wir jetzt vor uns haben,
zu Stande gekommen ist, wirft die Mitteilung Dümmlers in
seinen Poetae aevi Carolini I ein grelles Licht, dafs die poetische
Grabschrift und der Nachruf Karls, welche die Kap. 24—25
der Chronik enthalten, aus nicht weniger als fünf verschiedenen
Dichtungen des Venantius Fortunatus zusammengestoppelt sind.
Der Verfasser hat sogar die Dreistigkeit gehabt, die Angabe
eines dieser Gedichte, welches sich auf einen Bischof von
Chartres bezog, dafs dieser im Alter von 38 Jahren gestorben
sei, ohne Weiteres auf Roland zu übertragen.
— 41 —
Aus dieser Betrachtung ergiebt sich, dafs T doch nur mit
grofser Reserve für die Kritik des Rol. zu verwenden ist. Wo
sie einen Zug darbietet, der an sich einfacher ist und der
Geschichte näher steht, als die Angabe der französischen Texte,
werden wir hierin eine Bestätigung einer sonst schon irgendwie
gesicherten Ansicht erblicken, da es dem Verfasser der Chronik
gewis nicht eingefallen ist, selbständig zu componieren (vgl.
das über die Grabschrift Gesagte), sie vielmehr ihrer Vorlage
so lange getreu folgte, als die Zwecke ihrer Tendenzschrift
dadurch nicht beeinträchtigt wurden. Aber da, wie ich
glaube, die verschiedenen Interpolationen verschiedene Roland«
redaktionen benutzt haben, so müfste erst versucht werden,
den Anteil derselben durchgehends zu trennen, was wohl nur
mit Hülfe einer kritischen Ausgabe möglich ist. Kurz: wir
werden wohl dann und wann die Chronik heranziehen, aber
von ihr keinen so umfassenden Gebrauch machen können, wie
von C und Ks.
Ich hatte oben die Erörterung des Verhältnisses zwischen
O und ß ausgesetzt, bis wir die ausländischen UeberlieferupgSB
— 42 —
betrachtet hätten; sie kann aber auch hier noch nicht erfolgen,
weil wir die allgemeine Beschaffenheit der Letzteren zwar
kennen gelernt haben, der Nachweis aber, dafs sie wirklich
ältere Stufen des RoL darstellen, erst durch das folgende
Kapitel zu erbringen ist Es kann hier, im Anschlufs an das
früher Entwickelte, nur soviel angedeutet werden, dafs T aus
älteren und jüngeren Bestandteilen zusammengesetzt ist und
dafs die ersteren älter sind als C, C älter als Ks, diese wieder
älter als die gemeinschaftliche Quelle von O und ß. Aus
dieser («) ist O durch willkürliche Abschrift, ß durch eine
neue Umarbeitung entstanden. l ) Wollten wir dies und zugleich
das Verhältnis der jüngeren Hs. zu den andern veranschaulichen,
so würde die Figur wie umstehend ausfallen.
IL Die nächste reconstruierbare Vorstufe der
französischen Handschriften.
Auf den Hornruf Rolands war Karl der Grofse, der auf
dem Rückzuge aus Spanien schon nach der Gascogne gelangt
war, aufgebrochen, um seinem Neffen zu Hülfe zu eilen. Er
kommt zu spät; Roland und die Seinigen sind inzwischen
sämmtlich gefallen. Karl kann nur noch den fliehenden Feinden
nachsetzen und sie zum grofsen Teile vernichten. Dann kehrt
er nach Ronceval zurück, beweint die Toten und läfst sie an
Ort und Stelle begraben bis auf die Leichen der drei Haupt-
helden, die er in kostbaren Särgen mit sich nach Frankreich
führen will, damit sie auf heimischem Boden ihre Ruhe fänden.
Da, als er grade im Begriff ist aufzubrechen, erscheint plötzlich
ein neues Heer, viel gröfser als das erste, und jetzt nicht blofs
von einem sarazenischen Statthalter, sondern von dem An-
führer der ganzen Heidenschaft, Baligant selbst, geführt. Es
beginnt ein neuer Kampf, in welchem Karl wie vorher Sieger
bleibt.
f ) Die Bedeutung der übrigen Buchstaben des Stammbaums Ist auf den vor-
stehenden Seiten zu finden, die von y auf S. $a£
■ - 43 —
Besäfs:n wir gar keine aidre Ueberlieferung als diese, wie
si3 die französischen Handschriften, und zwar O von V. 2568
ab, bieten, so wLirde uns diese Art der Darstellung jedenfalls
sehr befremdlich erscheinen, aber — wir hätten kein Recht,
sie anzutasten. So sonderbar es ist, dafs in demselben
dichterischen Werke zwei Schlachten desselben Königs mit
demselben Ausgange unter ganz ähnlichen Verhältnissen dicht
hinter einander erzählt werden, wir müfsten uns fügen. Wir
würden allerdings nicht umhin können, uns zu fragen: was
hat denn diese Erzählung im Grunde mit Roland zu thun, da
dessen Untergang durch die erste Schlacht doch vollkommen
gerächt ist? Was wollte denn der Dichter mit ihr? Reizte ihn
die Wiederholung deswegen, weil er durch sie Gelegenheit
erhielt, seine Kunst zu differenzieren zu zeigen? Dies kann
nicht der Fall sein; die zweite Erzählung ist unzweifelhaft viel
schwächer als die erste und würde vielmehr auf gänzliche
Ermattung seiner Kraft schliefsen lassen, wenn derselbe Dichter
beide Erzählungen verfafst hätte. Wir würden eher geneigt
sein zu vermuten, dafs ein Fortsetzer gesucht habe, durch
äufsere Mittel (gröfsere Truppenzahl, höhere Stellung des
Gegners u. s. w.) seinen Vorgänger zu übertrumpfen, aber
entscheiden könnten wir nichts.
Nun hat Scholle 1 ) versucht, aus sprachlichen Gründen die
»Baligantepisode«, die er als von O V. 2570 — 2844 und 2974
bis 368 1 reichend angiebt, als einen späteren Einschub in das
Rolandslied zu erweisen. Er macht nämlich darauf aufmerksam,
dafs eine Reihe von Wendungen und sogar Verszeilen aus-
schliefslich Bai. (= Baligantepisode) angehöre.
Dönges polemisiert gegen ihn in seiner Schrift »Die Baligant-
episode im Rolandsliede« S. 2: »Die gröfsere Ausdehnung von
Rene. (= dem übrigen Teile des Rol.) gegenüber Bai., dazu
der Zufall, das sind die beiden Faktoren, welche alle bei-
gebrachten Verschiedenheiten zwischen Rene, und Bai. ver-
anlagst haben oder doch veranlagst haben können.« Aehnlich
Gautier, Epopees fran^. I 8 425 Anm.
Auch ich bin der Ansicht, dafs Scholles Ausführungen
allein nicht genügende Beweiskraft haben, wenn sie auch
1) Zeitechr. f, rom. Phil I, a6&
- 44 -
entschieden eine solidere Basis haben, als die von Gautier an-
geführten Gegengründe, auf die ich noch zurückkomme. Trotz-
dem gebührt ihm das Verdienst, und das sollte ihm bei aller
Kritik im Einzelnen nicht vergessen werden, diese Frage zuerst
angeregt, zuerst den Mut gehabt zu haben, und dessen bedarf
es in solchen Dingen, die Unursprünglichkeit eines gröfseren
Teiles des Rolandsliedes zu behaupten.
Deutlicher sprechen die Ueberlieferungen in fremden
Sprachen, die Scholle noch nicht benutzt hat. Zunächst weifs
die Karlamagnussaga von dieser ganzen Episode nichts. Die
Ks. giebt aber, wie ich im ersten Kapitel ausführlich dargelegt
habe, soweit die Uebereinstimmung der Handschriften reicht,
ihre Vorjage zwar nicht immer wörtlich, aber doch so getreu
wieder, dafs sie nicht das geringste Faktum ausläfst. Und dies
ist auch nach ihrer ganzen Anlage zu erwarten. Sie ist kein
Compendium, sondern eine Sammlung mit Liebe unter-
nommener Uebersetzungen.
Pönges ist anderer Ansicht. Er sagt (a. a. O. S. 5): »Die
Redaktion n [■* nordisch], sonst von grofser Treue, kürzt gegen
Ende ihre Vorlage bedeutend. Die Verse 2570—2844 und
2974 — 3?33 läfst sie ganz aus. Hierin lag unter andern Episoden
auch Bai. Der Grund jedoch für den Sprung von 2569 auf
2845 ist ersichtlich . . . Das grofse Zwischenspiel [das zwischen
diesen Versen stattfindet] schien wohl dem nüchternen nor-
dischen Bearbeiter zu lang. Er liefs daher 2845 f. sofort auf
256g folgen. Nunmehr mufste auch der zweite Teil von Bai.
(2974flf.) in n fehlen.«
Mir scheinen diese Sätze von gröfserer Subjectivität zu
sein, als gestattet ist. Woher sollen wir den Mafsstab für den
Geist des nordischen »Bearbeiters« und den Charakter seiner
IJebersetzung nehmen, als aus dieser selbst? Was rechtfertigt
aber da das Prädikat »nüchtern«? Giebt er nicht alle Wunder-
geschichten ohne jeden Scrupel wieder und sogar Wieder-
holungen ein und desselben Vorfalls, deren ermüdende Wirkung
er doch zuerst hätte übel empfinden müssen, wenn man über-
haupt im Mittelalter derartige kritische Gedanken gehabt hätte.
Und wenn der Uebersetzer sich noch vorgesetzt hatte, Rolands
Geschichte zu erzählen! Aber nein, er vereinigt sämmtliche
Erzählungen der Thaten Karls des Grofsen ?u einem Cyclus
— 45 —
und Sollte grade den Steg ausgelassen haben, der viel ge-
waltiger war, ab alles vorher Erzählte! Vielmehr hoffe ich,
dafs Jeder, der meinen Ausführungen im ersten Kapitel gefolgt
ist und selbst eine Verglekhung der Ks. mit den französischen
Texten vornimmt, die Ueberzeugung gewinnen wird: die Ks.
hat nichts ausgelassen, sondern alles das treu wiedergegeben,
was ihre Vorlage bot.
Und sie steht mit der Auslassung von Bai. nicht allein da,
auch das Carmen, auch der Pseudoturpin entbehren dieselbe.
Wie will man diese wunderbare Uebereinstimmung ariders
erklären, als daraus, dafe es eine Version des RoL gab, die
ohne diese Fortsetzung war?
Aber es fehlt auch nicht an inneren Gründen für diese
Behauptung. Betrachten wir die Stelle unseres Gedichts, wo
Baligant, oder wie er auch heifst, der Admiral, zuerst genannt
wird. Es isf dies Str. 190 der Müllerschen Ausgabe; zu dieser
gehört aber unmittelbar Str. 189 und die eigentliche Naht, durch
die Bai. an das Vorhergehende geheftet wird, ist in den
Versen 2568/69 noch deutlich sichtbar. Doch ist die Sache
nicht leicht in Kürze darzustellen. Str. 187 und 188 enthalten
mehrere Träume Karls, deren Erklärung bedeutende Schwierig-
keiten macht Sie können, wie ich an anderm Orte zeigen
werde 1 ), ursprünglich überhaupt nicht hier gestanden haben.
Vorläufig kommt es uns nur darauf an, die Fassung des Ge-
dichtes, auf der die Ks. beruht, (x), vor Augen zu führen*
Auch in dieser mufs eine gewisse Gedankenverbindung zwischen
den Träumen und der nachfolgenden Erzählung stattgefunden
haben. Durch die Träume der Str. 187 zieht sich nun als
deutlich erkennbares Motiv, dafs die Franzosen in grofser Not
sind und Karl zu Hülfe rufen. So
2541 En grant duhir i veit ses Chevaliers
und 2546 E Franceis crient: Carlemagnes aidiezl
Von Baligant ist nirgends die Rede, nur im Allgemeinen von
einem gefährlichen Kampf der Franzosen. Die Strophe schliefet
damit, dafs Karl selbst von einem Löwen angegriffen wird
und es ungewifo bleibt, ob er siegen wird.
Höchst unpassend ist die Strophe 188 hinzugefügt, in der
i) s. Excurt.
— 46 —
*
Karl von der Bestrafung Ganelons träumt, einem den Hörer
jetzt gar nicht angehenden Gegenstande. Anscheinend hat sich
die Ks. hier eine Aenderung gestattet, denn die Verse
2558ff. Devers Ardene veeit venir trente urs,
Cascuns parolet altresi cume hum.
Diseient li: Sire, rendez le nus:
II nen est dreiz que il seit mais od vus;
Nostre parent devum estre ä sucurs.
übersetzt sie ganz abweichend (Kap. 38 Ende): »und er sah
3o Mann nach der Stadt ziehen, welche Ardena heifst, und sie
redeten mit einander und sagten so: »Der König Karlamagnus
ist überwunden und er ist nimmer mehr würdig, die Krone
in Frankreich zu tragen.« Aber es liegt vielmehr ein starkes
Mifsverständnis vor, dessen Grund evident ist. Der Uebersetzer
mufste in dieser Strophe etwas dem Vorhergehenden Paralleles
erwarten; den Traum auf Ganelon zu deuten kam ihm nicht
ein, weil von ihm in diesem Abschnitte nicht die Rede ist
Auch mit dem Folgenden wufste er nichts anzufangen. Denn
es erzählt dieselbe Strophe (O T 188) wieder einen Zweikampf,
dessen Ausgang für den Anhänger Karls ebenso bedenklich ist,
wie die früheren 1 ). Nun, denkt man, wird Karl, durch alle
diese Träume erregt, endlich aufspringen und den Seinigen zu
Hülfe eilen. So erzählt auch die Ks. (Kap. 3g Anfg.):
»Hierauf nun, da erwachte der König und dachte an seine
Träume und sie dünkten ihm schrecklich, wie es auch war.
Alsdann ürsten seine Mannen ihre Pferde, und als sie gerüstet
waren, da ritten sie nach Runzival.« Dagegen hat « geändert.
Der König weifs nicht, wer in dem Kampf Sieger bleibt, aber
— der Engel Gabriel sagt es ihm und er kann daher ruhig
bis zum Morgen schlafen. Schon beim blofsen Durchlesen der
Tirade fühlt man, dafs mit V. 2568 nicht sowohl ein
Umbiegen, als ein Umbrechen der Erzählung stattfindet, und
selbst Gautier, der mit einer Art von Fanatismus, wenn der
Ausdruck nicht zu stark ist, für die Einheit des Rol. und jedes
seiner Teile eintritt, hat es nicht unterlassen können, durch
einige Punkte hinter V. 2567 anzudeuten, dafs hier der Ge-
f ) 2567 mais 90 ne set li quels veint ne quels nun
parallel mit
2553 mais 90 ne set quels abat ne quels chiet.
- 47 -
dankengang gewaltsam unterbrochen wird. Obwohl auch, wie
gesagt, in Ks. der Zusammenhang zwischen den Träumen und
dem Folgenden, und zwar aus erkennbaren Gründen, nur ein
loser ist in O besteht gar keiner. Hier sind sie gänzlich über-
flüssig. Die Schlufszeile
Carles se dort tresqu 1 a l'main a l'clair jur
soll offenbar den Ueberarbeiter nur entschuldigen, wenn er
Karl jetzt verläfst, um sich mit Marsilies und Baligaut zu be-
schäftigen. Ich glaube nach allem dem kann es nicht zweifel-
haft sein, dafs die Version der Ks. ursprünglicher ist, als die
von O und den übrigen fr. Hs.
Ich sagte oben, die Strophen 189 und 190 bildeten die
Ueberleitung zur eigentlichen Bai. Wie geschieht diese? Der
Heidenkönig Marsilies ist aus der Schlacht entflohen, nachdem
ihm Roland den rechten Arm abgeschlagen hatte (Str. 144).
Die genannte Tirade führt ihn nun uns vor, wie er in Saragossa
von seinen Wunden ermattet in seiner Kammer liegt, die
Königin Bradimunde neben ihm, laut weinend und sich die
Haare vor Schmerz ausraufend (25g6). .Auf einmal ruft sie aus:
»Unsere Götter haben treulos gehandelt, indem sie uns die
Schlacht verlieren liefsen, und der Admiral würde feige
handeln, wenn er nicht gegen dieses kühne Heer [der Franken]
zu Felde zöge. Es ist ein Jammer, dafs Niemand den Kaiser
tötet« Damit ist das Auftreten Baligants und sein Zweikampf
mit Karl allerdings, aber in äufserlicher Weise vorbereitet.
Bramimunde kommt nun in dem ganzen vorhergehenden
Teile 1 ), den ich, dem Beispiele Stengels folgend, mit MR
(= mort Roland) bezeichnen will, nur an einer Stelle vor.
Es ist dies Str. 5i und hier haben sie nicht nur die sämtlichen
fr. Hs., sondern auch die nordische Ueberlieferung und selbst
das Carmen. Also ist ihr Auftreten an dieser Stelle der Er-
zählung schon für eine ziemlich alte Fassung des Gedichts
gesichert. Aber es ist ein ephemeres; sie kommt sonst in C
nicht vor 2 ), in T überhaupt nicht, und selbst in Ks. wird sie
nirgend mehr erwähnt, während sie die fr. Hs. noch an
mehreren Stellen nennen. Wie will man dieses gemeinsame
Schweigen von C, T und Ks. in so zahlreichen Fällen anders
*) von V. 1-25G7.
*) aufser V. 140, wo sie dem Blancandrin der franz. Redaktionen entspricht
— 48 -
-erklären als dadurch, dafs sämmtliche Strophen, die von Bratni-
munde handeln (aufser der ersten) Hinäufügungen eines Ueber-
arbeiters sind?
Dazu tritt der Umstand, dafs die Frauen in MR von sehr
geringer Bedeutung sind, im ursprünglichen Roland vielleicht
von garkeiner waren. Das geht soweit, dafs, als ftoland im
Sterben liegt, er seines Schwertes, des Kaisers, seines Vater-
landes gedenkt, aber von einer geliebten Frau vernehmen wir
kein Wort. Welche Rolle spielt dagegen Bramimunde ausser-
halb MR! Nachdem Marsilies stark verwundet worden ist,
nimmt sie die Leitung der Geschäfte in die Hand. Als die
Gesandten des Baligant vor Marsilies erscheinen, ist sie die
erste, welche ihnen antwortet, sie begrüfst dann auch Baligant,
selbst bei seiner Ankunft. Später besteigt sie den Turm, um
den Gang der Schlacht mit anzusehen, und sie ist es schliefslich,
die dem Kaiser die Stadt Saragossa Ubergiebt
Und es ist etwas ganz Spezielles, was sie auszeichnet.
Sie ist die einzige unter allen Heiden, die die heidnischen
Götter verachtet, die Ueberlegenheit des Christentums anerkennt,
ja sich zuletzt aus reiner Ueberzeugung (par veire conoissance)
taufen läfst. Wird man da nicht zu dem Gedanken gebracht,
dafs der Dichter, der diese Nebenperson zu seiner Lieblings-
figur erhoben hat, ein Mann war, dem theologische Interessen
näher standen, als dem ursprünglichen Dichter des Rolands-
liedes? Wird man nicht in dem Eifer, mit dem immer wieder
deducirt wird, dafs die Heiden Unrecht haben, einen Hauch
. verspüren von jener Begeisterung, die in den letzten Jahrzehnten
vor den Kreuzzügen jede Brust erfüllte?
Mit Str. 191 beginnt die Erzählung ganz von Neuem:
Li Emperere, par sa gram poestet
Set anz tupz leins ad en Espaigne estet etc.
Prent i castels e alquantes citez«
Dabei findet eine Gabelung der Handlung statt: es wird auf
ein Ereignis, das sich früher ereignet haben soll, zurück-
gegangen, und diese Vorgeschichte bis zu dem Punkte fort-
gesetzt, wo sie sich mit der ersten Handlung berührt. Aus
andern Gesten ist mir ein ähnlicher Vorgang nicht bekannt,
vielmehr wird immer schlichtweg eines nach dem andern er-
zählt. Ein Dichter, der die Geschichte von Baligant aus der
— 4$ —
volkstümlichen Tradition kannte und verwerten wollte, würde
schwerlich zwei Drittel des Gedichtes hindurch absichtlich
vermieden haben, ihn zu nennen, um ihn jetzt, wo Marsilies
in der gröfsten Bedrängnis sich befindet, als Retter in der Not
erscheinen zu lassen. Ein solcher Effect wäre zu gesucht und
würde der einfachen Darstellungsweise der Zeit nicht ent-
sprechen. Ferner aber zeigt diese Stelle auch eine Anzahl
plumper Widersprüche. Wenn z. B. fortgefahren wird:
2612. Li reis Marsilies s'en purca^at asez;
A 1' premier an fist ses briefs seieler,
En Babilunie, Baligant ad mandet . . .
En Sarraguce l'alt sucurre li ber —
wie konnte Marsilies schon im ersten Jahre, als Karl eben
nach Spanien zog, wissen, dafs dieser ganz Spanien einnehmen,
ihn selbst in Gefahr bringen und dafs er Baligants grade bei
Saragossa bedürfen würde? Zeigt er doch noch sieben Jahre
später eine grofse Siegesgewifsheit. Er will sich zwar Karl
unterwerfen, aber nur zum Schein, um ihn desto leichter los
zu werden, sonst aber rühmt er sich Ganelon gegenüber:
565. Quatre cenz milie Chevaliers pois aveir,
Pois m'en cumbatre a Carle et a Franceis,
und, wie wir uns nachher überzeugen, ist dies keine blofse
Pralerei. Erst als Ganelon ihm aufs Entschiedenste erklärt,
sein grofses Heer würde ihm diesmal nichts nützen, Karl habe
solche Helden, dafs ihnen gegenüber kein Widerstand möglich
sei, geht er auf Ganelons Rat, sich in den Hinterhalt zu legen,
ein. Bei diesem Gespräche und auch sonst hatte Marsilies
Gelegenheit genug, den Admiral zu erwähnen, seine Ver-
wunderung auszusprechen, dafs er nicht käme; die an ihn
gesandten Boten mufsten längst zurück sein und ihm irgend
eine Antwort gebracht haben — nichts von alledem. Aber es
erklärt sich dies recht gut, wenn wir annehmen, dafs ein
Compilator zwei ursprünglich unabhängige Erzählungen mit
einander verbunden habe.
Der Einschub, der mit der citirten Tirade beginnt, geht
bis V. 2847. Zunächst wird die Seefahrt Baligants, des
Admirals beschrieben. Diese Strophen tragen ein MR fremdes,
orientalisches Gepräge: der Admiral herrscht über Babylonien,
seine Flotte hat er im Hafen von Alexandrien gesammelt; diese
4
— 50 —
selbst wird in ihrer Pracht geschildert, ihre Karfunkel und
Laternen werfen so hellen Schein, däfs das Meer weithin davon
erglänzt. Als der Admiral in Spanien gelandet ist, schickt er
Boten an König Marsilies nach Saragossa. Hier häufen sich
von Neuem die Widersprüche. 2645 heifst es, die Flotte fährt
den Ebro hinauf und kommt nach Saragossa:
A icel jur vienent a Saraguce.
Wenn der Admiral selbst schon vor Saragossa ist, braucht er
doch keine Boten mehr zu schicken, um den Marsilies von
seiner Ankunft zu benachrichtigen (2674). Und dazu wird
noch ausdrücklich gesagt, dafs die Boten weit zu reiten haben:
2689 Tant chevalchierent qu'en Saraguce sunt.
Es kann also die Tirade 193 und ebensowenig:
V. 2638 Jusqu' a Marsilie en parvunt les nuveles
neben dem Andern bestehen. Scheidet man aber diese aus,
so erhält man in T. 192 bis V. 2637 und T. 194 den Anfang
einer selbständigen Erzählung, des Inhalts, dafs ein Emir in
Spanien landet, um mit den Franken zu kämpfen, die mit
Rol. nicht das Geringste zu tun hat Diese ursprüngliche
Unabhängigkeit tritt besonders dadurch hervor, dafs der
Admiral Karl en France angreifen will, während er doch durch
die Boten des Marsilies wissen mufs, dafs Karl sich in Spanien
befindet, denn diese haben ihm gemeldet:
2617 En Saraguce l'alt sucurre li ber.
Es ist erklärlich, dafs diese vielen Widersprüche sich grade
bei der Verknüpfung der beiden Erzählungen finden, da es
dem mittelalterlichen Redaktor schwer wird, sich völlig in eine
fremde Situation zu versetzen 1 ).
Die Boten des Baligant treten in das Zimmer, in dem der
verwundete Marsilies liegt und finden die Königin an seinem
Bette. Diese spricht zuerst und teilt ihnen mit, dafs sie garnioht
nach Aachen zu reiten brauchten, um Karl anzugreifen:
2735 Plus pres d'ici purrez truver les Francs,
En ceste terre unt estet ja set anz.
Dann fährt sie mit Lobeserhebungen auf Karls Tapferkeit fort.
Aber Marsilies unterbricht sie und erklärt sich bereit, Baligants
Lehnsmann zu werden, wenn es diesem gelänge, Karl zu
i) Vgl das Beispiel, das ich S. 19 aus der Pariser Ha, angeführt habt.
— 51 —
, - ♦ • . *
besiegen. Nach der Rückkehr der Boten reitet Baligant selbst
nach Saragossa, die Königin kommt ihm entgegen Und wirft
sich ihm zu Füfsen. Marsilies überreicht ihm seinen Handschuh
als Zeichen der Vasallenschäft. Darauf steigt Baligant zu Pferde
und ruft:
2844 Venez, paien, kar ja s'en fuient Franc.
Damit lenken wir wieder in die frühere Erzählung ein.
2845 — 48 gehören noch zu Bai., V. 2S49 dagegen schliefst sich
direkt an 2667 an: Karl wird durch den letzten Traum geweckt,
er springt auf und greift zu den Waffen und auch das ganze
Heer rüstet sich. Denn dafs hier ungefähr:
Li reis se drece si li rendent ses armes
»
Et si s'adubent etc.
•zu lesen ist, hat Förster (Zeitschr. f. r. Phil. II, 177) über-
zeugend dargetan. Es ist nämlich 2498 ausdrücklich gesagt,
dafs der Kaiser die ganze Nacht gerüstet bleibt:
Icele noit ne s' voelt il desarmer.
Er hat seinen Panzer angezogen und seihe Lanze neben sich
gestellt, so dafs er sie am Morgen nur zu ergreifen braucht u. s. f.
Von den Franken ist garnicht gesagt, dafs sie die Nacht über
in der Rüstung geschlafen haben, so dafs sie diese auch nicht
ani Morgen ablegen können, >#ozu überhaupt nicht der mindeste
Grund vorhanden ist. Warum hat also « geändert? Weil die
Beschreibung, wie Karl und die Seinigen sich vor dem Beginn
der Schlacht rüsten, ein für den damaligen Geschmack not-
wendiger Bestandteil der folgenden Erzählung war und ihr
daher im Folgenden die Tir. 217 und 218 speziell gewidmet
werden. « fand diese wahrscheinlich schon vor und suchte
durch seine Aenderung den Wiederspruch zwischen ihnen und
der T. 2o5 zu beseitigen, vergafs aber auch T. i85 zu ändern.
Die Naht ist hier so deutlich sichtbar, wie man nur
wünschen kann. Gesetzt selbst, Dönges hätte Recht, dafs die
Ks. die Tir. 189—204 aus ästhetischen Gründen ausgelassen
habe, was hätte sie bestimmen sollen, noch von der folgenden
Strophe die ersten 4 Zeilen wegzulassen? welche lauten:
2845 A V matinet, quam primes apert Falbe;
Esveilliez est li emperere Carles.
Seinz Gabriel, ki de par Deu le guardet,
Lievet sa main, sur lui fait un sighacle.
4»
- 52 -
An ihrem geistlichen Inhalte hat Ks. sicher keinen Anstofc
genommen, da sie z. B. Kap. 36 die Aufzählung der Reliquien
treu wiedergiebt In Wirklichkeit sollen diese Verse an die
gleichfalls von « herrührenden V. 2568 6g anknüpfen: der
Engel Gabriel hat Karl beim Einschlafen beruhigt, der Engel
Gabriel segnet ihn am Morgen,
Auch von dem Abschnitt 2849—2973 '), der nicht zu Bai.
gehört, bietet Ks. nicht Alles. Es fehlen ganz die Repititions-
strophen 209—212. Gesetzt wiederum, Ks. hätte diese aus-
gelassen; welches auch noch so schwache Motiv kann man
dafür anführen, dafs sie auch die übrigen Tiraden geändert
hat? Wenn sie erzählt, dafs, als Karl ohnmächtig wird, der
Herzog Naimes, der in MR überall sein Berather und Freund ist,
ihm hülfreich beisteht, indem ex frisches Wasser herbeiholt und
ihn mit demselben bespritzt, « dagegen diese Bemerkung unter-
drückt und dafür zu Naimes li dux hinzufügt:
2882 e li quens Acelins
Geffreiz d' Anjou e sis frere Tierris
welches von Beiden ist wohl ursprünglicher?
Da auch 2945 der Herzog Naimes von Geoffroy von Anjou
sogar verdrängt wird und Letzterer auch 2951 nur in a er-
wähnt wird, so . kann an der Tendenz des Verfassers dieses
Abschnittes, das Haus Anjou zu verherrlichen, indem ein Vor-
fahre des damals lebenden Geschlechts als die Hauptstütze
Karls des Grofsen bezeichnet wird, nicht gezweifelt werden.
Dieselbe zeigt sich auch ebenso deutlich in dem Zweikampf
zwischen Pinabel und Tierry. Als Karl Ganelon verurteilen
lassen will, sieht er sich von allen seinen Baronen verlassen.
Nur Tierry tritt für ihn ein:
3823 Curteisement l'Empereur ad dist:
Bei sire reis, ne vus dementez si,
Ja savez vus que mult vus ai servit.
Tierry ist aber der Bruder Gottfrieds von Anjou (3819. 3938.).
Auch dieser ganze Abschnitt tehlt in Ks. Folglich ist das
Mehr, das « gegen Ks. bietet, auf 2 verschiedene Quellen
zurückzuführen. Die Redaktion x hatte zunächst in y eine
Fortsetzung erhalten, die die schon vorhandne Klage Karls
1) den ich 4*r Kürze halber mit MR 9 bezeichnen werde.
— 53 —
über Rolands Jod um einige TiradeH vermehrte, aufserdem
aber den Bericht über die Bestrafung Ganeions, der in x noch
ganz kurz gewesen sein mufs (vgl. Ks. Kap. 41), bedeutend
erweiterte. In die Redaktion y wird dann auf die von mir
geschilderte Weise Bai. eingefügt. Während in y die Episode
von Ganeions Bestrafung zwar einen verhältnismäfsig zu grofsen
Raum einnimmt, aber doch den Haupthelden Roland immer
noch wenigstens im Hintergrunde zeigt, verschwindet er in
Bai. vollkommen *). Die wenigen Stellen, an denen sein Name
genannt wird, haben gar keinen Einflufs auf die Handlung,
und machen nur deutlicher, dafs Bai. ursprünglich ein ge-
sondertes, zu Karls Ruhme gedichtetes Lied war.
So komplizirt meine Ansicht, zwischen Ks. und « wieder
eine neue Zwischenstufe anzunehmen, erscheinen mag, noch
schwieriger ist es, das y Gehörige auszuscheiden, da wir hier-
bei durch keine handschriftliche Ueberlieferung unterstützt
werden. Und dennoch ist nicht nur die Stufe y notwendig,
sondern in MR 2 wieder T.211 als y nicht gehörig zu be-
zeichnen. Der Inhalt dieser Tirade stimmt nicht zu den An-
schauungen von V R (3734—3975). V. 2920 fürchtet Karl, es
könnten sich jetzt nach dem Tode Rolands die heidnischen
Völker, die Polen, Ungarn und Sachsen, wieder gegen ihn
erheben. Diese Auffassung entspricht den geschichtlichen
Verhältnissen zur Zeit Karls, welche, wahrscheinlich weil schon
in alter Zeit ein Epos seine Sachsenkriege feierte, in der
Tradition festgehalten wurde. Damit harmonirt auch V. 233o*),
wo bei der Aufzählung der eroberten Länder Sachsen neben
Konstantinopel gestellt wird, und Bai. wo unter den Schaaren
der deutschen Völker aufser den Franken noch Baiern und
Allemannen, aber nicht die Sachsen genannt werden, y dagegen
basirt nicht auf der alten Tradition, sondern auf der unmittel-
baren Vergangenheit, auf Zuständen also, wie sie gegen Ende
So ist man ganz erstaunt, dafs Karl bei dem Zweikampf mit Baligant, als
dieser von ihm Rache verlangt für den Sohn, den er ihm getötet (3591), ihm nicht
antwortet: Und Dein Bundesgenosse Marsilies hat mir meinen Roland getötet, der mir
teurer war als mein Sohn !
*) und der Vers:
Constetinoble e Saisunie la large
der hinter V. 571 aufzunehmen ist, da ihn aufser den jüngeren fr. Hs. und Kr. auch
Ks. hat S. Müllers Ausg. S. 30 Anm.
- H -
des 10. s, in Deutschland und Frankreich geherrscht haben.
Da sind die Ratgeber der Krone in erster Linie B^iern und
Sachsen (3700 u, 3792); ferner wird der König seinen Filme*
gegenüber als unselbständig und machtlos dargestellt, wie es,
die letzten Karolinger waren und er resjdirt in Laon, der
einzigen Stadt, welche denselben im Kampfe gegen die Robertiner
am Ende des 10. s. geblieben war. Der Ueberarbeiter £ pro-
testirt gegen diese Stelle, indem er die in MR herrschenden
Anschauungen auch hier fortzusetzen sucht. Denn;
2909 Amis Rolanz, jo m'en irai en France.
Cum jo serai a Leuu, en ma cambre
setzt er entgegen
2916 Amis Rolanz prozdum, juvente bele,
Cum jo serai ad Ais en ma capele.
Aber, und das ist das Charakteristische für diese Bearbeitungen
der eh. de gester das Alte bleibt daneben stehn 1 ).
Ich fahre fort, die Widersprüche aufzuzählen, welche es
als unmöglich erscheinen lassen, dafs M R und Bai. von einem
Dichter herrühren. Durch leinen oder sogar zwei derselben
läfst sich das Ende von Bai. genau bestimmen. Dasselbe bildet
der V. 3683. Denn erstens findet zwischen diesem und dem
folgenden Verse ein Wechsel der Person statt:
3682 Repairiet sunt ä joie e a baldur.
Passent Nerbone par force e par vigur . . .
Vtent a Burdele la citet de valur:
Desur l'alter seint Sevrin le barun
Met Polifant plein d'or et de manguns,
Li pelerin le veient ki la vunt.
Man könnte noch einwenden, auch das Gericht über Ganelon, das doch zu
y gehören soll, fände in Aachen statt Aber die Verse, in denen Aachen vorkommt,
scheinen sämmtlich nachträglich angeflickt zu sein. So sollen 3695 ff einen not-
dürftigen Zusammenhang mit dem Folgenden darstellen ; dafs sie ein Tiradenanschub
sind, ergiebt sich ferner aus der Mischung der Assonanz von u vor Nasal und u vor
andern Konsonanten. In Tir. 27a Ais aufzunehmen, wurde der Ueberarbeiter schon
durch die von ihm eingefügte Romanze (s. darüber später) T. 270 veranlafst; ihre Un-
ursprünglichkeit, wie auch die der Tir. 273 verräth auch die vollkommene Gleich-
setzung von ai und e in der Assonanz. Tir. 273 macht sich aufserdem noch durch
die Berufung auf die geste verdächtig und ebenso V. 3945/46 durch das Fremdwort
ocisiun (s. hierüber den Anhang). Läfst man aber diese eingestreuten Verse weg, so
enthält die Erzählung von der Bestrafung Ganelons keine Andeutung «uf Aachen, und
der Schauplatz derselben kann ebenso gut Laon gewesen sein.
— 55 —
Zweitens liegt Narborine nicht auf dem Wege von Saragossa
nach Bordeaux. Zwei Pässe konnte Karl benutzen, um von
Spanien nach Frankreich zu gelangen, den westlichen über
Ronceval, oder einen östlichen. Nach MR hat er Saragossa
nicht eingenommen, sondern befindet sich in Ronceval (V. 2855).
Von dort aus konnte er in der That auf direktem Wege nach
Bordeaux gelangen. Es ist daher anzunehmen, dafs in y sich
V. 3684 (vient a Burdele etc.) an V. 2973 anschlofs, nur sind
wahrscheinlich ein oder mehrere Verse voraufgegangen, welche
der Ueberarbeiter unterdrückt hat Auf diese Weise ist ein
ganz klarer und naturgemftfser Verlauf der Erzählung her-
gestellt. Nun gab es aber daneben eine Version, dafs Karl
auf dem Rückzuge aus Spanien Narbonne ') eingenommen habe;
darauf spielt « an, vermischt die beiden Versionen und begeht
damit eine Ungeheuerlichkeit. Denn befand sich Karl einmal
erst in Narbonne, so war gar kein Grund vorhanden, den
aufserordentlichen Umweg über Bordeaux und Blaive zu
machen, um nach Aachen zurückzukehren.
Was nun das in den zuletzt zitirten Versen erwähnte Hörn
und das Schwert Rolands anbetrifft, so sind auch hier die
Angaben unsres Gedichtes an verschiedenen Stellen gradezu
entgegengesetzt:
I. Die Darstellung in x.
a) In den Tir. 173 — 175 ist davon die Rede, dafs Rol.
mehremals versucht, sein Schwert am Felsen zu
zerschmettern, damit es nicht in die Hände der Feinde
falle. Als ihm dies nicht gelingt und er merkt, dafs
ihn der Tod überkommt, legt er es sich sammt dem
Hörn unter den Kopf (2358). In MR ist dann das
Schwert plötzlich verschwunden 2 ); wir hören nichts
mehr von ihm; und in Bordeaux wird über dem Altar
*) Diese ist in dem Cyclus des Aimeri von Narbonne heimisch, aus welcher die
Hs. V einen Teil in das Rol. eingefügt hat
*) Als Karl die Leiche Rolands findet, ist in O (Tir. 307) von dessen Waffen
ganlicht die Rede, was doch sehr merkwürdig ist. Dagegen hat Ks. (Kap. 39): »sie
fanden Rollant inmitten von 4 schönen Steinen liegen, und sein Schwert lag unter
seinem Haupte, {und er hielt mit seiner rechten Hand den Griff,] und in der [linken]
Hand hatte er sein Hörn Olivant« Das von mir Eingeklammerte ist vermutlich
Zusatz der Vorlage von Ks., um die unmittelbar folgende, ihr eigentümliche Schwert-
episode (a. Kap. I) anzuknöpfen. Die dem Uebrigen entsprechenden Verse mufs tber
« weggelassen haben.
— 56 —
des heiligen Severin nur das Hörn aufgehängt (3686).
Was ist aus dem Schwerte geworden? Ks. sagt es
uns (Kap. 3g Ende): »er (Karl) warf das Schwert in
das Wasser, weit ab vom Lande, da er wufste, dafs es
Niemand geziemte, es in Zukunft nach Rollant zu
tragen.«
b) Das Hörn Rolands ist gespalten, als er es einem Heiden
auf den Kopf schlug:
V. 2288 Si Ffiert en Thelme ki gemmez fut ad or
Fruisset Tarier e la teste e les os etc.
Roland drückt seine Freude darüber aus, setzt aber
mit Bedauern hinzu:
2295 Tenduz en est mis olifant el' gros 1 )
(Ja J us en est 1* cristals e li ors.
Daher kann es seinen Dienst nicht mehr verrichten
und wird, wie erwähnt, als Reliquie über dem Altar
aufgehängt.
II. Die Fassung in «.
Vor der Baligantschlacht wird das Schwert und das Hörn
Rolands an Rabel und Guineman übergeben, welche die ersten
Heeresabteilungen führen sollen: Karl sagt zu ihnen:
3oi6 Seiez es lius Olivier e Rollant
L'uns port Pespee, e Taltre F olifant,
Und man kann nicht einmal zu der gezwungenen Erklärung
seine Ausflucht nehmen, das Hörn sei durch den Schlag, der
so kräftig war, dafs er den eisernen Helm und den Kopf des
Heiden zerschlug, zwar stark beschädigt worden, aber es hätte
noch immer einigermafsen seinen Dienst versehn können.
Denn es heifst ausdrücklich, dafs es alle andern Hörner über-
tönt habe:
1 ) Gautier übersetzt diesen Vers:
Le pavillon de mon olifant en est fendu,
also wörtlicher: gespalten ist mein Hörn auf seiner breiten Seite; ebenso Littre" bei
Besprechung dieser Stelle s. v. gros - dans la partie grosse ; ich dagegen fasse es auf
als »gespalten ist das Hörn zu seinem gröfsten Teile und dies scheint auch der Aus«
druck zu meinen, den Herz in seiner Uebersetzung anwendet:
»Zersprungen ist mein Olifant im Kern.«
Wie man die Konstruktion auch grammatisch auffasse, der Sinn mufs sein: »ganz
und gar«.
— 57 —
33oi Li Emperere i fait suner ses graisles
E Folifant ki trestuz les esclairet 1 ).
Aber ist es gerechtfertigt, diesen Widersprüchen einen
solchen Werth beizulegen? Verfalle ich dabei nicht in den-
selben Fehler, den ich an Andern gerügt habe, indem ich von
einem Dichter des Mittelalters voraussetze — was denn? ein-
fache Logik, Ordnung und Zusammenhang der Erzählung.
Und diesen dürfen wir erwarten. Denn soweit meine Kenntnis
der französischen Litteratur älterer Zeit reicht, läfst sie in
dieser Beziehung nichts zu wünschen übrig, und grade unser
Rolanddichter zeigt sich an verschiedenen Stellen als Meister
der anschaulichen Darstellung. Dazu ist er von einem so
warmen Interesse für seinen Helden beseelt, dafs es unmöglich
ist, anzunehmen, dafs er dessen Schwert zuerst ins Wasser
werfen und dann einem Andern übergeben läfst. Letzteres
ist schon an sich unangemessner, als die Fassung von Ks.
Der Beweis einer Interpolation wird vollständig, wenn man
zeigen kann, wie dieselbe entstanden ist. Es scheinen mir in
unserem Falle nur 3 Annahmen möglich zu sein: « konnte
den Stoff entweder gänzlich seiner Phantasie verdanken, oder
er entnahm ihn der volkstümlichen Tradition, oder endlich
er verarbeitete nur ein schon vorhandenes Gedicht. Das erste
ist das Unwahrscheinlichste ; mehrere Gründe veranlassen mich,
auch gegen die zweite Annahme zu sein. Hätte « seine Fort-
setzung selbständig verfafst und nicht fertige Tiraden vor-
gefunden, die er ohne Weiteres benutzte, so hätte er die
zahlreichen Incongruenzen, von denen ich gesprochen habe,
vermieden und das Spätere mit dem Früheren besser ver-
knüpfen können. Jetzt aber sind die Beziehungen so lose,
dafs, wenn man einige Tiraden fortläfst, Bai., wie ich schon
andeutete, eine ganz selbständige Erzählung bildet, die mit
Roland gar nichts zu thun hat.
Ferner tragen grade diese Verbindungsstrophen, in denen
meist Bramimunde vorkommt, ein stark geistliches Gepräge,
das den übrigen Tiraden von Bai. nicht zukommt 2 ).
1 ) vgl. über diesen Abschnitt Dönges a. a. O. S. n ff. der noch die jüngeren Hs.
heranzieht und dessen Darstellung dadurch genauer, aber verwickelter geworden ist,
als die meine. Mir scheint schon aus den obigen Anführungen der Thatbestand klar
hervorzugehn.
9 ) s, Exkurs,
— 58 —
Schliefslich sind wir sogar in der Lage/ das Gedicht, das
Bai. zur Quelle gedient hat, in einem gewissen Grade kennen
zu lernen. Dönges hat 1 ) mit Recht darauf hingewiesen, dafs
eine grofse Aehnlichkeit zwischen der Baligantepisode und der
Erzählung von der Jugend Karls besteht, welche uns im
deutschen und französischen Karlmeinet und in der cronica
general de Espagna erhalten ist. Nur vermuthe ich, dafs diesen
Darstellungen eine viel ältere eh. de geste zu Grunde liegt.
Ein Zweikampf Karls des Groben mit einem Sarazenen wird
schon im Haager Fragment*) geschildert und es ist wohl auch
kein Zufall, dafs der dort vorkommende Name Borel uns in «
in V. i388 begegnet, während Ks. nichts entsprechendes bietet.
Wahrscheinlich war dieser Zweikampf der Kern einer besondern
geste (b), die eben zu Karls Ruhme gedichtet war. Im u. Jhr.
vielleicht, unter dem Einflufse der zahlreichen Pilgerfahrten
nach dem heiligen Land, erhielt dieselbe das orientalische
Colorit und später verband ein Compilator, der sie kennen
gelernt, diese Geste in ziemlich loser Weise mit dem Rol. b
selbst scheint verloren gegangen, wenigstens ist es mir nicht
gelungen, von einer Darstellung Kunde zu erlangen, die nicht
schon Spuren von Veränderungen trüge. Aber es bleiben
Aehnlichkeiten genug, um die Identifizirung von b, der Grund-
lage von Bai., mit der Grundlage des Karlmeinet zu recht-
fertigen 8 ). Somit wäre auch in dieser Beziehung billigen
Ansprüchen genügt, und wenn wir nicht so glücklich sind,
das eingeschobene Lied vorlegen zu können, womit natürlich
die Diskussion über diesen Punkt geschlossen wäre, so hat
man sich doch schon oft genötigt gesehn, Interpolationen auch
dort anzunehmen, wo die Quelle derselben überhaupt nicht
aufgezeigt werden konnte.
Im Uebrigen reizte MR gradezu zur Fortsetzung. O igo3ff.
tötet Roland den Sohn des Marsilies und schlägt Marsilies selbst
den rechten Arm ab; dieser entflieht. Nun meinte W. Grimm*),
ursprünglich sei Marsilies im Kampfe mit Roland getötet
worden, und beruft sich dabei auf Turpins Worte consecutus
i) a. a. o. S. 48.
3 ) s. über dasselbe Kap. HL
3) s. Dönges, a. a. O. S. 48 50.
♦) Einleitung zu »Ruolandes Liet« S. 109.
— 59
est Marsirium fugientem et illum peremit, Dies ist -richtig?
Wenn er aber ferner behauptet, der Baligant dichter habe
erst die Verwundung des Marsilies erfunden, um seine Er-
zählung anzuknüpfen, so stimmt dazu nicht, dafs C und Ks;
dieselbe schon berichten; folglich war dieser Zug schon in z
vorhanden, x hatte bei andrer Gelegenheit den ohn des
Marsilies, Jurfaleu, erwähnt, von dem T nichts weifs, und
variirt unsre Stelle dahin, dafs dieser getötet, Marsilies aber
nur verwundet wird. Und nun begreift es sich leicht, wie
der Fortsetzer « verfuhr. Er giebt sich mit der Verwundung
des Marsilies nicht zufrieden, sondern führt ihn uns auf
seinem Sterbebette vor. Dies ist für ihn eine erwünschte Ge-
legenheit, [die christlichen Gesinnungen der Bramiraunde in
Gegensatz zu den Abgöttereien der übrigen Heiden treten zu
lassen. Sie übernimmt dann, wie schon gesagt, nach Marsilies
Tode die Leitung der Geschäfte und Ubergiebt schliefslich
Karl, nachdem Baligant geschlagen, die Stadt Saragossa.
Vielleicht wird dem Einen dieser, dem Andern jener der
von mir angeführten Gründe für sich allein nicht beweisend
erscheinen, jedoch glaube ich nicht, dafs Jemand im Stande
sein wird, alle hier vorgebrachten Argumente zu entkräften.
Somit wäre das, was verschiedene Andre 1 ) vor mir behauptet
haben, jetzt in hohem Grade wahrscheinlich gemacht, nämlich
dafs es eine französische Version des Rol. gegeben habe, die
die Bai. nicht enthielt, und dafs diese die ältere sei Ist dies
aber der Fall, so haben wir damit ein neues Mittel gewonnen,
das Verhältnis der Ueberlieferungen zu einander zu bestimmen,
welches allerdings mit Kritik zu verwerthen ist.
So kann es für die holl. Frgm. nichts ausmachen, dafs sie
Bai. nicht bieten, weil sie überhaupt nur bis V. 2608 gehen
und auch im vollständigen Zustande nur gegangen sind, wie
das explicit des Schreibers beweist. Ja, wir sind sogar im
Stande zu behaupten, dafs ihre Vorlage Bai. enthielt, weil sie
selbst die beiden Tiraden 189 u. 190 wiedergeben, welche die
Ankunft des Admirals ankündigen und daher unbedingt zu
BaL gehören.
Etwas anders liegt die Sache schon bei L (Lyon), der
*) auch schon W. Grimm,
- 60 —
einzigen fr. Hs. ohne BaL, zugleich der einzigen, die im Süden
Frankreichs gefunden wurde. Dafs diese zu der jüngsten
Redaktion (y) gehört, habe ich im ersten Kapitel dargelegt; es
geht schon daraus unzweifelhaft hervor, dafs sie zum grofsen
Teile dieselben Reime bietet wie P. Wenn sie trotzdem Bai.
ausläfst, so wird dies wohl nicht aus kritischen Bedenken
geschehn sein, sondern nur weil es die ältere Fassung ohne
Bai. kannte. Wir haben also zu vermuthen, dafs diese sich
im Süden ziemlich lange erhielt. Dies wird durch Ks. bestätigt*
Dafs bei ihr von einer Auslassung von Bai. nicht die Rede
sein könne, habe ich bereits durch eine ausführliche Be-
schreibung ihres Charakters nachzuweisen gesucht
Auch sie gehört wahrscheinlich dem Süden an. Es ist
begreiflich, dafs in ähnlicher Weise wie die griechischen Städte
sich um den Ruhm stritten, die Heimat Homers zu sein,
mehrere französische Städte zugleich den Anspruch erhoben,
die Reste Rolands, des sagenberühmtesten Helden zu bergen.
Hier hatte die Sache noch eine praktische Bedeutung. Be-
kanntlich war es von grofsem Einflufs auf das materielle Ergehn
eines Klosters, wenn das Volk von ihm glaubte, dafs es die
Gebeine eines Heiligen verwahre, und man scheute sich im
Mittelalter sogar nicht, eigens Bücher zu dem Zwecke zu ver-
fassen, in denen alle Wunderthaten eines solchen verzeichnet
oder vielmehr erlogen waren, und dadurch die Wallfahrten zu
beleben. Auch Roland war, man weifs nicht wann 1 ), zu einem
Heiligen geworden und, wie wir aus unserm Liede selbst
ersehn können, wallfahrtete man bereits zu seinem Grabe 1 ),
lieber den Ort, wo dieses sich befand, mufs es 2 Versionen
gegeben haben. Denn O 8 ) nennt als solchen Blaive, die Ks.
dagegen Arles.
Mein Nachweis, dafs die Kapitel 20 ff. des T. in der gegen-
wärtigen Fassung von mindestens zwei Händen herrühren,
wird auch durch die hier einschlagende Stelle bestätigt. Denn
obwohl T. jetzt berichtet, dafs Roland in Blaive begraben sei
also mit O übereinstimmt, mufs er früher Arles gehabt haben.
Denn wozu sonst überhaupt die Erwähnung von Arles an
*) die Acta Sanctorum geben darüber keine Auskunft.
*) V. 3687 li pelerin li veient, ki la vunt
3) die übrigen fr. Hs. bieten infolge Ucberarbeitung nichts Entsprechendes,
- 61 -
dieser Stelle? Wozu die Angabe, dafs es zwei berühmte Kirch-
höfe damals gegeben habe, einen in Arles und einen in Blaive
wenn nicht Arles in der Vorlage genannt wurde? Der zweite
Teil des Kap. 29 trögt eine besondere Ueberschrift, die Castets
willkürlich fortgelassen hat 1 ): de his qui sepulti sunt apud
Arelatem in Aylis campis, bildete also ein eigenes Kapitel, das
sich, wie ich vermute, direkt an Kap. 27 anschlofs. Nachdem
sie erzählt hatte, wie man mit den Leichen der gewöhnlichen
Soldaten verfahren war, fuhr die Chronik ursprünglich fort:
postea vero — Arelatem perreximus, in quo cimeterio tunc
per manus nostras sepulturae traduntur und hier müssen die
Namen Rolands, Oliviers — wahrscheinlich auch der übrigen
Pairs gefolgt sein. 2 )
s dagegen schiebt Kap. 28 und die erste Hälfte von Kap. 29
ein, wo wieder die Ueberschrift de duobus cimiteriis sacro
sanctis; unum apud Arelatem, alterum apud Blaviam — als
Gegensatz zu der eben citierten entstanden ist. Dann wird
hinter postea vero eingefügt a Blavio discedentes per Gasco-
niam et Tolosam tendentes und hinter Arelatem porreximus
eine längere Bemerkung, dafs sie dort die Burgunder (!) ge-
troffen hätten, welche mit den Toten aus einer anderen
Schlacht zurückkehrten, und dafs diese per manus nostras etc.
in Arles begraben worden seien. Was haben die Burgunder
mit dem vorher wiedergegebenen Rolandsliede zu thun?
Wen dies noch nicht davon überzeugt, dafs T. an dieser
Stelle ursprünglich auf dieselbe Grundlage zurückgeht, wie Ks.,
der erkläre mir die Gemeinschaftlichkeit des Schlufssatzes:
T. pro quorum animabus uncias duodecim milia argenteas
totidemque talenta aurea Karolus apud Arelatem egenis dedit,
Ks. (S. 348): »Da wurden Seelenmessen in allen Munstern
der Stadt [Arles] gesungen. — Es wird gesagt, dafs da zwölf-
hundert Mark gewogenen Silbers geopfert wurden, bevor ihre
Leichen in der Erde geborgen wurden, c
Die Uebereinstimmung setzt sich auch in dem folgenden
(3o.) Kapitel der Chronik fort. Ks. erzählt, dafs der König von
! ) s. Baist, Z. f. r. Ph. V, 422.
*) Gegenwärtig werden neben Samson, Hatto, Irene, Berengier und Naimon
(= Naimes) aus dem Rol. auch einige fremde Namen aufgeführt; nach Ks. werden
sämmtliche 12 Pairs in Arles begraben.
- & -
Arles nach setner guten Stadt Paris gezogen sei. T. Iäfst ihn
denselben Weg nehmen, aber entsprechend seinem Zwecke,
über Vienne, was recht geschickt gemacht ist, denn Vienne liegt
wirklich auf dem Wege von Arles nach Paris. O hat weder
das Geld, das für Messen ausgegeben wird, noch diese selbst,
in O werden die Helden in Blaive begraben, kehrt Karl nach
Aachen zurück u. s. f.
Also: es stellen T., abgesehen von den späteren Inter-
polationen, und Ks. die südliche Version ohne Bai dar, die
noch längere Zeit unverfälscht blieb, wahrend die nördliche
sich verschiedene Umformungen gefallen lassen mufste.
Bisher haben wir MR (d. h. das Stück von O i bis V 2567)
als ein gegebenes Ganze betrachtet; es entsteht die Frage, ob
die Einsehiebung von Bai, nicht auch in diesem Teile Ver-
änderungen veranlasst habe. Allerdings. Ich werde mich auf
die Angabe zweier beschränken, welche mir in directem Zu-
sammenhang mit Bai. zu stehen scheinen. Nach der Redactiori x
haben Roland und die Seinigen dreimal gegen die Heiden ge-
kämpft, und zwar zweimal gegen die Hauptleute des Marsilies
und zuletzt gegen Marsilies selbst. Als Baligant eingeführt
wurde, war diese Anordnung nicht mehr passend; denn da er
den obersten Befehlshaber der Heiden darstellt, musste Mar-
silies herabgedrückt werden. Aufserdem bevorzugt die Poesie
im Allgemeinen, und so auch das Bai., bei der Steigerung die
Drei-Zahl, und selbst wenn über diese hinausgegangen würde,
wird man doch nicht grade zu einer vierfachen Wiederholung
sich entschliessen. « hat deswegen geändert, wie sich deutlich
nachweisen lässt. Als Ganelon mit Marsilies den Verrat verab-
redet, sagt er ihm 1 ): «Wenn Rollant zurückbleibt, das Land zu
bewachen -, da sollst Du ihm hunderttausend Ritter ent-
gegensenden, und sie alle wirst Du verlieren. Sende dann zu
einem zweiten Kampfe ebenso viele Ritter und sie alle wirst
Du verlieren. Und das dritte Mal wirst Du selber mit dem ge-
sammten Aufgebot ausziehen, und da ist mehr Aussicht, dafs
Rollant bei diesem Angriff unterliege.» O spricht dagegen
(V. 589 ff,) nur von zwei Kämpfen, die stattfinden sollen.
Ebenso in der Ausführung. Ks Cap. 23 beginnt der erste
Kampf, bei dem die Heiden von Adelrot, dem Neffen des
i) Ks. S. 311.
- 03 -
Marsilies, angeführt werden. In O T. 94 ff. wird anfangs genau
dasselbe erzählt, aber der Ausgang ist ein ungleicher. Nach
der Ks (Cap. 26) fallen alle Heiden in diesem Kampfe bis auf
Einen: «Von den Heiden sind nun so viele todt, dafs von
hunderttausend keiner davon kam, aufser einem: das war
Margariz; — nach Spanien hat er sich gewendet und dem
König Marsilio die Begebenheit, welche da vorging, gesagt.»
Ebenso Konrad. So erzählt auch das Carmen:
V. 279. Sed Margaretus, fugiens vix vixque superstes
Et celer et timidus et male tutus abit.
Es ist dies also unbedingt die alte Fassung.
Was bietet O dagegen?
1439 Paien sunt mort ä milliers e a fuls,
De cent milliers n'en poet guarir dous.
Von Margariz keine Spur.
Weiter. Auf die Meldung des Margariz, dafs die ersten
Schaaren vernichtet seien, teilt Marsilies nach Ks sein übriges
Heer: (Kap. 27) «Nun beginnt ein zweiter Kampf. Der König
Marsilies hat zehn Scharen bei sich und andere zehn sendet
er zur Schlacht.»
Genau so Carmen.
V. 292. Omnes dimidiat turmas exercitus omnis
Premittitque decem rex retinetque decem.
O dagegen lässt noch in derselben Tir., die ich eben citiert
habe, (V. 1448) Marsilies selbst anrücken und fährt dann fort:
1449 Marsilies vient par mi une vallee
Od sa grant ost que il out assemblee
Ses vint eschieles ad li reis anumbrees.
Es bleibt dabei ganz unerklärt, wie Marsilies die Nieder-
lage seines Heeres erfahren konnte. Und was noch eigentüm-
licher ist, « ! ) widerspricht sich selbst, denn an dem jetzt be-
ginnenden (zweiten) Kamgf ist Marsilies gar nicht beteiligt;
und als diese Abteilung in gröfste Not gerät, ruft sie ihn zu
Hülfe und T 126 wird erzählt, dafs er jetzt erst anrücke.
Wenn er schon vorher in eigener Person und mit dem ganzen
Heere (ses vint eschieles) da war und geschlagen wurde, wie
kann er jetzt seinen Leuten zu Hülfe kommen?
') O ist hier nicht ohne weiteres zu gebrauchen, weil es Umstellungen vor-
genommen hat.
- 64 -
Die Sache ist zu deutlich, als dafs ich nötig hätte, noch
mehr hierüber zu sprechen. Es scheint, dafs die Tir. 112
(Müller) von « hinzugedichtet worden ist, um die Spur des
Margarez zu verwischen; einem früher vorhandenen
De cent milliers nen est gtCun escapez
das V noch neben dem Neuen erhalten hat, wird entgegen-
gesetzt: nen poent garir dous. Aber die Umarbeitung ist nicht
durchgeführt und hat daher die oben genannten Widersprüche
hervorgerufen. Dies wirft dann auch auf das Verhältnis von
V und O untereinander und zu ihrer Quelle ein helles Licht.
Aber bevor ich zu diesem übergehen kann, ist es unumgänglich
notwendig, diese ganze in der französichen Ueberlieferung
gründlich verdorbene Stelle mit Hülfe von Ks. so zu recon-
struieren, wie sie in « gestanden haben mag.
Die starken Unterschiede zwischen Ks. und O beginnen
bei T. ho 1 ). Kap. 25 gegen Schlufs: »Nun ist der Kampf hart
und hitzig, und einige hauen, andere wehren« scheint allerdings
die Verse
i3g6 La bataille est aduree endementres
und i3g8 Fierent li un, li altre se defendent
der T. 110 wiederzugeben, aber da der ganzen übrigen Tirade
in Ks. nichts entspricht und sie auch durch verschiedene andere
Umstände verdächtigt wird 2 ), so werden wir vielmehr annehmen,
dafs Verse desselben Inhalts wie die angeführten am Anfang
der Tir. 1 1 1 in « gestanden haben, und dafs Tir. 1 10 nur eine
Repetitionsstrophe derselben sei.
Man beachte so genaue Uebereinstimmungen wie:
1422 Ne reverrunt ne pefes ne parent
Ne Carlemagus ki as porz les attent
und 1402 Ne verrunt lur meres ne lur femmes
Ne cels de France ki as porz les attendent,
welches letztere nur eine Variation der ersteren im Sinne eines
verschiedenen Geschmackes zu sein scheint.
Aber auch T. 111 wird von Ks. nur theüweise wieder-
1 ) Auch in der vorhergehenden Tir. sind schon Abweichungen, aber weniger
tiefgreifende.
*) Vorausdeutung auf das Gottesgericht in Aachen, das späterer Zusatz ist, den
noch die Ks*. nicht kennt; Mischung der weiblichen Assonanz an-- e mit en — e; Er»
wähnung von Frauen.
_ 66 -
gegeben. Genau genommen entsprechen' nur die" Verse 141$
bis i5:
La bataille est merveilleuse e pesant
Mult bien i fiert Oliviers e Rolänz
Li Arcevesque plus de mil colps i rem
Li duze per ne s'en targent nieiit
der Ks. (Kap. 25 Schlufs): «Nun ist der Kampf hart und hitzig
, so sind auch immer zuvörderst Rollant und Olivier
und der Erzbischof Turpeis und alle zwölf Pairs, welche ihnen
folgten, so dafs keiner getadelt werden darf.» 1 ) Aber selbst
wenn wir annehmen, dafs Ks. einige Details Übergangen habe,
so können wir doch nach der ganzen Art ihrer Anlage; wie
ich sie im ersten Kapitel möglichst getreu zu schildern mich
bemüht habe, nicht annehmen, dafs sich die inhaltlich ganz
verschiedenen Verse 1423 — 37 in ihrer Vorlage befunden haben
und dafs sie dieselben ausgelassen habe. Diese kennzeichnen
sich ohnedies dadurch, dafs 1423 einen ganz neuen Gedanken
mitten in der Tirade beginnt, als Tiradenänschub. Da grade
diese Str. unzweifelhaft lokale Anspielungen enthält, so ist es
von grofser Bedeutung, wie man über sie denkt; das eben
Ausgesprochene ist das Resultat meiner wiederholten Ueber-
legung.
Dagegen ist nach T. 1 n von O, eine Tirade ausgelassen,
welche das enthielt, was uns Ks. (Kap. 26 Anfg.) bietet: «Nun
sind grofse Zeichen und grofse Wunder und viele sonderbare
Dinge in Frankreich; schon von der Mitte des Tages an- war
es so finster wie in der Nacht, und die Sonne kann nicht
scheinen, Und die meisten Menschen ahnen ihren Tod. Und
das ist in der Säge vom hl. Dionisio geschrieben, dafs das Alles
um Rolant willen wäre, welcher so viele gute Werke ver-
richtete und ein so guter Ritter war, dafs niemand ihn aus
seinem Sattel bekam.» Die Verse 1347— 1 3 57 der Venezianer
Hs (V) geben diese Worte genau wieder, und Gaütier hat
recht daran gefhän, diese Tirade als T. 120 in seinem Text Huf*'
zunehmen. Aber est ist eine Willkürlichkeit, dafs et den'
V. i355- .
.'. A san Donis est escrit in la gfcste " -
1) Die letzten Worte sind wohl auf Rechnung d<f Ks. zu tetzen (& Kap. L).
5
— 66 —
ausgelassen hat Es ist allerdings das einzige Mal, das Ks. eine
solche Berufung auf die geste, die sicher ein Kennzeichen des
verfallenden Epos ist, enthält, aber da sie hier handschriftlich
vorliegt, so haben wir kein Recht, sie zu beseitigtet!.
Ks. fährt fort : «Der Graf Rollant war ein &o guter Ritter,
dafs von ihm überall erzählt wird und von Olivier und allen
zwölf Pairs. Von den Heiden sind nun so viele tot, dafs von
Hunderttausend kein einziger davon kam, aufser einem; das
war Margäriz; er war nicht tadelnswert, da er viele Kenn-
zeichen an sich hat. Nach Spähten hat er sich gewendet und
dem Könige Marsilio die Begebenheit, welche da vorging, ge-
sagt.» Dies entspricht fast wörtlich V i382— 92, >) fehlt aber
gänzlich in O; bei Gaut Tir. 124.
Das Kap. 26 der Ks. schliefst: «Der Graf Margäriz ist
allein davongekommen, sein Speerschaft ist zerstückt und seine
Brunne zerhauen, der Schild zerschlagen und der Helm ge-
spalten und von vier Schwertern war er verwundet. Er wäre
ein guter Recke, wenn er ein Christ wäre.» Da dies Stück
wieder durch Ks. + V (i3g3 — 1399) gesichert wird^ so hat es
in a gestanden; Gautier T. 125 Anfg.
Der gröfsfere Teil von Gautiers T. 125 (= V 1400*^1409)
ist Tiradenanhang; der aber schon in « vorhanden war, wie
Konr. 5195 ff. beweist. Derselben Tiräde ist cjann später
in ß ein neuer Anhäng hinzugefügt worden, der nach dem
Muster von V 1485 ff. angefertigt ist.
Der Anfang von Kap. 27 derKs. lautet: «Nun beginnt ein
zweiter Kampf.» Das ist eine jeher Uebergangsformeln, die Ks.
gelegentlich, der Verbindung halber, hinzufügt. Dann folgt:
«Der König Marsilies hat zehn Seiharen bei sich und andere
zehn sendet er zur Schlacht zum zweiten Mal. Nun sehen die
Franzosen dieses Heer und es spricht da zu ihnen der Erz-
bischof Turpin: Gate Ritter, rücket kühn vor, ihr werdet eine
Krone im Paradiese tragen.» Die Franzosen erwiderten: «Hier
an derselben Stelle werden wir Heber den Tod erdakten, als
dafs das gute Frankreich sein Lob verlieren sollte. Nun
stofsen die Heiden und Christen ein zweites Mal zusammen.»
Dieser Stelle entspricht V 1483—97. Hier endigt die Verderb-
J) Wird übrigens z. Th. auch durch Carmen 'gesichert-
ni*. Dehn das Folgende ioKs> «Bin Hauptmann CKbanus» etc.
entspricht dem Anfang von O T.-*i5 u. s. w.
Wir haben Biso an der besprochenen Steile zwei parallele
Reihen von Tiraden vor uns, von denen die eine durch Ks
und V, teilweise aber auch von Carmen und Konrad gestutzt
wird. Diese repräsentiert uns die Redaktion x und enthalt, wie
ausgeführt, 5 Tiraden, die in O fahlen. Die zweite Reihe,
welche denselben Inhalt, aber mit mehr Ausschmückungen
bietet, findet sich in O und gleichfalls in V und es gehören
ihr die Ttr. 110, 1 1 1 •){*. Hälfte), i ia, n3, 114 am Dies sind
Repetitfonsstrophen des Redacteurs <t. Nur roüfs sich dieser
desselben Verfahrens bedient haben, das wir schon mehrfach
beobachtet haben, nämlich er liefe das Alte neben dein Neuen
bestehen, denn nur so ist es zu erklären, data O Beides dar-
bietet. Dazu hat V oder vielmehr seine Quelle p noch einzelne
Tiraden hinzugefugt, und diese sind, teilweise wieder mit neuen
Zusätzen, in die jüngeren Hs. Übergegangen, O dagegen ist
sich der Wiederholungen und Widersprüche bewufat geworden
und hat dieselben durch Umstellung und Auslassung zu be-
seitigen gesucht
Hiermit glaube ich geleistet zu haben, was ich im ersten
Kapitel versprach, nämlich nachzuweisen, dafs V (resp. ß) eine
neue Redaktion, O eine nicht ohne Willkür verfertigte Ab-
schrift von a ist Dasselbe wird sich auch durch eine andere,
für die Verzweigung der Ueberlieferungen nicht minder wich-
tige Stelle ergeben.
Die Tic. 8, welche uns Karl den Grofsett zum ersten Mal
vorfahrt, nennt in seiner Umgebung eine Anzahl von Paks.
Nur vier Tiraden weiter, nachdem der Gesandte MarsiUes seine
Botschaft ausgerichtet hat und Karl über sie beraten lassen
will, wird eine neue Aufzählung der Pairs gegeben, bei der
zum Teil dieselben Namen, zum Teil neue vorkommen. Das
ist doch höchst auffällig. Warum sind nicht alle Pairs an
einer Stelle genannt? Warum dieselben an zwei Stellen dicht
hinter einander? Das Rätsel lost sich, wenn wir die Ks. be-
~ «8 -
tragen. Dieselbe bietet an der ersten Stelle (Kap. 4) eine voll-
ständige Aufzählung der Pairs, aber nicht V, 106.
Geflreiz d'Anjou le rei gunfanuiners,
an der zweiten Stelle dagegen (Kap.5 Anfg.) hat sie nichts den
Versen 168—176 Entsprechendes. Von diesen sind 168 — 169
<jy i65 — 166; 174.ee 107;. 175-^176 00 104. Die übrigbleibenden
neuen Verse enthalten Namen von Helden, welche in x gar
keine Rolle spielen, sondern deren Thaten erst von « hinzu-
gefügt worden sind. So kommt Richart liviel nur hochV«3o5o
vor, wo er an die Spitze der Normannen gestellt wird, und
in V. 3470, der seinen Tod meldet, also ausschliesslich in der
Bai. Sein Neffe Heinrich wird nur an dieser Stelle genannt.
Der -Graf Acclin von Gascogne ist wahrscheinlich identisch mit
li quens Acelin (9882); die Ks. nennt nur den Herzog Rainer
als Begleiter Karls. O dagegen führt hier vier Barone auf,
darunter Geoffroy d'Anjou und Acelin. Tedbald von Rheims
ist ebenfalls ein Anführer in der Baligautschlacht (3o58); ferner
bewacht er mit drei Anderen die Leichen der Pairs (2433);
beide Male wird er von Ks. nicht genannt.
Ein merkwürdiges Zusammentreffen in allen diesen Fallen,
•wenn es nicht seinen sehr natürlichen Grund hätte. Es ist
offenbar, dafs schon der Fortsetzer y, welcher, wie ich oben
andeutete, im Angevihischen Interesse dichtete, in T. 8 die
Zeile Geffrei d'Anjou le rei gunfanuniers hinzufügte. « gab
dann rn einer eignen Tirade (12) eine zweite Aufzählung von
Pairs, um gewissermafsen im Voraus zu rechtfertigen, <lafe
man ihnen spater als Anführer in Bai. begegnet Die jüngeren
Hs. gehen in dieser Moüvierungs- oder Systematisierungssucht
noch weiter, indem V z.B. noch N'antelme nennt, wahrscheinlich
den Antelme de Maience (3oo8).
Scholle hat ganz richtig empfunden, dafs es auffällig sei,
dafs in Bai. plötzlich eine ganze Reihe neuer Namen auftreten.
Gautier hat 'ihm in banaler Weise erwidert: wenn die alten
Helden gestorben seien, so müfsten neue an ihre Stelle treten.
Nein; wenn die Helden gefallen sind, welche der Dichter be-
singen wollte, dann ist das Lied aus, und derjenige, der eben
noch, mit sp warmem Herzen an. ihnen hing, verdunkelt, ihren
Ruhm nicht; indem er die Heldentbaten Anderer feiert. -.•■*-
— 69 —
Wie Bai., so rühren auch die wegen derselben gedichteten
Tiraden, also auch T\ 8 und 112, von « her und sie bestätigerr
nur die Unursprünglichkeit von Bai«
IIL Bemerkungen über die älteste Gestalt des
Rolandsliedes und die Entstehung der Zusätze.
Auf den vorstehenden Blattern bin ich davon ausgegangen,
dafs die verschiedenen Hs. des Rol. so stark von einander ab-
weichen, dafs wir es hier nicht, wie gewöhnlich, mit blofsen
Willkürlichkeiten oder Nachlässigkeiten der Schreiber zu thun
haben, sondern dafs es klar vor Augen liegt, dafs mehrfach
eine planmäfsige Redaktion des Ganzen stattgefunden hat
Aber auch die älteste der vorhandenen Fassungen zeigte so
viele Verschiedenheiten und Widersprüche, dafs ich, Beob-
achtungen Anderer benutzend und sie dureh meinö eignen er-
weiternd, nachgewiesen zu haben glaube, dafs der unter dem
Namen der Baligantepisode bekannte Teil, ungefähr ein Drittel
des Gedichts, einer früheren Gestalt desselben gefehlt habe.
Der Redaktor, der ihn hinzufügte und den ich « genannt habe,
hat auch im ersten Teile des Gedichts sich einige, mit der von
ihm geplanten Fortsetzung zusammenhängende Änderungen
erlaubt. — Da die Karlamagnussage diese Zusätze, die sich als
solche durch Gründe anderer Art gekennzeichnet hatten, nicht
enthält, so ergab sich der Schlufs, dafs ihre Vorlage einer
früheren Redaktion angehört haben mufs, und zugleich war
dies eine Bestätigung meiner ersten Behauptung.
Weiter führen uns Erwägungen anderer Art, von denen
ich zunächst heraushebe die Mischung des Historischen und
Unhistorischen im Rolandsliede. Als Karl der Dicke i. J. 883
das Kloster St. Gallen besuchte, fand er daselbst einen alten
Mönch, der ihm viele Geschichten von seinem Grofsvater er-
zählen konnte. Der Mönch war nämlich von einem Kriegs-
mann Adelbert erzogen worden, der selbst verschiedene Kriege
Unter Karl dem Grofsen mitgemacht hatte, und hatte als Knabe
den redseligen Mitteilungen des Alten oft Stand halten müssen,.
7
— TO —
auch zu Zeiten, wo er sich gern mit seinen Gespielen im
Freien umhergetummelt hätte. Karl der Kahle hatte für diese
Geschichten ein so reges Interesse, dafs er dem Mönch befahl,
sie aufzuschreiben, und so entstand jene Chronik, die unter
dem Namen des Mönchs von St. Gallen bekannt ist. Leider
ist dieselbe nicht vollendet, oder wir besitzen sie nicht voll-
ständig, denn von den drei Büchern, die sie nach dem 16. Kap
des 2. Buches umfassen sollte, hat sich nur das erste ganz, das
zweite teilweise erhalten. Wir bedauern besonders, dafs dieses
Buch keinen Bericht über den spanischen Krieg enthält, so
dafs wir nicht sehen können, auf welcher Stufe die Sagen-
bildung über denselben am Ende des g. Jahrhunderts angelangt
war. Aber sie bietet doch Eines, Was auch für uns von grofsem
Werte sein mufs, nämlich eine Charakteristik des grofsen
Karls. Vergleicht man diese mit dem Bilde, welches das
RolandsUed von ihm entwirft, so findet man sie ziemlich über-
einstimmend ; ja man kann sagen, dafs die Schilderung des Roh
der wunderbaren Züge weniger aufweist, als die Chronik. 1 )
Und dieselbe historische Treue zeigt auch im Ganzen die Er-
zählung. Die Umstände nnter denen, die Gegend, in der der
U eberfall von Ronceval stattgefunden hat, sind so anschaulich
dargestellt, wie dies nur ein Bericht von Augenzeugen vermag.
Wie sollen wir uns nun die Vermittelung zwischen diesem
und dem uns erhaltenen Rolandsliede, das nach seiner Sprache
erst aus dem u. Jh. stammen kann, denken?
Möglich wäre es ja, dafs ein Soldat, aus dem spanischen
Kriege nach seiner Heimat zurückgekehrt, vielleicht wie der
Zögling Adelberts von einem Höherstehenden veranlafst, seine
Erlebnisse habe aufschreiben lassen und dafs ein späterer
Dichter diesen Bericht seinem Werke zu Grunde gelegt habe.
Aber diese Vermutung ist unbedingt abzuweisen. Allerdings
beruft sich das Rol. an verschiedenen Stellen auf eine geste
Francör, oder anciene geste, auf cartes e briefs, etc., aber diese
i) Zum Beweise eine bezeichnende Einzelheit. Rol. n8f. heifst es von Karl:
Gent ad le cors e le euntenant fier.
S'est ki T demandet, ne Testoet enseignier.
eine Wendung von biblischer Einfachheit und Anschaulichkeit Der St. Gallener.
Mönch dagegen scheut sich nicht, die Furchtbarkeit Karls so zu übertreiben, dafs er
berichtet (II, 17), dafs ein Mann bei seinem Anblicke fast leblos zu Boden ge-
ftUDkftn ici
- *1 -
sind, wie später zu zeigen sein wird, nachträgliche Zusätze,
in den echten Teilen findet sich eine solche Berufung nicht.
Neben diesem negativen Beweise steht als positiver die
Natur des Werkes selbst .
Nirgends vielleicht scheidei sich die volkstümliche Lite-
ratur von der gelehrten schärfer als in Frankreich bis zur Mitte
des 12. Jhs. und es hat noch kein Gelehrter daran gezweifelt,
dafs das Rol. der Volksdichtung angehöre. Deren vorzüglich-
stes Merkmal aber ist, dafs sie ihren Stoff nicht in Büchern
sucht, sondern das, was im Bewußtsein Aller lebt, zum Aus-
druck bringt und dafs sie daher für Alle bestimmt und Allen
verständlich ist Und wenn es noch heute nur ganz hervor-
ragende Geister erreichen, sich durch die Lektüre historischer
Schriften so lebhaft in die Zustände einer vergangenen Zeit
zu versetzen, dafs sie dieselben wie aus einem Gusse nachzu-
schaffen vermögen, so müssen wir diese Gabe den Dichtern
des Mittelalters dnrchaus bestreiten. Wir sehen uns also auf
die Annahme einer mündlichen Fortpflanzung verwiesen.
Aber damit wachsen die Schwierigkeiten. Warum sollte
sich ein Volksdichter des n. Jhs. in einer Zeit, die doch an
Ereignissen nicht arm war, für die Ueberlieferungen der
Vergangenheit in dem Grade begeistert haben, dafs er sie
durch sein Lied zu verherrlichen suchte? Und dann) Es ist
bekannt, dafs das Gedächtnis des Volkes ein sehr kurzes ist
Hundert Jahre genügen, um den Erinnerungen eines be-
deutenden Ereignisses so viele fremdartige Bestandteile hinzu-
zufügen, Späteres mit Früherem zu vermischen, dafs der ur-
sprüngliche Vorgang kaum noch an Einzelheiten zu erkennen
ist Ich erinnere nur an die Art und Weise, wie in der deut-
schen Heldensage historische Personen wie Attila, der Bur-
gunderkönig Gundicarius, Theodor der Grofse, teils mit ein-
ander in falschen Zusammenhang gebracht, teils mit ähnlichen
Namen verwechselt oder verschmolzen sind. Da dies im Rol.
nicht der Fall ist, sondern die Zustände unter Karl dem Grofsen
sowohl, als die Umstände des behandelten Ereignisses treu
wiedergegeben sind, da zwar Unhistorisches nicht fehlt, aber
doch keinen wesentlichen Einflufs auf die Erzählung gewonnen
hat, so werden wir zu der Annahme gedrängt, dafs das uns
erhaltene Jtol. letzten Endes aitf ein Gedicht zurückgehe, das
— 70 —
entweder von einem Zeitgenossen oder auf seinen mündlichen
Bericht hin verfafst worden ist, d. h. dafs es aus dem Ende
des 8. oder der ersten Hälfte des 9. Jhs. herrühre.
Diese Annahme entbehrt auch nicht ganz der Unterstützung
äufserer Zeugnisse« Zwar könnte man jene bekannte Stelle
das Astronomus Limosinus, (Pertz II 608), wo er sagt, er
brauche die Namen der bei Ronceval gefallenen Helden nicht
zu nennen, weil sie dem Volke bekannt seien (quorum, quia
'vulgata sunt, nomina dicere supersedi), auf das Vorhandensein
einer Volkssage, nicht eines Gedichtes über Roland deuten.
Aber wie sollten diese Namen eine so allgemeine Verbreitung
gefunden haben, wenn nicht durch Vermittlung eines überall
gesungenen Liedes? Ausdrücklich von Gedichten und sogar
von vielen spricht eine Glosse des cod. Steinweldensis der vita
Einhardi, welche zu derselben Stelle die Bemerkung macht:
de hoc (sc. Hruodlando) nöstri cantores multa in carminibus
cantant, dicentes, eum fuisse, filium sororis Karoli regis. Die
Klasse C, zu der diese Hs. gehört, wird ins 10. s. gesetzt,
aber es läfst sich nicht bestimmen, aus welcher Zeit die an-
geführte Glosse stammt. Und wie von Roland, so wird uns
auch von andern Helden des französischen Volksepos berichtet,
dafs ihre Thaten unmittelbar darauf der Gegenstand von Liedern
geworden sind.
Man neigt daher allgemein dazu, die Existenz französischer
Volkslieder als Vorstufen der erhaltenen chansons de geste
anzunehmen, aber die Form derselben stellt man sich meist
so vor, dafs sie den Zweck, den man ihnen zuschreibt, Träger
der historischen Ueberlieferung zu sein, nicht hätten erfüllen
"können. Gautier, der sein ganzes arbeitsreiches Leben der
Forschung über das französische Volksepos gewidmet hat, und
sich auch dem, was Andre gefunden haben, nicht verschliefst,
der uns also einigermafsen als Repräsentant der gegenwärtigen
Ansichten auf diesem Gebiete dienen kann, äufsert sich über
die Cantilenen, welchen Namen die Volkslieder bei den
•lateinischen Chronisten führen, folgendermafsen: ces chänts
sont brefs . . .; er vergleicht sie mit den rondes de nos petites
filles. Les plus longues ont soixante vers. Eh bien! les can-
tilenes rfe'taient gueres que des rondes d'enfants; und sie
mufsten so kurz sein, denn ils devaient Stre fäciTes t reteflfr .
— 73 —
Ich glaube, dafs Gautier hier entschieden im Irrtum ist.
Nichts nötigt uns anzunehmen, dafs die Cantilenen auf einen
so geringen Umfang beschränkt waren. Das Beispiel der
Kinderreime oder vielleicht meint G. eine vornehmere Gattung
Tanzlieder, ist so unglücklich gewählt wie nur möglich. Diese
erfreuen uns durch einen naiven Reiz in den Einzelheiten,
aber ihr Inhalt ist höchst gering und nichtig. Sie sind in
unsrer Zeit, der nichts zu unbedeutend erscheint, mehrfach
gesammelt worden, gehören jedoch eigentlich kaum zur
Litteratur und sind durchaus nicht im Stande, ein Epos zu
: erzeugen, das offenbar das Interesse des ganzen Volkes be-
schäftigt hat. Dagegen enthalten die Cantilenen die Schilderung
einer gewaltigen Schlacht, von einem, der sie mitgemacht; ihr
Umfang richtet sich nach der Bedeutung des Ereignisses, nach
.der Kompliziertheit der Umstände, nach der Begabung und
dem Willen des Verfassers.
Wie sie im Gedächtnis behalten werden können, macht
demselben keine Sorge, denn sie sind garnicht dazu bestimmt,
von Jedem gesungen zu werden. Zu dieser irrtümlichen Auf-
fassung hat sich G. durch eine Stelle in der vita sancti Wilhelmi,
auf die ich gleich zurückkomme, bestimmen lassen, dann aber
mag ihn sein ganzes Bestreben, die Zustände des Mittelalters
seinen Lesern möglichst lebhaft vor die Augen zu führen, un-
bewufst verleitet haben, zu häufig Analogieen zu denselben in
der Gegenwart zu suchen. Damals jedoch gab es berufs-
mässige Sänger, deren Aufgabe es war, solche Lieder über
Kriegsthaten, chansons de geste, denn diesen Namen verdienen
die Cantilenen ebenso wie die uns erhaltenen Lieder, vor-
zutragen. Diese waren aber, da sie ihr Gedächtnisvermögen
nach Kräften auszubilden genötigt waren, recht wohl im
Stande, ein Gedicht von 5oo Versen und mehr auswendig
vorzutragen.
Gautier citiert 1 ) selbst eine Stelle aus einem Leben des
heiligen Leodegar, das in der ersten Hälfte des neunten Jhd.,
also grade in der Zeit, von der wir sprechen, abgefafst ist, wo
von einem solchen Sänger die Rede ist: Oblatus est caecus,
vocabulo Bernlef, qui a vicinis suis valde diligebatur eo quod
1) Epop. fr. I ? 22,
— 74 —
esset affabilis et antiquorum certamina bene noverat psallendo
promere. Aehnliche Stellen bieten Einhard, Ermoldus
Nigellus u. A. Die Vortragsweise, der Charakter, ja der Stand
dieser Sänger hat sich im Laufe des Mittelalters geändert, aber
bestanden haben sie in allen Jahrhunderten desselben.
Die Stelle aber der vita St. Wilhelmi, auf welche sich
Gautiers Annahme stützt, dafs die Cantilenen wirklich vom
ganzen Volke gesungen worden seien, lautet so: Quae enim
regna, quae provinciae et quae gentes, quae urbes Wilhelmi
ducis potentiam non loquuntur, virtutem animi etc.? Qui chori
iuvenum, qui conventus populorum, praecipue militum ac
nobilium virorum, quae vigiliae sanctorum dulce non resonant
et modulatis vocibus decantant qualis et quantus fuerit etc.
Aber wer sieht nicht, welche starke rhetorische Färbung diese
Worte haben? So dafs wir hier, wie kurz darauf, wo der
Autor versichert, das Leben seines Heiligen wäre adhuc ubique
pene terrarum notissima gewesen, erst eine gewisse Amplifikation
in Abzug bringen müssen, ehe wir in Anschlag bringen dürfen,
was dieser Bericht wirklich enthält Das ist aber wahrscheinlich
dies, dafs es zwei Gattungen von Liedern zum Preise Wilhelms
von Aquitanien gegeben habe: Hymnen (weil er, der am Ende
seines Lebens in ein von ihm gestiftetes Kloster gegangen war,
als ein Heiliger betrachtet wurde), diese wurden in der Kirche
gesungen [quae vigiliae sanctorum etc.] und wirklich erzählende
Dichtungen, d. h. nämlich nach meiner Ansicht chansons de
geste, wie wir sie thatsächlich aber in späterer Fassung über
Wilhelm von Aquitanien besitzen. Da diese auf öffentlichen
Plätzen oder beim Gelage vor versammeltem Volke, und zwar
besonders Kriegern, vorgetragen wurden, so hat der Biograph
das Recht zu sagen: quae conventus populorum, praecipue
militum, ac nobilium virorum, dulce non resonant. Das mo-
dulatis vocibus decantant kann sich einerseits auf die Hymnen
beziehen, aber auch von dem epischen Vortrag gesagt sein,
da wir uns denselben als eine Art Recitativ zu denken haben.
Die chori iuvenum aber, glaube ich, darf man getrost als
Uebertreibung steichen. Der Satz also, auf den Gautier wieder-
holt zurückkommt') avant d'Stre chantee par les Jongleurs, eile
i) Epop. fr. I, So,
— 75 -
(sc. die Volkssage), a ete chantee par tout un peuple, ist, so
lange G. keine andre Stelle zum Beweise anführen kann, nicht
zu acceptieren.
' Näher als mit dem Vergleiche mit den rondes de filles
kommt G. der Wahrheit, wenn er als Beispiel einer cantilena
das Ludwigslied anführt, das durch den Sieg Ludwigs III über
die Normannen bei Saucourt (3. Aug. 88 1) veranlagst worden
ist Dasselbe ist in der That auf französischem Boden und
zwar kurz nach der Schlacht entstanden, da Ludwig, der 882
starb, in demselben noch als lebend erwähnt wird 1 ). Aber G.
hätte nach meiner Ueberzeugung doch besser gethan, wenn er
die Beispiele der ersten Auflage beibehalten hätte, nämlich das
Hildebrandslied und Waltharius manufortis. Statt dessen sagt
er in der 2. Auflage (S. 64 Anm.): nous ne voulons point
parier ici de deux documents auxquels nous avions peut-§tre
donne trop d'importance dans la premtere edition de ce präsent
livre et. qui n'ont veritablement aucun rapport direct avec
l'histoire de notre epopee. Allerdings keinen direkten Bezug,
insofern als sie nicht in Frankreich entstanden sind; aber ab
Beispiele sind sie vortrefflich.
Meine Untersuchung hat das mit der Gautiers gemeinsam,
dafs wir beide fragen: welche Gattung poetischer Erzeugnisse
müssen wir für das 9. Jhd. voraussetzen, damit diejenige Art,
erzählender Dichtungen, die wir vereinzelt im 11. und in
überaus grofser Anzahl im 12. und i3. Jhd. vorfinden, entstehen
konnte? Es müssen also die Keime, welche so reiche Früchte
gezeitigt haben, aus der Natur der Letzteren bestimmt werden.
Gleichgültig ist dabei, ob diese Vorstufen sich zufällig erhalten
haben oder, wie das Meiste aus so frühen Zeiten, verloren
gegangen sind, ja man kann sagen, infolge der Umstände. ver-
loren gehen mufsten. Wichtiger ist, wie die Berichte der
Chronisten zu unsern Annahmen stimmen, aber dies kommt
doch erst in zweiter Reihe, weil sie nämlich über das damalige
Volksleben sehr wenig und manchmal Ungenaues berichten.
*) Es ist übrigens ein interessantes Zeugnis dafür, dafs man noch am Ende des
9. Jhd. nicht nur noch in einem Teile Frankreichs deutsch sprach, sondern es auch
bei Hofe ziemlich verstand, denn sonst wäre es, das seinem Charakter nach wahr-
scheinlich dem Könige als Huldigung dargebracht wurde, nicht in deutscher Sprach«
gedichtet worden.
- 76 —
Dafs nun aus Gedichten, wie das Ludwigslied, keine eh. de
geste hervorgehn konnten, lehrt eine genauere Betrachtung
desselben. Schlachten können Veranlassung für eine ganze
Reihe von verschiedenartigen Gedichten sein: Kampfeslieder,
mit denen man in die Schlacht zieht; Sieges- und Dankeslieder
und schliesslich Erzählungen der Schlacht in poetischer Form.
Die letzte Gattung ist uns ganz abhanden gekommen. Wer
wollte auch, wo wir Generalstabswerke besitzen, mit ihnen
durch eine gereimte Schilderung konkurrieren? Und versuchte
er es, wirklich genau den Hergang darzustellen, die Anzahl
und Stellung der Truppen, die Art ihres Vorrückens u. s. w.
anzugeben, so würde daraus das geschmackloseste Zeug, jeden-
falls keine Dichtung, entstehen. Das macht, weil unsre mili-
tärischen Verhältnisse zu kompliziert geworden sind. Im frühen
Mittelalter dagegen war der Kampf ein individueller, die Waffe
einfach, die Kampfart fast stets dieselbe. Der Muth des Helden,
die Kraft seines Arms ist entscheidend. Nicht bedarf es der
künstlichen Vermittlung eines wohlersonnenen Planes: Roland
setzt sich aufs Pferd, ergreift sein Schwert und los in die
Schlacht und die Feinde zu Boden geschmettert! Deswegen
konnte eine eingehende Beschreibung der Kämpfe nicht nur
zum Gegenstande eines Gedichtes gemacht werden, sondern
sie durfte auch des vollen Verständnisses und höchsten Interesses
seitens eines Publikums gewifs sein, das zumeist aus waffen-
kundigen Männern bestand. Eine solche volkstümliche Be-
schreibung der Schlacht bei Saucourt, aber schon in bedeutend
transformierter Gestalt, enthält die leider nur stückweise erhaltne
geste Gormont et Isembart. Das Ludwigslied aber vertritt
eine ganz andre Gattung, es gehört zu den Sieges- und Dankes-
liedera, es ist ein Hymnus. Wollten wir die gewohnte Ein-
teilung beibehalten, so müfsten wir es wegen des starken Her-
vortretens des Verfassers den lyrischen Erzeugnissen zuzählen.
Aber es gehört vielmehr zu jenen Mischprodukten, deren die
geistliche Dichtung der Zeit mehrere aufzuweisen hat und die
vielleicht als eine Vorstufe des höfischen Epos zu betrachten
sind. Ich will versuchen, einige Eigentümlichkeiten dieser
Gattung am Ludwigsliede aufzuzeigen.
Der Dichter beginnt mit einer Vorrede;
— 77 —
Einan kutiing uueiz ih, heissit her Hluduig,
Ther gerno gode thinöt: Ih weiz her imds lönöt 1 ) etc.
Dagegen versetzt uns der Volksdichter sofort in die Situation,
entweder ohne jede Einleitung oder mit ein paar Worten, wie
das Hildebrandslied mit der schlichten Wendung: ih gihorta
dat seggen. Das Rol. beginnt, wie die Nibelungen, ohne
dafs die Person des Dichters überhaupt genannt wird.
Das Ludw. fährt [dann fort uns eine Biographie Ludwigs
zu geben und zu erklären, durch welche Umstände es zu dem
Kampfe mit den Normannen gekommen sei 8 ); im Rol. befin-
den wir uns von vornherein in Spanien, wie bei Homer vor
Troja. Während das Rol. rein erzählend ist und der Dichter
seine Ansichten nur durch den Mund seiner Helden zum Aus-
druck kommen läfst, scheut sich der Dichter des Ludwigslieds
nicht, seine Gefühle auszusprechen, so dafs sich selbst der mit
seinem Gegenstande in gar keiner Beziehung stehende Wunsch
findet, dafs Ludwig noch lange im Lande der Franken regieren
möge. Während das Rol. die Kämpfe selbst aufs ausführlichste
schildert, die Ausrüstung seiner Helden, ihre Kampfart, kurz,
alle einzelnen Vorgänge, zur Anschauung bringt, giebt das
Ludw. überhaupt keine Beschreibung der Schlacht, nur der
allgemeine Verlauf derselben wird in kaum 10 Versen mehr
angedeutet, als berichtet, um daran Lobeserhebungen der
Tapferkeit Ludwigs und Dank gegen Gott anzuknüpfen. Rol.
ist durchaus episch, das Ludw. überwiegend lyrisch. Man
hat längst behauptet, dafs das Ludw. von einem Geistlichen
gedichtet sei. Dies zeigt sich aber nicht nur in seiner Frömmig-
keit, sondern, wie ich eben gezeigt habe, die geistliche Dichtung
*) Ebenso beginnt die lateinische Bearbeitung des Rolandsliedes, des Carmen
mit einem Hymnus auf die Person dessen, die es besingt:
Rex Carolus, clipeus regni, tutela piorum,
Contemptor sceleris, sanctio juris erat
Marte ferus, stirpe presignis, corpore praestans etc.
Und der geistliche deutsche Bearbeiter Konrad eröffnet sein Werk sogar mit einem
langen Gebet. Das »ih weiz« ohne weiteren Zusatz ist übrigens eine gut epische
Wendung (s. Haupt Z. 3, 187), aber es werden hier zu viel persönliche Beziehungen
hervorgekehrt.
*) Aehnlich geht Vace in seinem Roman de Rou von der gegenwärtigen Zeit
aus zurück bis er zu dem Herzog Rollo gelangt ist, den er besingen will. Der Kunst-
dichter versucht dadurch eine ArtJJrücke herzustellen zwischen der Gegenwart und
einer seinen Lesern fremden Epoche.
verrät in ihrer ganzen Darstellungsweise noch ihren Ursprung
aus den lateinischen Hymnen. Wahrscheinlich zum Teil aus
mangelndem Interesse für die Einzelheiten, aber wohl «ach
weil ihnen die Kraft fehlt, diese auszumalen, füllen sie ihre
Verse mit rhetorischem Beiwerk. Das Typische und Un-
bestimmte steht an der Stelle des Individuellen und An-
schaulichen.
Folglich können Lieder von der Beschaffenheit des Ludw.
nicht die Vorstufen für die erhaltenen Chansons de geste
gewesen sein, und da andre in Frankreich gedichtete Schlachten-
lieder nicht vorhanden sind, so wird man gut thun, wenn es
sich darum handelt, durch ein Beispiel eine lebendige Vor-
stellung von dem, was die Schriftsteller des 9. s. mit cäntilena
bezeichnen, hervorzurufen, zu dem allerdings in Deutschland
entstandnen Hildebrandsliede zu greifen.
Und dies nicht ohne einen inneren Grund. Es ist be-
kannt, dafe seit dem 5. Jhd. eine starke Einwanderung deutscher
Stämme, besonders Franken, nach Frankreich stattgefunden
hat. Diese haben auf die Entwicklung der französischen Laute
nur einen geringen, auf den Sprachschatz dagegen einen viel
bedeutenderen Einflufs gehabt und noch viel gröfser ist der-
selbe auf Sitten und Einrichtungen der damaligen Bevölkerung
Frankreichs gewesen. Dafs wesentlich deutsche Zustände
den Schilderungen der französischen Epen zu Grunde liegen,
ist längst, auch von Gautier, anerkannt worden.
Aber auch die epische Technik werden die französischen
-Sänger von den deutschen gelernt haben, so dafs sich ihre
Gedichte nur durch die Sprache und die metrische Form
unterschieden. Die Verwandschaft zwischen den chansons
de geste des 8. und 9. s. und den deutschen Liedern mufs eine
sehr grofse gewesen sein, da noch in der gegenwärtigen Fassung
des Rol. sich Stellen finden, welche dieselbe beredte Knappheit
des Ausdrucks, dasselbe Sprunghafte, Energische, dieselbe An-
schaulichkeit zeigen, wie das Hildebrandslied.
Der Hergang ist also vielleicht folgender gewesen. Schon
seit alter Zeit gab es in Frankreich kleinere erzälende Dich-
tungen in kurzen, wahrscheinlich etwa fünfzeiligen, Strophen,
wie sie die ersten Nummern der Bartsch'schen Romansen-
sammlung zeigen. Aber diese enthielten keine Kampfschilde-
— w —
rangen, sotidern vielleicht Szenen aus dem häuslichen Leben,
Tierfabeln u. s. f., die mehr der Unterhaltung dienten, als dafs
sie die Gemüter der Zuhörer in Begeisterung versetzt hatten.
Da lernten die Romanen die deutschen Gesänge kennen, deren
stählerne Kraft auf die kriegerischen Männer ganz anders ge-
wirkt hat, als heute auf uns; wahrscheinlich dadurch, dafs
ein sprachkundiger Franke sie ins Französische übersetzte.
Dann vollführte Karl Martell jene glänzenden Kriegsthaten,
deren Ruhm die ganze Christenheit erfüllte; an diese schlössen
sich die seines tapferen Sohnes Pipin und des wahrhaft gröfeen
Karl in so ununterbrochener Folge an, dafs es kein Wuftder
ist, dafs die Tradition alle diese Eroberungen auf Karl den
Grofsen übertrug. Der Eindruck dieser heroischen Erscheinung
mufste die Phantasie auch der französischen Dichter lebhaft
erregen und zur Behandlung der grofsen zeitgenössischen Er-
eignisse reizen. Sie versuchten also die deutschen Lieder nach-
zubilden, bedienten sich aber dabei der ihnen geläufigen, po-
pulären metrischen Form. So entstand eine Dichtungsart,
welche dieselbe ist, wie sie uns in den chansons de geste
späterer Jahrhunderte vorliegt, nur dafs diese schon einen
gewissen Verfall zeigen, während die Dichtungen des 8» tttti
9. s. sich wohl noch im Zustande der Entwicklung befanden,
so dafs die eigentliche Blüte ins 10. Jh. zu setzen wäre.
Für diese letztere Annahme kann noch ein Beweis an-
geführt werden, der fast dieselbe Bedeutung beanspruchen
darf, wie wenn uns eine chanson de geste selbst aus dem
10. Jh. erhalten wäre: das sogen. Haager Fragment. Dieses
wurde bekanntlich von Pertz in einer Hs. dör königl. Biblio-
thek zu Haag entdeckt. Pertz setzte dieselbe in das 10. Jh«,
eine Annahme, welche der Oberbibliothekar der Haager
Bibliothek auf eine Anfrage Conrad Hoffmarms 1 ), auf das
Bestimmteste bestätigte. Er bemerkt schon integros versus tex-
tui immisceri. G. Paris besprach dann das H. Fr. an zwei
Stellen seines Buches 8 ), druckte dasselbe im Anhang vollstän-
dig ab und verwandelte einige Stellen der lateinischen Prosa
mit sehr geringfügigen Aenderungen, in Hexameter. Hofmafm*}
*) s. Sitzungsberichte der bayer. Akad. der Wissensch. zu München 1871 S. 339.
*) histoire po£tique de Charlemagne S. 50 f. u. 84 f.
3) a. ä. O. S. 331 ff. -
— 80 —
that schliefslich dasselbe fast mit dem ganzen Stücke, und
wenn auch einige Lücken blieben und vielleicht bei seiner
Herstellung einige Worte einen anderen Platz als den ur-
sprünglichen erhalten haben, so beweist doch, dafs dieselbe
ihm derart gelingen konnte, unwidersprechlich, dafs das H. F.
nichts als die Auflösung eines in Hexametern geschriebenen
Gedichts ist. Dieses mufs aber wiederum auf eine französische
chanson de geste zusückgehen. Ich stimme hier ganz mit der
Ansicht und der Art der Begründung von G. Paris überein,
(S. 5i): On peut en effet affirmer, sans hesitation, que le pogme
dont il faisait partie a dte traduit d'une langue vulgaire; le
mbine quelconque, qui Ta composd ne pouvait avoir les qua-
Utes d'invehtion necessaires k un pofe'te original; on ne saurait
mSme prßter & la versification latine de ce temps la facilite de
faire un po€me d'apres les recits populaires.»
Es hat sich noch eine Anzahl der urspünglichen Züge
durch die doppelte Verkleidung hindurch erhalten. Karl wird
als imperator bezeichnet wie im Roh, - der Ausdruck agrlis et
audax ist die wörtliche Uebersetzung von fort et legier (RoL
i3i2), ein Satz wie ridet Gradivus notans sanguinolenta brachia
findet, wie G.Paris anmerkt, seine Entsprechung in
Rol. i^ii Ja avez vos ambsdous lez bras sanglanz.
Respunt li quens : colps i ai fait mult genz.
Das epische Beiwort ist in reichem Mafse vorhanden. Es
zeigt also das H. Fr. ganz die entwickelte Form des franzö-
sischen Epos und beweist, dafs die Dichtung der chansons
de geste im 10. Jh. schon in voller Blüte stand.
Nun mufs aber dieser Blüte eine Entwickelung voraus-
gegangen sein; Es kann nicht eines Tages ein Dichter den Ent-
schluß gefafst haben, durch breitere Ausmalung der Details
ein neues. Genre zu schaffen; man wüfste nicht, was ihn auf
diesen Gedanken gebracht haben sollte und ein solches Re-
flektieren über seine Kunst liegt dem naiven Volksdichter fern.
Vielmehr wurde, diese Annahme ergiebt sich als die natür-
lichste, nach und nach der ursprünglich rasch fortschreitenden
Erzählung eine und die andere Einzelheit, Beschreibung einer:
Waffe, einer längeren Rede u. s. w. hinzugefügt und so er-
wuchs gan2f aümählich, niän könnte sagen tinbewufst, aus der
Romanze das Epos. Der Üebergang ist wahrscheinlich ein so
- 81 -
unmerklicher gewesen, dafs, wenn uns die Entwickekings-
stufen vollständig vorlägen, wir gewife in Verlegenheit sein
würden, an einem bestimmten Punkte das Auftreten einer
neuen Gattung zu konstatieren.
Der Parallelismus zwischen H. Fr. und Rol. erstreckt sich
auch auf ihr Verhältnis zur Geschichte. Hofmann hat a. a. O.
gezeigt, dafs das.H. Fr. einer älteren Form des Cyclus von
Guillaume d'Orenge angehört, aus dem einzelne Teile später
in die geste von Aimeri de Narbonne hinüber genommen
wurden.
5 Namen, die das H. Fr. enthält (Ernald, Bernard, Bertrand,
Borel l ) und Vibelin) lassen sich mit fränkischen Helden identi-
fizieren, die im 9. und teilweise im Anfang des 10. s. gelebt
haben. Wilhelm von Gellone selbst, der den Mittelpunkt des
Cyclus bildet, starb 812 oder 81 3 und hat thatsächlich mit
diesen Männern in Beziehungen gestanden. Wir erhalten also
die Proportion, ich glaube, ich darf mich hier des mathematischen
Ausdrucks bedienen: Helden, die im 9., bezw. Anfg. des 10. s.
gelebt haben, sind nachweislich im 10. s. besungen worden,
folglich dürfen wir annehmen, dafs es über den Kampf von
Ronceval, der am Ende des 8. s. stattfand, spätestens in der
ersten Hälfte des 9. s. ein Lied gegeben hat, und zwar war
dasselbe, wie wir gesehen haben, von derselben Gattung wie
das spätere Gedicht
Die Hypothese, die ich im allgemeinen für das altfranzösische
Epos annehmbar zu machen gesucht habe, in einer Erörterung,
die nach der Natur der Materialien eine umständlichere sein
mufste, wird für das Rolandslied durch die Existenz von den
französischen Hs. abweichender Ueberlieferungen einigermafsen
verifiziert. Man kennt dieselben bereits aus dem ersten Kapitel
dieser Arbeit. Dort und zum Teil im 2. Kap. habe ich, mich
stützend auf die Untersuchungen von G. Paris und Andern,
gezeigt, dafs die Ks. eine frühere, und die lateinischen Berichte,
Carmen und Turpin, noch ältere Gestalten des Rol. voraus-
setzen. Dabei ist noch garnicht zur Sprache gekommen, wie
dieses Verhältnis dadurch seine Bestätigung erhält, dafs die
genannten auswärtigen Ueberlieferungen in demselben Grade
1) Dieser Borel, der der Geschichte nach Graf von Barcelona ist. hier aber zum
Sarazenen gemacht wird, kommt als solcher auch Rol. 1388 vor.
6
- 82 -
der Geschichte näher stehen, als das RoL Dies und das
Yon mir behauptete, eigentümliche Mischungsverhältnis von
Historischem und Unhistorischem im französischen Roland
soll jetzt nachgewiesen werden. Dabei wollen wir von dem
ausgehen, was als historisch nachweisbar ist und zu bestimmen
suchen, auf welche Weise die einzelnen Zusätze hinzugekommen
sind. Natürlich wird sich diese Untersuchung nicht auf alle
Einzelheiten erstrecken können, sondern das Wichtigere her-
vorheben.
Ueber den spanischen Krieg haben wir zwei Berichte von
Zeitgenossen, die der vita Karoli von Einhard und den der
Annalen, welche früher auch Einhard zugeschrieben wurden l ),
deren Verfasser noch nicht festgestellt ist. Da die vita später
als die Ann. abgefafst ist, so ist es wahrscheinlich, dafs sie
dieselben benutzt hat. Wegen mancher offenbaren Unrichtig-
keiten hat sie nicht denselben historischen Wert wie diese,
aber da Einhard volle Gelegenheit hatte, sich über alle Er-
lebnisse Karls genau zu orientieren, so bringt sie manche
wichtigen Angaben, .die sich sonst nirgends finden 8 ), In der
Erzählung der Niederlage bei Ronceval stimmen sie beide
ziemlich überein, nur dafs die vita offenbar die Bedeutung
derselben abzuschwächen sucht, indem sie sagt, Karl sei salvo
et incolumi exercitu zurückgekehrt, praeter quod ... Was-
coniam perfidiam parumper in redeundo contigit opperiri. Da
die Annalen dagegen in höchst energischer Weise die Schwere
des Verlustes hervorheben 3 ), so werden wir anzunehmen haben,
dafs der Biograph, da er die Niederlage Karls nicht leugnen
konnte, sie wenigstens möglichst herabzumindern gesucht habe.
Das Resultat nun, das bei der Vergleichung der historischen
Berichte mit dem Rol. herauskommt, kann man im Ganzen so
ausdrücken, dafs das Letztere fast nirgends den Ersteren Wider-
sprechendes, aber oft mehr als diese ursprünglich geboten hat.
*) Dafs diese Annahme falsch ist, hat besonders Frese, tfe Einhardi vita et
scriptls specimen nachgewiesen. Ihm stimmt auch der neueste Untersucher der
Frag« bei: Beraay9, zur Kritik karolingischer Annalen S. I45ff:
r 9 ) s^ Ab e 1, Jahrbücher der frfink. Könige I, S. 5.
3 ), In hoc certamine plerique aulicorum quos rex copüs pvaefecerat, interfecti
surft/ direpta impedimenta et hostis . . . statim in diversa dilapsus est. Cuius yulneris
acceptio magnam partem rerum feliciter in Hispania ^estarum in corde regis obnu-
bflkvit. ' '
— 83 —
Zunächst das Gemeinschaftliche. Mach den Annalen hat Karl
auf seinem Zuge in Spanien nur die Stadt Pampelona ein-
genommen, nach der vita jedoch ist es eine gröfsere Anzahl
von Städten (omnibüs quae adierat oppidis atque castellis m
deditionem susceptis). Welches in diesem Falle das Richtige
ist, ist nicht leicht zu sagen. Einerseits erscheint es wunder-
bar, dafs Karl, der mit grofser Ausrüstung nach Spanien
gezogen war, seinen Angriff auf Pampelona und Saragossa
beschränkt haben sollte und es wäre ja möglich, dafc Einhard
hier die Angaben der Ann. nach mündlichen Berichten ergänzt
habe. Andrerseits wäre deren Unvöllständigkeit in einem so
wesentlichen Punkte nicht zu begreifen. Aufserdem haben wir
eben ein Beispiel von der schönfärbenden Tendenz der vita
gehabt.
Ebenso fraglich ist die Sache für das Rol. Allerdings ent-
sprechen den Worten Einhards die Verse 4 u. 5 fast genau:
Ni ad castel ki devant lui remaignet,
Murs ne citet n'i est remes a fraindre
Fors Saraguce etc.
aber diese Strophe enthält auch die Uebertreibung, dafs Karl
sieben Jahre in Spanien zugebracht habe. Aufserdem ist auch
aus andern Gründen zu vermuten, dafs diese und die folgenden
Strophen dem Gedichte ursprünglich nicht angehört haben,
sondern dafs dasselbe mit der Belagerung einer grofsen Stadt
begann. Ah die Stelle des Namens derselben, Pampelona, ist
schon im Carmen Morindia, 1 ) im Rol. Cordres getreten, offenbar
weil man später mit dem Namen Pampelona nichts anzufangen
wufste, während Cordova, als Sitz des Emirats, häufig genannt
wurde. Es ist richtig, dafs Karl die Mauern dieser Stadt zer-
störte: cuius muros, ne rebellare posset, ad solum usque de-
struxit (Ann.):
V. 97 Cordres ad prise et les murs peceiez
Od ses cadables les turs en abatiet.
Die' kleine Verschiebung, dafs dies hier gleich bei der Ein-
nahme der Stadt, in Wirklichkeit aber erst auf dem Rückzuge
geschah, will nichts bedeuten.
1) Anscheinend nur eine allgemeine Bezeichnung: »Die Mohrenstadt«; eine Stadt
Maurienna kommt in den Fortsetzungen des Fredegar a. 758 vor.
6*
— 84 -
In Karls Umgebung befinden sich die Pairs, welche später
beim Ueberfall getötet werden. Auch nach den Annalen sind
die Gefallenen aulici gewesen, nach der vita befinden sich unter
ihnen ein regiae mensae propositus und ein comes palatii, also
wirklich Männer , die Karl stets in seiner Nähe hatte.
Schwieriger ist die Frage: welche von den Pairs, die das
Rolandslied nennt, sind wirklich bei Ronceval gefallen? Die
vita nennt nur die drei Eggihardus, regiae mensae propositus,
Anseimus, comes palatii et Hruodlandus, Britannici limitis
praefectus, die Ann. gar keinen Namen. Man darf den letzteren
Umstand nicht benutzen, um die Angaben Einhards zu be-
zweifeln, denn dieser würde eine so bestimmte Bezeichnung
der Personen und ihres Amtes gewifs nicht ohne zuverlässigen
Gewährsmann gegeben haben. Und auch in die vita inter-
poliert können die Namen nicht sein, da die Grabschrift
Eggihards 1 ), welche sich in einer Hs. der Pariser National-
bibliothek befindet, diesen Namen sichert und wir daher auch
kein Recht haben, die beiden andern zu verdächtigen. Ferner
ist damit, dafs die vita nur 3 Namen angiebt, nicht schon
gesagt, dafs die übrigen des Rol. unhistorisch sind, denn es
ist nach beiden Quellen 2 ) eine gröfsere Anzahl Hauptleute
getötet worden und welche von diesen das Lied fallen liefs,
und welche es festhielt und feierte, dafür wird das persönliche
Verhältnis des Dichters zu ihnen oder die Popularität einiger
von ihnen entscheidend gewesen sein. Uebrigens kann man
in dem Anseis unsres Gedichtes ganz gut den Anseimus der
vita wiedererkennen; zwar entspräche der französischen Form
genau Ansegis*), aber solche Vertauschung .ähnlich klingender
Namen ist im Epos nichts Seltnes. Ferner mag Eggihard
durch den erst später in die Sage eingeführten Olivier ver-
drängt worden sein. Aber sicher ist andrerseits, dafs nicht alle
als Pairs genannten Personen zu Karls des Grofsen Zeit ge-
lebt haben, resp. bei dem erzählten Ereignis beteiligt waren.
Schon Rosenberg hat darauf aufmerksam gemacht, dafs
man »eine ältere und eine jüngere Heldengruppe« zu unter-
scheiden hätte. Auf diesen Punkt, der für die Chronologie
l) über dieselbe berichtet Dümmler, Zeitsch. f. deutsch. Altertum 16, 279.
3) . plerique aulicorura . : - interfecti sunt (Ann.), cum aliis complurihüs (vita).
^ oder Ansewig? cf, Lodo.wicus = Loois; also auch Ansewicus = Anseis?
— 86 _
des Rolandsliedes sehr wichtig ist, werde ich sogleich näher
eingehen.
Nachdem also Karl Pampelona eingenommen, zieht er vor
Saragossa, um es zu belagern, giebt aber diese Absicht auf,
nachdem ihm vornehme Sarazenen Geissein Übergeben haben,
und kehrt nach Pampelona zurück. Ebenso, nach der Dar-
stellung des Carmen, ursprünglich im Rol., nur mit einer
kleinen Lokalveränderung. Der Dichter hat wohl Karl nicht
umsonst den Zug nach Saragossa machen lassen wollen; er
erzählt daher, dafs der Kaiser von Pampeluna (oder vielmehr
Cordres) aus einen Boten (Ganelon) nach Saragossa geschickt
habe, um Unterwerfung zu verlangen, und dafs dieser die
sarazenischen Geissein in Empfang nimmt. Wie diese geringe
Veränderung andre bedeutendere nach sich zieht, werden wir
später sehn. Das Resultat ist im Liede, wie in den Chroniken
dasselbe: Karl begiebt sich auf den Heimweg nach Frankreich,
zieht durch die Pyrenäen, stellt, da er des schwierigen Terrains
wegen doch einen Ueberfall fürchtet, seine tüchtigsten Haupt-
leute an die Spitze der Nachhut, diese werden von den
Feinden angegriffen und sämtlich getötet. Das Rol. stimmt
hier überall auf das genaueste zu den historischen Berichten,
aber giebt noch mehr, der Situation durchaus angemessenes
Detail, so dafs es sich zu ihnen wie eine ausführliche mündliche
Erzählung zu einer annalistischcn Skizze verhält. Ich frage:
ist es denkbar, dafs die Tradition, durch kein Gedicht gestützt,
während dreier Jahrhunderte alle diese Umstände unverändert
gelassen habe?
Auch das Mehr des RoL, von dem ich schon Einiges vorweg
genommen habe, ist nicht ohne weiteres als erfunden zu be-
zeichnen. Nach der vita erfährt Karl »die vaskonische Untreue«,
auch die Ann. sprechen nur im allgemeinen von den Basken.
Das Rol. nennt einen bestimmten Verräter. Gewisse Gelehrte,
die mit Vorliebe das Volk en compagnie arbeiten lassen, 1 ) das-
felbe Gedichte gemeinsam verfassen und dann im Chor absingen
lassen, werden bereit sein, anzunehmen, dafs »das Volk« die
grofse That vollbracht habe, das Allgemeine und Unbestimmte
zu individualisieren. Für mich ist eine solche Vorstellung
geradezu unvollziehbar. Ich kann mir keine Gelegenheit denken,
i) ich denke besonders an Gantier.
— «6 —
durch welche ein solches Zusammenwirken veranlafst werden
sollte und nicht, wie ohne den Plan eines Einzelnen ein län-
geres organisches Gedicht, denn es handelt sich hier nicht um einige
lyrische Strophen, zu Stande kommen kann. Im vorliegenden
Falle möchte ich glauben, dafs, wenn auch die Ann. und die
vita keinen Verräter nennen, doch ein solcher vorhanden ge-
wesen sei, und zwar war es wahrscheinlich Lupus von Aqui-
tanien. Ich könnte mich dabei auf eine merkwürdige Urkunde
berufen, welche Michel 1 ) zum teil reproduziert. Der betref-
fende Passus lautet: Magnus avus noster Carolus fidelissimo
Lupo duci . . . totam Vasconiae partem beneficiali iure reli-
quit. Quam ille omnibus pejoribus pessimus, ac perfidissimus
supra omnes mortales .... arripuit Attamen dum si-
mulanter atrox nepos, sacramentum glorioso avo nostro Carolo
multiplex dicebat, solitam eius majorumque suorum perfidiam
expertus, in reditu eius de Hispania .... comites exercitus
sacrilege trucidavit. Diese Urkunde hat nicht nur Michel und
Genin, sondern auch manche französische Historiker, wie Martin,
veranlafst, als erwiesen zu betrachten, dafs Lupus den Verrath
ausgeübt habe. Aber die Echtheit dieser Urkunde ist von den
Herausgebern der neuen Auflage der histoire g&ie'rale de
Languedoc 1 ) mit gewichtigen Gründen bestritten worden. Wenn
ihr daher keine Angaben entnommen werden dürfen, so ist es
doch an sich nicht unwahrscheinlich, dafs Lupus der Verräter
gewesen, da er nicht nur. in den. Ann. a. 769 als Herzog der
Basken genannt wird, sondern sich schon damals in feind-
seliger Weise benimmt und nur durch die Drohungen Karls
bewogen wird, den Rebellen Hunald, dem er Schutz gewährt
hat, auszuliefern. Wenn nun dieser Lupus der Verräter ge-
wesen ist, wie kommt es, dafs das Rol. Ganelon als solchen
nennt? Wer ist dieser Ganelon? Man hat bis jetzt nur einen
Mann dieses Narpens aufgefunden, der die Rolle eines Verräters
gespielt hat. Es ist dies der Bischof Wenilo von Sens. Dieser
ist einer der Mitunterzeichner des Vertrags von Verdun, und
zwar befand er sich damals auf Seiten Frankreichs, fiel aber
dann zu Ludwig dem Deutschen ab. Wir besitzen eine An-
') Seite III in der Einleitung zur 1. Ausgabe. Die Urkunde ist datiert vom
Jahre 845«
3 ) Nach dem Vorgange von Rabanis, Im Merovingiens d'Aquififtjac,
— 87 —
klfcgeschrift Karls des Kahlen '), wo dieses Vergehen als ein
schlimmer Verrat bezeichnet wird. Ich glaube, es war G&iin,
der zuerst den Ganelon des Rol. mit dem Bischof Wenilo iden-
tifiziert hat.
Man hat gegen die häufig sehr gewagten Kombinationen
dieses Gelehrten, die er noch dazu als gesicherte Thatsachen
vorträgt, eine starke Abneigung und so hat man auch anfangs
diese Identifikation nicht gelten lassen wollen. Neuerdings aber
hat sich das geändert Gautier sagt 1 ): cette assimilation rtous
parait aujourd'hui beaucoup plus vraisemblable qu'autrefois.
Woran man Anstofs genommen hat, ist offenbar dies, dafs der Ver-
rat Wenilos, der doch eigentlich eine blofse Unterlassungssünde
war, seiner Natur nach nur engeren Kreisen bekannt sein konnte,
und man daher nicht begreifen kann, wie die allgemeine Tra-
dition dazu gekommen sein sollte, ihn zum Verräter von
Roncevalzu stempeln. Dies ist auch in der That ein Rätsel, dessen
Lösung man nicht ohne weiteres bei Seite schieben sollte, sondern
wenigstens versuchen mufs. Soviel ist selbstverständlich, dafs
wenn es ein Rolandslied im Anfang des 9. Jh. gegeben hat, in
demselben nicht Wenilo, dessen Treulosigkeit erst 859 stattfand,
sondern nur Lupus die Verräterrolle gespielt haben kann.
Aber es bleibt dann die Frage: Wie kam ein späterer Dichter
dazu, den Bischof Wenilo an die Stelle von Lupus zu setzen?
Einen sehr bedeutenden Platz nimmt ferner in unserm
Gedicht der Bischof Turpin ein. Es kann dies kaum ein an-
drer, als der Erzbischof Turpin od. Tylpin von Rheims sein,
der wirklich ein Zeitgenosse Karls des Grofsen war. Rosenberg
meint nun, wenn auch Turpin in der vita Einhardi nicht ge-
nannt werde, so sei es doch immerhin möglich, dafs er bei
Ronceval dabei gewesen sei, denn Karl habe öfter, auch auf
Kriegszügen, Bischöfe in seiner Umgebung gehabt Diese
Möglichkeit zugegeben, so folgt daraus noch nicht, dafs er sich
am Kampfe beteiligt habe; es wird überhaupt nicht von ihm
berichtet, dafs er ein streitbarer Mann gewesen sei. Ausser-
dem sind die Hauptleute der Nachhut sämtlich gefallen, nach
dem RoL auch Turpin unter ihnen, thatsächlich hat er aber
bis ca. 800 gelebt
') Diese ist nicht verdächtigt Abgedruckt ist sie bei Bonquet VIII 639 ff.
2 ) Anm. zu V. 178.
— 88 —
Ihrer Lebenszeit nach schliefsen sich an Turpin die beiden
Pairs Gerin und Berenger an. In diesen hat man wahrschein-
lich die Grafen Berenger von Toulouse und Warin von Au-
vergne zu sehn, die im Jahre 819 ') die Basken in einem Treffen
besiegten. Dafs diese in unser Gedicht aufgenommen wurden,
begreift sich um so eher, als sie nicht nur gegen Basken,
sondern auch gegen einen Lupus, der den Beinamen Centulli
führt, gekämpft haben. Die Verwechslung von Basken und
Sarazenen kann gleichzeitig mit den Ereignissen geschehn sein.
Beides waren heidnisehe Völker Spaniens, mit denen die
Franken im 8. und 9. Jhd. fortwährend zu kämpfen hatten;
bei den nicht sehr klaren ethnographischen Vorstellungen der
Zeit mochte man sie gar für ein Volk halten. So konnten
sogar schon im Kopfe Eines, der den spanischen Feldzug selbst
mitgemacht hatte, diese Vorstellungen in Verwirrung geraten.
Denn etwas kompliziert war der historische Vorgang. Abge-
sandte des Emirs von Saragossa waren auf dem Reichstage
von Paderborn erschienen, um sich dem Kaiser zu unterwerfen.
Karl war infolge ihrer Versprechungen nach Spanien gezogen,
Saragossa hatte sich ihm wirklich unterworfen, auf dem Rück-
züge aber wurde sein Heer von Heiden überfallen. Jeder, der
über die Verhältnisse nicht genau unterrichtet war, mufste an-
nehmen, dafs dies Sarazenen gewesen, dafs diese sich also nur
zum Schein unterworfen hätten und der Verrat von vornherein
beabsichtigt gewesen wäre. An der Spitze der verräterischen
Heiden stand ein fränkischer Graf (Lupus), also mufste sich
dieser heimlich mit den Sarazenen verschworen haben. Dieser
Teil der Vorgeschichte, welche das Rol. mehr bietet, als die
Ann. und die vita, kann also schon soweit unmittelbar nach
der Schlacht entstanden sein und stellt gewissermafsen die
lebendige Geschichtsauffassung des gewöhnlichen Mannes dar,
die aber durchaus nichts Sagenhaftes, d. h. Wunderbares ent-
hält. Vielleicht ein halbes Jahrhundert später wurden dann
die Namen andrer Helden, die sich gleichfalls in Spanien aus-
gezeichnet hatten, in das schon berühmte 2 ) Rolandslied ein-
gefügt. Die Verflechtung der Thaten Gerins, Berengers und
vielleicht auch Turpins bildete sozusagen die erste Hülle um
i) s. Annales a. 819.
*) s. die Angabe des Astrenomus,
- 89 —
den ursprünglichen Kern des Rol., während Wenilo schon zu
einer späteren Schicht von Helden gehört.
Wenn auch, wenigstens unter den erhaltenen eh. d. geste,
das Rol. wahrscheinlich das älteste ist, so scheinen doch
mehrere andere Helden nicht viel später durch ein besonderes
Lied verherrlicht worden zu sein. So der oben erwähnte
Guillaume d'Orange, so auch Girard von Roussilion. Die eh.
de geste, die des Letzteren Namen trägt, ist in mehreren Hss.
erhalten, deren Sprache eine stärkere oder schwächere pro-
venzalische Färbung trägt. 1 ) Die Streitfrage, die sich an die-
selbe geknüpft hat, ob es ursprünglich provenzalisch oder fran-
zösisch geschrieben sei, hängt mit der allgemeineren zusammen,
ob die Provenzalen überhaupt ein Epos besessen haben oder
nicht. Auf diese einzugehen, habe ich keine Veranlassung; nur
Eines möchte ich bemerken. Die historische Grundlage der
G. de R. gehört wahrscheinlich dem 9. Jh. an. Es handelt
nämlich von einem Grafen Girart, der, nachdem er 860 die
Sarazenen besiegt hatte, im Auftrage Karls von Provence die
Provence verwaltete und 870 mit Karl dem Kahlen in Kampf
geriet. Nehmen wir an, dafs auch dies Ereignis kurz darauf
durch ein Lied gefeiert worden sei, also zu einer Zeit, wo die
politische Trennung zwischen Nord- und Südfrankreich noch
nicht stattgefunden hatte und wo auch die Unterschiede der
Sprache noch keine so durchgreifenden waren, so liefse sich
die sprachliche Mischung des Gedichtes erklären und es würde
die Schwierigkeit gehoben, dafs man sich in Nordfrankreich
mit südfranzösischen Helden beschäftigte. 8 ) Nachdem dann in
einer späteren Fassung des Gedichts Karl der Kahle mit Karl
dem Grofsen vertauscht worden war, konnte ihn ein Roland-
redaktor auch in seinem Liede als einen Zeitgenossen desselben
aufführen.
Auch Walter gehört in diesen Kreis. Dafs er aus einem
andern Cyclus herübergenommen ist, verrät schon die Art
seines Auftretens. Er ist nicht unter der Zahl der Pairs, be-
findet sich nicht in der Umgebung Karls und wird zuerst in
der Tir. 65/66 genannt, wo er an die Spitze einer Abtheilung
') s. den instruktiven Aufsatz von P. Meyer, Romania VII, 161 ff.
*) Aehnliches wird man auch für die Entstehung der geste van Guillaume
d'Orange anzunehmen haben.
-r 90 ^
tritt, die die umliegenden Höhen bewachen sqll. Später finden
wir ihn an der Seite Rolands und Turpins kämpfend wieder.
Dies sind die drei Helden, welche, nachdem Olivier gefallen
ist, allein übrig bleiben und auf welche sich also das gesammte
Interesse konzentriert. Dafs bei dieser Wichtigkeit, die seiner
Person gegeben wird, Walter doch aufser in den genannten
beiden Tiraden, nur noch in drei Tiraden (154 — 156) vor-
kommt, ist auffallend; auffallender noch die verschiedenen Ver-
suche, die fehlende Verbindung zwischen ihm und dem Ge-
dicht herzustellen. V. 80 1 wird er ein Dienstmann Rolands
(hum sui Rollant) genannt, welche Bezeichnung vielleicht nur
aus seinem Beinamen del Hum (2o3g) entstanden ist Um
dann zu erklären, wieso er plötzlich mitten in der Schlacht
neben Roland auftaucht, werden Verse (2040 — 43) eingescho-
ben, des Inhalts, dafs er auf dem Berge überfallen und alle
seine Leute getödtet worden seien und dafs es ihm allein ge-
lungen sei, zu entkommen. Ich darf dies als eingeschoben be-
trachten, weil die Ks. diese Verse nicht bietet. Aber auch die
Tir. 65 — 66 sind interpoliert, denn sie fehlen dem Carmen.
Mithin ist das ganze Auftreten Walters völlig unmotiviert, er
kommt nur an einer Stelle vor und diese steht mit dem Plan
des Gedichts in keinem Zusammenhang, kann also nicht von
dem ersten Dichter herrühren. Zur Bestimmung von Walters
Herkunft giebt nur ein Vers (2048) einen bestimmten Anhalt,
wo er genannt wird.
Li nies Droun, al vieill e al conut.
Dieser Drogp ist eine Person des Epos von Girart von
Roussillon. Historisch wird er wohl identisch sein mit Drogo,
Bischof von Metz, einem Bruder Ludwig des Frommen, wel-
chem er sehr ergeben war und bei welchem er noch bis zuletzt
aushielt. 1 ) In der dänischen Chronik wird Walter auch zum
Neffen eines Bischofs, aber Turpins, gemacht. Wie Walter
aus diesem Cyclus in das Rol. gekommen sein kann, darüber
Jiabe ich mich schon gelegentlich Girarts ausgesprochen.
Ueber eine Anzahl anderer im Rol. vorkommender Per-
sonen läfst sich nichts Bestimmtes ausmachen. Es ist zwar
ziemlich zweifellos, dafs der Name des heidnischen Königs
') s. Astron. Kap. 63.
— ■ 91 -
Marsilies aus einer Verstümmelung eines wahrscheinlich zu-
sammengesetzten arabischen Namens hervorgegangen ist; aber
welcher zu JGrunde liegt, wird schwer auszumachen sein. Die
von den Ann. genannten Namen Ibin al Arabi und Abuthaur
zeigen eine zu verschiedene Lautgestalt, näher liegt der zu
a. 809 und a. 810 als Statthalter genannte Amoroz, wobei man
aber eine Weiterbildung mit dem Suffix — ilie (vgl. Basilie)
annehmen müfste. Gerier scheint eine Parallelfigur zu Gerin
(Warin) zu sein, -in der Absicht erdacht, zu dem Freundes-
paare Roland und Olivier ein Pendant herzustellen. Ebenso
verhält es sich mit Ivo und Ivorie, nur. vermag ich hier keinen
von Beiden als historisch nachzuweisen. Dafs zwei Personen-
namen durch Alliteration gebunden werden, ist etwas, was in
der französischen Litteratur nicht selten begegnet* 1 ) Allerdings
kommt die Alliteration auch im Lateinischen vor 2 ), aber un-
lateinisch ist grade die angeführte Bindung von Eigennamen
unter einander. Daher ist auch diese Eigentümlichkeit des
französischen Epos auf germanischen Einflufs zurückzuführen,
denn in deutschen Liedern ist diese Art der Alliteration be-
kanntlich sehr häufig 8 ) und durch den allitterierenden Vers be-
gründet — Alle diese Personen also, die sich nicht mit ge-
nügender Sicherheit chronologisieren lassen, können für die
Geschichte des Rol. nichts ausmachen. Dagegen berechtigen
uns, wie ich meine, die beiden aufgezeigten Schichten von
Helden anzunehmen, dafs in zwei aufeinander folgenden Ge-
nerationen Bearbeitungen des Rol. stattgefunden haben, die
noch älter sind, als das Carmen. Da alle bisher erwähnten
Helden schon in diesem Gedichte vorkommen, so wird es 4 )
ungefähr ins 10. s. zu setzen sein.
Welche Abweichungen von dem historischen Vorgange
zeigt nun die Erzählung desselben, abgesehen von den bereits
besprochenen? Dieselben befinden sich besonders im Eingang
des Gedichts. Der Verrat des Ganelon mufste motiviert werden.
Die Motivierung ist ursprg. ziemlich einfach gewesen. Noch
'} Herr Prof. Gröber hat eine Anzahl solcher allitterierenden Verbindungen. in Z.f.
rom. Pnil. VI, 469 zusammengestellt.
*) cf. Wölfflin, über die allitterierenden Verbindungen der lateinischen Sprache.
SiUgs.-Ber. der bair. Akad. 1881 O, 1 ff.
*) Ich erinnere nur an Günther, Gernot und Giselher, Sigmund und Sigelint,
Hildebrand und Hadubrand.
4 ) rttp. § qine Vorlage.
— 92 -*
das C. giebt an, dafs Ganelon, als er zu Marsilies geschickt
wurde, nicht im Mindesten an Verrat gedacht habe; sondern
dafs er sich erst später durch das Geld und die Schmeicheleien
desselben habe bestechen lassen. Ein späterer Dichter liefs dies
Motiv zwar nicht fallen, aber doch in den Hintergrund treten,
vielleicht, weil es ihm zu gemein schien. Er brachte Ganelons
That in direkte Verbindung mit Roland, der Hauptperson. Was
konnte den Erstehen veranlassen, Roland zu verderben? Neid
auf seinen Ruhm konnte das Motiv sein, dann aber auch Rache
dafür, dafs Roland ihm einen so gefährlichen Posten verschafft
hatte. In C. wird dies Motiv schon angeschlagen, indem Ga-
nelon über den Vorschlag Rolands in grofsen Zorn gerät, aber
es wird nicht ausgeführt, Ganelon stöfst keine Drohung gegen
Roland aus und es wird ausdrücklich gesagt, dafs dieser,
als er Ganelon nannte, nichts Böses dabei gedacht habe.
Ein späterer Bearbeiter meinte, Roland müsse Grund gehabt
haben, sich Ganelons zu entledigen und so entstand eine Fa-
milienintrigue: Ganelon wird zum Stiefvater Rolands gemacht
Er mufs zwar, da der Kaiser Rolands Vorschlage zustimmt,
die Gesandtschaft übernehmen, aber er schwört ihm Rache,
und führt sie durch den Verrat aus. Man kann nicht leugnen,
dafs diese von dem späteren Dichter erdachte psychologische
Begründung, wenn sie auch die Erzählung von der Geschichte
immer mehr entfernt, doch einen Fortschritt der Darstellung
bedeutet, diese wird dadurch mannigfaltiger und anziehender.
Aber es schliefst sich leicht der Verfall an: denn wenn wieder
in einer jüngeren Redaktion an dieser Stelle Ganelon in zwei-
deutigen Ausdrücken seinen Verrat im voraus ankündigt und
sich dann, als er verurteilt werden soll, darauf beruft, dafs er
Roland und Olivier in öffentlicher Versammlung die Freund-
schaft aufgekündigt habe, so ist dies eine Spitzfindigkeit, die
schon nicht mehr in den Bereich der Poesie, mindestens nicht
der naiven Epik, gehört.
Zum Carmen zurückkehrend, hebe ich nur noch das Bla-
sen des Horns heraus. Alle erhaltenen Ueberlieferungen lassen,
wovon allerdings geschichtlich nichts überliefert ist, Karl den
Grofsen auf das Schlachtfeld zurückkehren und Roland und
die Seinigen beweinen; vermutlich ist dies schon im ersten
Rol. der Fall gewesen. Aber dazu war eine Vermittelung
- 93 —
nötig, durch welche Karl den Untergang Rolands erfuhr. Man
kam auf den Einfall, dafs Roland durch das Blasen seines
Horns ihn herbeigerufen habe. G. Paris meint, man hatte zu-
erst ein altes, zersprungenes Hörn für das Rolands ausgegeben
und dadurch wäre erst die Erzählung von demselben in das
RoL hineingekommen. Dies ist mir deswegen nicht wahr-
scheinlich, weil C. diese schon enthält und doch von der Auf-
bewahrung des Horns nichts weifs. Vielleicht beruht diese
Episode wirklich, wie Manche wollen, auf einer alten mytho-
logischen Vorstellung, und es ist, was ursprünglich von einem
Gotte erzählt wurde, schon ziemlich früh auf Roland über-
tragen worden. Wie sie sich in den jüngeren Redaktionen zu-
sehends kompliziert, soll später gezeigt werden.
Schreiten wir dann in der Entwickelung vom C. weiter
zur Ks., so kommt hier ein neuer höchst bedeutender Zug
hinzu. Die Tragödie wird zum Schauspiel; das RoL, das auf
der Stufe des C. damit schlofs, dafs Karl die Gefallenen be-
weint und begraben läfst, endet schon in der Ks. mit der Ver-
geltung, mit dem Siege Karls über die Heiden. Dafs die Ver-
sion des C. nicht etwa auf einer Verkürzung beruht, sondern
die ursprüngliche ist, geht aus folgenden Erwägungen hervor.
Hätte der Dichter des C v , nachdem er noch kurz vorher den
französischen Text recht ausführlich wiedergegeben, etwa
plötzlich die Lust dazu verloren und zu Ende kommen wollen,
so hätte er doch wenigstens mit ein paar Worten sagen
können, dafs Karl die Feinde besiegt habe, nicht diese That-
sache, falls sie sich in seiner Vorlage befand, überhaupt aus-
gelassen. Dann aber ist diese Annahme gänzlich willkürlich,
und keineswegs durch die sonstigen Umstände zu rechtfertigen,
die sogar für das Gegenteil sprechen. Karl kann die Feinde
gar nicht schlagen, weil sie längst entflohen sind, und in x
wird er nur mit Zuhülfenahme eines deus ex machina mit
ihnen in Verbindung gebracht. Ferner haben wir schon überall
gesehen, wie jede Andeutung des vorhergehenden Dichters
von den folgenden zu einigen Tiraden ausgeführt wird; so
konnte sehr leicht, nachdem einmal gegeben war, dafs Karl
auf das Schlachtfeld zurückgekehrt sei, dazu fortgeschritten
werden, dafs er sich an den Feinden rächte.
Aber Turpin (Kap. 26) enthält ja Schon diese Angabe?
— 94 -
Dasselbe Kapitel und die mit ihm zusammenhängenden fol-
genden bringen so viele Züge, die sich bestimmt als Zusätze
bezeichnen lassen, dafs ihnen, wie ich im ersten Kapitel aus-
geführt habe, eine spätere Version des RoL zu Grunde liegen
mufs.
Die An und Weise nun, auf welche Karls Sieg herbei-
geführt wird, verrät entschieden die Hand eines geistlichen
Redaktors. Derselbe fand in der vita des Einhard, die ihm
wahrscheinlich bekannt war, dafs Karl nicht an den Basken
habe Rache nehmen können, weil dieselben noctis beneficio,
quae iam instabat, protecti summa cum celeritate in diversa
disperguntur. Von dem Bestreben geleitet, das in den späteren
Teilen des Rol. aufs deutlichste hervortritt, die Christen
schliesslich doch den Sieg Über die Heiden davontragen zu
lassen, ersann er ein Wunder. Der Abend bricht herein und
begünstigt durch sein Dunkel die Flucht der Heiden, da betet
Karl zu Gott, er möchte die Sonne still stehen lassen. Die
Sonne bleibt stehen und die Franken können die Heiden ver-
folgen und vernichten.
Stände diese religiöse Wendung allein da im Rol., so
könnte man sie immerhin noch der Phantasie eines frommen
Laien zuschreiben. Aber dies ist nicht der Fall, sondern es
findet sich, wie aus der Zusammenstellung des Excurses zu er-
sehen ist, eine ganze Anzahl solcher religiöser Züge und Aus-
drucksweisen in demselben. Gautier, der einen sehr ausführ-
sichen Artikel verfafst hat mit der Aufschrift l'idee religieuse
dans la poesie £pique du moyen äge, 1 ) möchte dies darauf zu-
rückführen, dafs damals die fromme Gesinnung im ganzen
Volke sehr verbreitet gewesen sei. Was er aber zum Beweise
anführt, ist rein äufserlicher Natur. Es ist richtig, dafs man
den Namen Gottes im Mittelalter sehr häufig im Munde ge-
führt hat, die verschiedenen Zusätze jedoch, mit denen er be-
gleitet wurde und in denen G. das Ausströmen tiefer Empfin-
dungen sieht, finden sich zum gröfsereh Teil in späteren Epen,
und so rationalistisch dies erscheinen mag, so bin ich doch,
nach dem Eindruck, den ich von diesen erhalten habe, sehr
«) In der Revue du Monde Catholique 1867, dann auch 1868 in Paris bei Palm*
erschienen, ., •
— 95 -
geneigt, die frommen Worte ftkr nichts weiter als bequeme
Formeln für- den Reim zu- halten: der Dichter, wenn die
Meistersingerei dieser Zeit diesen Namen noch verdient, wählte
deu li glorios oder creator, wenn es sich um eineTirade in o
handelte, li spirital, wenn er aufa', li fieus Sainte Marie oder
que dieu vos beneie, wenn er auf i-e reimen wollte u. s. f.
Von dem häufigen Gebrauch des göttlichen Namens bis zu
einer geistlichen Auffassung, welche die Darstellung religiöser
Vorgänge und Stimmungen den Kampfesschilderungen vor-
zieht, ist es doch noch recht weit und das Rol. selbst scheint
mir, in den. sicher ursprünglichen Teilen, gegen das Vor-
handensein einer solchen unter den Laien zu sprechen. Ich
habe im Excurs nachzuweisen gesucht, dafs der Kern des
Gedichtes frei ist sowohl von religiösen Gedanken, als von ge-
lehrten Wortbildungen und dafs diese beiden nur an bestimmten
Stellen auftreten, die sich durch Häufung und Kombination
solcher Elemente verdächtig machen.
Dafs der Umfang des Rol. bedeutend geringer wird, wenn
man alle diese geistlichen Zusätze abzieht, ist klar, d. h. es er-
giebt sich, dafs das Rol. des 9. s. viel kleiner war, als das jetzt
vorhandene. Diese beschränken sich nun nicht blofs auf den
Inhalt, sondern es giebt auch deren, welche, ohne denselben
wesentlich zu alterieren, Einzelnes besonders vermittelst Reden
weiter ausführen und variieren.
Zu der Annahme ebensolcher Zusätze nicht geistlichen
Inhalts werden wir durch den Vergleich mit dem C. veranlafst.
Allerdings ist in dieser Beziehung ein vorsichtiger Gebrauch
von C. zu machen. Wie ich mir denselben denke, habe ich
im ersten Kapitel entwickelt und möchte ich hier durch ein
Beispiel anschaulich machen. Vorher aber will ich noch ein-
mal dem möglichen Einwände begegnen, als ob das C. durch-
weg eine verkürzte und vereinfachte Wiedergabe sei, dafs also
die detaillirten Ausschmückungen von vorn herein zum Wesen
des französischen Epos gehört hätten und dafs man gar kein
Recht hätte, selbst wenn sie als überflüssig oder sogar den
Gang der Erzählung hemmend empfunden würden, sie als
Interpolationen aufzufassen. Wir würden wirklich in Verlegen-
heit geraten, wie wir diese Alternative entscheiden sollen,
wenn uns nicht die Technik solcher Bearbeitungen von andrer
- 96 -
Seite her bekannt wäre. Dieselben zu studieren, gewähren
schon die jüngeren Hss. des Rol. Gelegenheit und ich habe
gerade in der Absicht, das Verfahren der Interpolatoren dar-
zulegen, im ersten Kapitel aus denselben zahlreichere Bei-
spiele gegeben, als für dessen Zwecke an sich erforderlich
gewesen wäre.
Aber man kann wieder bemerken, dafs wir durch sie nur
die moule £pique des i3. s. kennen lernen, nicht die der frü-
heren Jahrhunderte; deswegen habe ich mich bemüht, so zu
sagen, die Theorie der Interpolationen aus dem Alexius abzu-
leiten, 1 ) dessen Original aus der Mitte des n. s. und dessen
stark interpolierter Text aus dem 12. s. stammt. Dieser steht
also dem Oxf. Text zeitlich ziemlich nahe; ein noch älteres
Gedicht in mehrfacher Ueberlieferung haben wir leider nicht
zur Verfügung und so müssen wir versuchen, aus der Ver-
gleichung der beiden Alexiushs. allen möglichen Vorteil für
die Erkenntnis der damaligen epischen Technik zu ziehen.
Dieselbe ergiebt nun mit Evidenz, dafs es durchaus üblich
war, bei verschiedenen Gelegenheiten ausschmückende Verse
einzufügen. Solche Gelegenheiten boten in erster Reihe
Namen dar. Ein Sänger fand in einem Liede, das er recitieren
wollte, den Namen eines Helden vor, von dem er schon ander-
weit hatte singen hören. Sei es, dafs seine Erinnerung sich
auf eine andere That desselben Namens bezog, die in einen
ganz verschiedenen Zusammenhang gehörte, sei es, dafs ihn
nur der Klang eines ähnlichen Namens verführte, er bedachte
sich nicht, das was er wufste, oder zu wissen vorgab, durch
einige Verse einzuflechten. So war T. 4 von Eufemien gesagt,
Donc prist moiller vaillant et honore'e,
der Interpolator S. fügt den Namen der Frau und den ihres
Vaters hinzu.
Fille Flourent, o non Boine Euree.
Am Ende von Tir. 7 heift es, der junge Alexius habe dem
Kaiser gedient, S. nennt den Namen des Kaisers (Octavian)
und schliefst daran gleich eine Anzahl von Versen. Mit der-
selben Regelmäfsigkeit wird wieder der Name der Braut des
Alexius angegeben (T. 8); des Klosters, in welchem die Hoch-
zeit stattfand u. s. f.
* *) cf. Herrn Prof. Gröbers Ausführungen, Zeitsch. f. rom. Phil., VI, 495.
- 97 -
Oder es war von einem berühmten Gegenstände die Rede;
der Interpolator bestrebt sich, von demselben eine Beschrei-
bung oder Genealogie zu geben (durch welche der fremde
Name oder Gegenstand dem Hörer offenbar näher gebracht
werden soll).
Z. B. hatte T. 18 von einem Gottesbilde gesprochen, das
die Engel gemacht hätten. S. schiebt eine ganze Tirade ein,
um zu beschreiben, wie es die Engel gemacht hätten, nicht
aus Holz oder aus einem Metall, sondern indem sie wirkliches
Fleisch und Blut mit einander vereinigten. Diese Angaben
stehen mit der Geschichte selbst in gar keinem Zusammenhang.
Aehnliche Beispiele aus dem Rol. sind V. 121 5, wo zu
dem Namen des Bruders des Marsilies hinzugefügt wird
II tint la terre Dathan e Abirun,
V. i3go. Der Erzbischof tütet einen Heiden Siglorel,
l'encanteur ki ja fut en enfer
Par Artimal l'i conduist Jupiter
und V. 1 52i. Hier war schon von Valdabrun gesagt, dafs er
der Bruder des Marsilies war und damals Ganelon reichlich
beschenkt hatte (i52o, 152627). Beides stimmt mit der früheren
Rolle (T. 49) Uberein und ist also ursprünglich; obwohl also
dieser Name schon näher bestimmt war, fügte doch ein Üeber-
arbeiter (x) hinzu:
i52i Sire est par mer de quatre cent drodmunz
N'i ad eschipre ki s'cleimt se par lui nun
Jerusalem prist ja par traison, etc.
Da die Stelle, wo er zuerst vorkommt, von alledem nichts
weifs, so liegt hier die Interpolation, trotzdem sie durch keine
Ueberlieferung erwiesen werden kann 1 ), klar vor Augen.
Besonders aber unterscheidet sich der interpolierte Text
des Alexius von seinem Original durch die Ausmalung der
Situationen und Erweiterung der Reden.
Ein Beispiel bietet schon die zweite Strophe, welche lautet:
AI tens Noe et al tens Abraham
Et al David que Deus par amat tant
Bons fut li siecles: ja mais n'iert si vaillant
') denn Ks. hat schon diesen Zusatz und die Auslassung in C. ist für solche
einzelnen Sätze nicht beweisend, wie ich dargethan habe.
7
- *98 -
' Viclz est et frailes, tot s'en vait declinant
S'ist empeiriez, tot bien vait remanant.
Der Ueberarbeiter S. hat es für passend erachtet, an die
Stelle des allgemeinen Gedankens tot s'en vait declinant eine
ausführliche Schilderung zu setzen, wie das gegenseitige Ver-
trauen aus der Familie geschwunden sei, Gottes Gebote nicht
mehr gehalten werden, die Kirchen zurückgehen u. s.w. Er
empfand nun, dafs dadurch der Vers
Vielz est et frailes, tot s'en vait declinant
überflüfsig geworden sei und liefs ihn weg. Die ursprüngliche
Strophe ist dadurch unvollständig geworden.
... „ Noch . deutlicher wird das Verfahren durch Str. i5. Die
fünf Zeilen derselben. '
Quant sa raison li a tote mostrede
.".s Pois li commandet les renges de s'espede
Et un anel, dont il Tout esposede.
Donc en eist fors de la chambre son pedre
,En nrie nuits s'en fuit de la contrede
sind unter der .Hand des Ueberarbeiters zu 170 Versen ge-
worden. Diese bringen nichts Neues, sondern sind nur Er-
weiterungen des Vorhergehenden, bes. der Str. 14, zum Teil
sogar direkte Wiederholungen, so dafs wir hier mit eigenen
Augen sehen, wie aus der Hand eines Bearbeiters (des 11.
oder 12. s.) mehrere Repetitionsströphen ') entstehen, während
der Text selbst von ihnen frei war.
Man vergleiche
S XVI,. 149 Bele, dist il, celui tien a espous
. Qui nous raienst de son sanc precious, etc.
mit XV, 144 f. Bele, dist il, cehii trai a garant
Qui nous raienst de son- precious sanc, etc.
und mit XVII, 174
Bele, dist il, ja ses tu bien de fi, etc.
; . . D^r ursprüngliche Dichter hält es nicht für notwendig,
auf die Mittheilung des Alexius eine Antwort seiner Braut fol-
gen zu lassen. Er begeht damit einen Sprung; denn der Si-
tuation; gem£fe mufs man eine solche erwarten. Aber sie konnte
keine Bedeutung haben, da Alexius fest entschlossen ist, seine
Braut zu verlassen, ob mit, ob gegen ihren Willen. Unserem
') auf welche ich sogleich zu sprechen komme.
— 99 —
Dichter liegt hur daran, das Wesentliche zu erzählen, manches
Nebensächliche läfst er uns erraten. Dadurch entsteht, was
man auch am Alexiusgedicht zu rühmen hat, Kraft der Dar-
stellung uud Energie des Ausdrucks. Dieselbe zeigen auch
die unzweifelhaft echten Teile des RoL und wir haben daher
Straffheit und Kürze als charakteristisch für die ältere fran-
zösische Epik anzusehen. 1 )
Auf welche Weise wird der Zusammenstofs der Heiden
mit Roland und den Seinigen erzählt? Olivier steigt auf einen
Hügel und sieht die Feinde vor sich. Er teilt dies Roland
mit und zugleich seinen Verdacht, dafs Ganelon sie verraten
habe. Aber kein Schimpfen über diese Niederträchtigkeit, kein
Verzweifeln, wie sie der Menge der Feinde widerstehen sollen,
sondern, bei ihm allerdings weniger als bei Roland, Freude
über den Kampf.
io23 Icist ferunt noz Franceis grant irur
»Diese werden unsere Franken in grofse Kampfes wut bringen«
(ihnen wacker zu thun geben).
« hat gemeint, die Helden und auch die Zuhörer vor-
bereiten zu müssen, und deswegen T. 80 eingeschoben, \vie
Ks. beweist, die die Tirade nicht enthält. Da wird uns aus-
führlich erzählt, wie die Feinde sich rüsten, obwohl sich zwei
Tiraden darauf eine Schilderung davon findet, wie sie gerüstet
sind. Da spricht Olivier von der Möglichkeit, dafs jetzt die
Feinde kommen könnten
1006 Dist Oliviers: Sire cumpainz, 90 crei
De Sarrazins purrum bataille aveir,
und Roland dient ihm darauf mit verschiedenen pathetischen
Wendungen voll Patriotismus und frommen Glaubens:
Pur sun seignur deit hum suffrir destreiz
E endurer e granz calz e granz freiz
Si 'n deit hum perdre e de F quir e de 1* peil
und Male can$un ja cantee n'en seit
Paien unt ton e chrestien unt dreit
Malvaise essample n'en sera ja de mei.
Gehen wir aber weiter zurück, so finden wir, dafs auch
1) Wie gar nicht anders zu erwarten ist, wen* wirklich, wie ich annehme, die-
selbe aus der Romanze sich entwickelt hat.
7*
- 100 —
T, 81 nicht ursprünglich ist, dafs es eine noch einfachere Form
gegeben hat. Denn nach der Erzählung des C. sieht Roland
selbst die Feinde und weifs sofort, dafs er verraten ist. Da-
durch, dafs x dies auf Olivier übertrug, eröffnete er sich erst
die Möglichkeit zur Diskussion zwischen Roland und Olivier,
welche die Tir. 81 bis 83 füllt. Daran spinnt sich wieder der
sehr ausgeführte Streit wegen des Hornblasens, der bei C. in
wenigen Zeilen abgemacht ist Die jüngeren Hs. haben diesen
Passus ihrerseits erweitert, indem sie Olivier gegen den Vor-
wurf der Feigheit, den man ihm vielleicht hätte machen kön-
nen, in Schutz nehmen. Indem so die jüngeren Bearbeitungen
immer mehr nach Motivierung und Ausführung des Details
streben, erhält das ursprüngliche Gedicht leicht das Doppelte
und Dreifache seines Umfangs.
Nur ein besonderer Fall dieser Erweiterungen sind die
Wiederholungsstrophen. Ueber diese hat zuletzt Dietrich 1 ) in
eingehender Weise, aber doch nicht mit der wünschenswerten
Schärfe gehandelt. Seine Ansichten sind im wesentlichen schon
von Herrn Prof. Gröber in seiner Besprechung von Dietrichs
Arbeit 2 ) widerlegt worden, so dafs ich nur noch das dort Ge-
sagte weiter auszuführen und durch Argumente anderer Art
zu .unterstützen habe. Durch Zusammensetzung aus verschie-
denen Liedern' 5 ) können, wie Dietrich richtig bemerkt, die Re-
petitionsstrophen, ich spreche hier nur von denjenigen, welche
den ganzen Inhalt einer schon vorhandenen Tirade reprodu-
zieren, nicht blofs eine einzelne Zeile mit ihr gemeinsam ha-
ben, nicht erklärt werden. Ebensowenig aus Varianten, d. h.
einzelnen Textveränderungen in 4 en verschiedenen Hs., so dafs
die Repetitionsstr. nur andere Lesarten der einen Tir. darstell-
ten. 4 ) Dietrichs Frage hätte daher nur lauten dürfen: stammen
die Pep.str. vom ursprünglichen Verfasser oder von späteren
Ueberarbeitern? »Er rriüfste diese Frage um so mehr in den
Mittelpunkt seiner Untersuchung stellen, als er bei mehreren
Epen (Fierabras, Ogier, Aiol etc.) die interpolierende Redaktion
zugiebt , also Kriterien für die interpolierte Dittologie und für
') Romanische Forschungen, Jahrg. i S. i ff.
») Z. f. rom. Ph. VI, 492 ff.
?) was Monin, Ferd. Wolf u. A. angenommen haben.
4 ) die Hauptvertreter dieses Standpunktes sind Fauriel und Steinthal.
— 101 —
die Originale anzugeben hatte.« ') Diese Wiederholungen hem-
men die Erzählung und machen sie unübersichtlich, wir linden
nichts Entsprechendes in deutschen und griechischen Epen;
sie erscheinen uns, wenigstens zum Teil, lästig und lang-
weilig, und dafs unser Geschmack keineswegs ein so verschie-
dener von dem des damaligen französischen Volkes ist, das
beweist, dafs uns seine ältesten Lieder und Romanzen noch
heute eine Quelle des reinsten Genusses sind. Dort wird mit
grofsem Geschick, gedrungen und anschaulich und ohne
Wiederholungen erzählt Wir werden uns also nur im äufser-
sten Notfalle zu der Annahme entschließen, sie für ursprüng-
liche Bestandteile der chs. de geste, speziell hier des Rol.,
anzusehen, vielmehr nach einer Erklärung suchen, durch
welche Umstände sie später in das Original gekommen sein
können.
Der Hauptsatz Dietrichs ist 2 ): »die Wiederholungen bilden
ein Ganzes, so dafs, wollte man eine beliebige derselben
streichen, man den Zusammenhang zerreifsen, zuweilen sogar
Widersprüche hervorrufen würde.« Als Beispiel führt er an,
und legt grade auf dieses besonderen Wert, dafs der V. 2875
les colps Rollant connut a treis perruns
die drei Tiraden 173 — 175 notwendig voraussetze. Das ist voll-
kommen richtig. Wer dem Verse diese Form gab, nahm da-
mit auf die drei Repetitionsstrophen Bezug. Aber es ist sehr
die Frage, ob der V. 2875 ursprünglich ist, und wenn, ob in
dieser Form. Gegen das Erstere spricht die Ks., die den ganzen
Passus, und wie wir sehen mit Recht, nicht hat, denn es
schliefst sich V. 2876 direkt an 2869 an; die beiden VV. 2870
und 71 sind aus 2876 entstanden, 2873 ist überflüssig, denn er
m
ist schon in 2877, 2874 in 2869 enthalten. Es ist also 2870 bis
2875 Tiradenanschub und V. 2875 in einer früheren Redaktion
(x) nicht vorhanden gewesen.
Ferner die Form des V. 2875 (in O) für unursprünglich
zu halten, veranlafst die Hs. V, denn die Lesart derselben
3o59 li colp de rollant cognos in leperon
1) Gröber, a. a. O. S. 493.
«)a.a. O. S.4.
— 102 —
•
spricht nur von einem Felsen, was sehr gut zu ihrem
V. 2457 Douls culs i fiert per dols e per rancure
pafst'X aber nicht zu den Wiederholungsstr. 174 und 175.
Es ist sehr natürlich, dafs Roland mehrere Male versucht,
sein Schwert an dem Felsen zu zerbrechen, aber eine ziemlich
alberne Zuspitzung ist es, dafs er denselben Versuch an ver-
schiedenen Felsen macht, etwa um zu sehen, ob der eine nicht
härter sei, als der andere, abgesehen davon, dafs man nicht
weifs, woher die verschiedenen Steinarten sich im Bereiche
des sterbenden und sich nur mit Mühe aufrichtenden Roland
befunden haben sollen. Der Vorgang war also wahrscheinlich
folgender: « fügte den Tiradenanschub 2870 — 75 hinzu, welcher
die Situation etwas mehr, ausmalen sollte, wobei V. 2875 die
Form erhielt wie in V. Der Schreiber von O, von dessen aus-
bessernden Thätigkeit wir schon mehrere Beispiele gehabt;
änderte le perrun mit Bezug auf das Frühere in treis perruns,
in V aber blieb die frühere Lesart aus Unachtsamkeit stehen.
Diese Auflassung wird unterstützt durch den Inhalt der
Wiederholungsstr. Schon nach dem oben über die Steine Ge-
sagten wird man annehmen müssen, dafs, da zwei Tiraden
hinter einander beginnen
Rolanz ferit el perun de sartanie
und Rolanz ferit en une perre bise,
diese Steinnamen an sich ganz bedeutungslos und nur dazu
da sind, eine neue Assonanz einzuleiten. Es liegt aber in dieser
Manier etwas Hand wer ksmäfsiges, das dem Epos in seiner
Blüte, fremd gewesen sein mute. Wer so das einzelne Detail
zu entwickeln sich bemüht, hat kein Interesse mehr für das
Ganze der Erzählung, das ist nicht der ursprüngliche Dichter,
der voll Begeisterung für seinen Helden singt und seine Thaten
schildern will, das ist nicht derselbe, dessen gedrängten Stil
wir an anderen Stellen bewundern.
Man hat gesagt, die Wiederholungsstrophen ergänzen
einander. Aber wer in T. 173 sich der emphatischen Wen-
dung bedient: »Soviel Schlachten habe ich mit Dir, gutes
Schwert, geschlagen« (23o5), der will sie eben nicht aufzählen,
wie es in der folgenden Tirade geschieht. Diese Verse er-
1) in O 2301 mit unerheblichem Unterschied:
Dis colps i fiert par doel e par rancure,
— 103 —
fordern nicht die einen die andern, sondern sie schliefsen sich
gegenseitig aus. - Dagegen ist es sehr begreiflich, wie jemand,
dem es um Verlängerung des Gedichtes zu thun war, darauf
kommen konnte, was Roland zusammenfassend gesagt hatte, im
Einzelnen auszuführen.
Ferner: in wie später Zeit erst konnte eine Strophe ent-
stehen, die Karl im Besitz von Konstantinopel und England
weifs? Was ist der V. 2337 Damnes deus pere,. ne'n laissier
hunir France Anderes, als ein Appell an den Patriotis-
mus des zuhörenden Publikums, und kann daher dieser Vers*
früher als im n. Jhd. gedichtet sein? Wie allmählich sich der
Katalog der eroberten Länder ausgebildet hat, zeigt der Um-
stand, dafs hier fast alle Hs. auseinandergehen, dafs L und C
nur fünf Zeilen gegen die elf von O (2322 — 32) haben.
-Und wie stimmt T. 175 zum Charakter unseres Helden?
In T. 173 hatte Roland zu seinem Schwerte gesagt: ich habe
mit Dir so viele Heldenthaten vollführt, ich will nicht, dafs
Dich ein Feigling besitze. Jetzt sagt er: Ach, Durendal, wie
bist Du schön und sehr heilig. Ein Heide soll Dich nicht in
die Hand bekommen, nur ein Christ darf Dich führen. Diese
beiden Strophen können nicht neben einander bestehen.
T. 173 allein spricht die Gesinnung des ungestümen Helden
aus, als der uns Roland geschildert wird.
Dabei ist besonders zu beachten, dafs die echte Strophe
ganz frei von religiösen Vorstellungen ist, die beiden Repet.str.
nicht; denn die erste von beiden erzählt, wie Karl das Schwert.
Rolands durch einen Engel vom Himmel erhalten habe, die zweite
zählt die Reliquien auf, die im Knauf Durendais enthalten
gewesen seien: ein Zahn des heiligen Petrus und Blut des
hl. Basilius; Haare vom hl. Dionysius und ein Stück vom Kleide
der heiligen Marie. Ebenso wie die erste Strophe ganz zu der
Sinnesart eines weltlichen Dichters stimmt, der wahrscheinlich
selbst Kriegsmann gewesen ist, ebenso stimmen die beiden
andern nur zu der Denkweise eines Geistlichen.
Dasfelbe Verhältnis zeigt sich bei den meisten Wieder-
holungsstr. So enthält T. 5 inhaltlich nur dasfelbe wie T. 6.
Von einer Steigerung der Wirkung kann nicht die Rede sein,
sie ist total überflüssig und man könnte sich ihre Existenz gar-
nicht erklären, wenn beide von demselben Dichter herrührten.
~ 104 —
AJ>er es ist Tir. 6 vielmehr von einem Ueberarbeiter hinzu^
gefügt worden, der mit Namen prunken wollte und daher dem
li reis Marsilies out finet sun cunseill
Dist a ses humes etc.
eine Aufzählung der heidnischen Grofsen gegenüberstellte
Li reis Marsilies out sun cunseil finet
S'in apelat Clarin de Balaguer
Estramarin e Eudropin etc.
Dafs dieser Redaktor ein Geistlicher war und gelehrte
Bildung besafs, verrät sich durch den Namen Priamus, durch
das gelehrte senefier und das Fremdwort humilitet 1 ), und
schüefslich dadurch, dafs er die schlichte Bezeichnung der
Heiden ses humes einsetzt durch des plus feluns. Weitere
Beispiele dieser Art sind aus dem Anhang zu ersehn, wo ich
bei der Aufzählung der gelehrten Elemente immer kurz be-
merkt habe, Ob sie in einer Repetitionsstr. stehen.
Ich will noch über die andern Beispiele Dietrichs ein
Wort sagen. Er zeigt in längerer Ausführung 8 ) dafs die Tir.
i35 — 137 weder Volkslieder sein können, die ein Diaskeuast später
zusammengestellt hätte, noch die beiden letzten Varianten der
ersten. Vollständig unser Standpunkt; und sein Resultat? »Die
dritte Tirade setzt die zweite voraus, die zweite nicht geradezu
die erste« (S. 8).
Also: die beiden Wiederholungsstr. sind von einem Ueber-
arbeiter gedichtet. Ebenso habe ich für die Tir. 174 und 175
gemeinsame Beziehungen nachgewiesen und dies steht wieder
im Zusammenhang mit dem, was ich früher auseinandergesetzt
habe: x hat seine Bearbeitung in der Absicht unternommen»
das Volkslied von Roland zu verchristlichen, und benutzt grade
die Repetitionsstr. dazu, um Roland fromme Gedanken in den
Mund zu legen, die allerdings mit seinen andern Reden in einem
sonderbaren Kontrast stehen.
Festzuhalten ist ferner, dafs selbst wenn die eine Strophe
etwas vermissen läfst, was dann in der Wiederholungsstr. ge-
sagt wird, dies nicht das ursprüngliche Verhältnis gewesen zu
sein braucht. Das Alexiusgedicht bietet eine ganze Reihe von
1 ) S. darüber Exkurs.
») S. 7 f. a. a. O.
— 105 —
Beispielen dar, dafs der Ueberarbeiter die ursprüngliche Strophe
gekürzt hat, um den Gedanken einer Zeile in einer oder meh-
reren besonderen Strophen auszuführen und ich habe oben
schon derartige Beispiele gegeben.
Bei der ganzen vorliegenden Untersuchung habe ich mich
ausschliefslich der analytischen Methode bedient. Ich habe
gefragt: welche Vorgänge müssen wir voraussetzen, um die
Entstehung eines so komplizierten Gebildes, wie des Rolands-
liedes, zu erklären. Ich habe diese Kompliziertheit in ein
scharfes Licht zu setzen gesucht, vielleicht nach Anderer Mei-
nung in ein zu scharfes. Mancher wird geneigt sein, den einen
Widerspruch durch mangelnde Aufmerksamkeit des Dichters,
ein merkwürdiges Zusammentreffen verschiedener Verdachts-
momente durch Zufall zu erklären, aber trotzdem werden ge-
nug Dinge übrig bleiben, die ihre Erklärung gebieterisch for-
dern. Keineswegs vermag ich mich auf den Standpunkt des,
wie ich grade verschiedenen Angriffen gegenüber hervorhebe,
hochverdienten Gautier 311 versetzen, der in der gegenwärtigen
Fassung des Rol. une belle et profonde unite findet. Ein Gedicht
kann in verschiedener Absicht und mit verschiedenen Voraussetzun-
gen gelesen werden. Wer das Rolandslied nur des Genusses halber
in die Hand nimmt, wird recht daran thun, bei den schönen
Stellen zu verweilen und sich an diese vorzugsweise zu halten;
ist -er dazu ein Franzose, der die Vergangenheit seines Volkes
liebt und jedem Denkmal aus derselben Verehrung entgegen-
bringt, so kann es ihm leicht begegnen, dafs ihn die Schilde-
rung einzelner, wirklich erhabener Charaktere in Begeisterung
versetzt, seine Phantasie zu eigner Thätigkeit anregt und er
nun in seinem Geiste ein viel vollkommneres Ganze schafft,
als das vorhandene Werk. Ich bin soweit entfernt, gegen diese
Art des Lesens etwas einzuwenden, dafs ich denjenigen, der es
nicht vermag, in ähnlicher Weise dem Dichter nachzufühlen,
überhaupt nicht für fähig halte, litterarische Dinge zu beur-
teilen. Aber ein Andres ist die Aufgabe der Litteraturgeschichte.
Sie ist, wie ihr Name besagt, vor allem historisch; sie will der
Entstehung sowohl einer litterarischen Gattung als eines ein-
zelnen Gedichtes nachspüren und in diesem Betracht sind ihr
die schlechten Stellen wichtiger als die guten, indem sie den
Kontrast derselben zu untersuchen und festzustellen hat, ob er
— 106 —
so grofs ist, dafs er die Annahme mehrerer Dichter notwendig
macht Nicht darf dabei der Geist in einer solchen Höhe*
über dem Gegenstand schweben, dafs sich die Klüfte und Un-
ebenheiten des Bodens seiner Wahrnehmung entziehen.
Aus diesem Grunde ist auch Graevells Vorschlag, eine kritisch-
ästhetische Ausgabe des Rol. zu veranstalten, in welche nur
das aufgenommen werden soll, was unserm Geschmacke zusagt,
nicht annehmbar. Die Philologie hat zwar auch die Aufgabe,
soweit ihre Hilfsmittel im einzelnen Falle dazu ausreichen,,
dichterische Kunstwerke von späteren Flecken zu befreien, um
sie in ihrer ursprünglichen Reinheit wiederherzustellen. Aber
der Kritiker darf nicht selbst dichten wollen, sogar wenn er
eine dem Originaldichter ebenbürtige Fähigkeit besäfse. Es
würde auf diese Weise ein modernes, nicht ein Produkt der
altfranzösischen Zeit entstehen.
Auch was den Ursprung des französischen Epos anbetrifft,
vermag ich den bisher vorgebrachten aprioristischen Konstruk-
tionen keinen Geschmack abzugewinnen. Lachmanns Ge-
danken nicht verstehend, hat man auch für Frankreich eine
Liedertheorie ersonnen, die an den tatsächlichen litterarischen
Verhältnissen, soweit sie bekannt sind, nicht die mindeste.
Stütze findet. Oder sollen wir diese Frage überhaupt nicht
untersuchen, unsern Forschungstrieb etwa mit einer Auskunft
beruhigen, wie sie Dietrich genügt: im n. Jhd. wachte die
epische Dichtung wieder auf? Warum, durch welche Umstände
veranlafst, wachte sie wieder auf? Was war früher?
Excurs.
gelehrten nnd geistlichen Elemente im
Rolandsliede.
Die Unterscheidung von mots savants -und mots popu-
laires ist schon ziemlich alt, dieser Bezeichnung hat sich zuerst
A. W. Schlegel bedient. ') Aber erst in neuerer Zeit hat man
begonnen, den chronologischen Gesichtspunkt auf diese Frage
anzuwenden. Wörter, welche nicht zum ursprünglichen
Bestände der Sprache gehören, können natürlich nicht:
mehr an denjenigen Lauterscheinungen, welche sich vor
ihrem Eintritt vollzogen haben, teilnehmen, wohl aber
machen sie die später folgenden Lautwandlungen durch. Auf
diese Weise bilden die gelehrten Wörter, mit welchem Ge-
samtnamen man die von Lateinkundigen in die französische
Sprache eingeführten Wörter bezeichnet, mehrere Klassen, je
nach dem Datum ihrer Aufnahme in dieselbe und dement-
sprechend dem verschiedenen Grade der Assimilation. Zur
Unterscheidung dieser verschiedenen Schichten hat man sich
bisher mit Ausdrücken wie »halbgelehrt« neben »gelehrt« zu
helfen gesucht, aber diese sind nicht grade geeignet, Klarheit
in eine Sache zu bringen, über die ohnehin noch viele falsche
Auffassungen existieren. So behauptet Brächet, der sich mit den
gel. W. wiederholt beschäftigt hat und daher selbst von Diez
als Quelle citiert wird, dafs alle bis zum 12. s. in der franzö-
*) S. Diez Gr. 5. Aufl. S. 13t Anm.
- 108 -
sischen Sprache vorhandenen Wörter volkstümlich seien. ') Das
ist aber grundfalsch. Wirklich volkstümlich und daher regel-
mäfsig entwickelt sind nur diejenigen Wörter, welche vor dem
5. s. nach Gallien gekommen sind, so lange noch der leben-
dige Verkehr mit Rom dauerte und die französische Sprache
sich daher einheitlich entwickelte. Die gel. W. erfordern da-
her noch eine umfassende und erschöpfende Behandlung, die
ich an dieser Stelle nicht geben kann. Vielmehr beschränke
ich mich auf das Rolandslied.
Die gel. W. desselben sind bereits der Gegenstand einer
besonderen Dissertation v ) gewesen. Die Arbeit ist zwar im
Einzelnen sorgfältig und die gel. W. sind richtig erkannt, aber
der Verfasser weifs aus seinem Material nicht den richtigen
ScHlufs zu ziehn. Auf die Frage, ob die Zahl der gel W.
über den Bildungsgrad »seines Verfassers« einen Rückschlufs
erlaube, antwortet er (S. 42): »Ueberblicken wir sie, so be-
merken wir, dafs die meisten kirchlichen Ursprungs sind, ein
geringerer Teil, besonders die im letzten Abschnitt angeführten,
gehören mehr dem Kreise von Wörtern an, welche von Ge-
lehrten eingeführt wurden. Ob diese Wörter aber zur Zeit
der Abfassung des Rolandslieds dem Volk allgemein bekannt
gewesen seien oder nicht, .... das wird wohl schwerlich zu
bestimmen sein,« und er endet mit vollkommner Resignation:
»Also auch der Wortschatz des chanson de Roland kann uns
über den Bildungsgrad des Dichters keine genaue Auskunft
geben; es bleibt uns, wie vorher, in ein geheimnisvolles Dunkel
gehüllt.« Dabei ist das Wort »genaue« überflüssig, denn der
Autor hat gar keine Aussage über diesen Punkt gemacht.
Auch das »geheimnisvolle Dunkel« dürfte nicht so ganz un-
durchdringlich sein.
Zunächst lassen sich die beiden Klassen, von denen Flaschl
in so unbestimmter Weise spricht, ziemlich sicher scheiden.
Ich nenne die einen Lehnwörter, die andern Fremdwörter.
Unter Lehnwörtern verstehe ich solche, welche als Bezeichnungen
bisher unbekannter Dinge oder Vorstellungen mit diesen zugleich
in die Sprache hinübergenommen wurden, so lange diese
i) Brächet, grammaire historique, S. 71.
2 ) Flaschl, die gelehrten Wörter in der chanson de Roland, Neifae 1881.
- 109 —
noch in ihrer Entwicklung begriffen war. Daher konnten
sie sich noch dem vorhandenen Sprachgut, den Erbwörtern,
amalgamieren; sie haben je nachdem Datum ihrer Einführung
an einer oder mehreren Lautwandlungen, besonders an
den durch die Betonungssilben hervorgerufhen , teilgenom-
men. Fremdwörter dagegen stehen aufserhalb der Herrschaft
der Betonungsgesetze und sind daher dauernd unvolkstümlich
geblieben. Ein Wort, das eine andre Bauart aufweist, als die
gröfste Anzahl der in der Sprache befindlichen, verrät schon
dadurch allein, wie ich glaube unwiderleglich, dafs es nicht
im Volksmunde gelebt hat, der es sich sonst eben mundgerecht
gemacht haben würde. Dazu kommt, dafs die meisten Wörter
dieser Art durch ihre abstrakte oder technische Bedeutung sich
als dem Gedankenkreis des Volkes fernstehend kennzeichnen.
Wegen dieser beiden Eigenschaften ist wohl der Ausdruck
»Fremdwörter« für dieselben am bezeichnendsten. Sie sind
von den Mönchen, die in der ersten Hälfte des Mittelalters im
ausschliefslichen Besitze der Gelehrsamkeit waren, auf eine
sehr einfache Weise sozusagen fabriziert worden, indem man
von den lateinischen Wörtern nur die Endungen fortliefs,
Aufserdem aber ist ein grofser Teil kirchlicher Wörter
naturgemäfs schon durch die Einführung des Christentums,
die der Hauptsache nach ins 4. s. fällt, nach Gallien gekommen.
Diese unterscheiden sich durch nichts von der durch die Ein-
wanderung römischer Kolonisten entstandenen Sprachschicht
und sind daher, ohne weiteres den Erbwörtern zuzurechnen.
Für alle drei Fälle einige Beispiele.
Bei dem im Rol. mehrfach vorkommenden mustier (1750,
1881, 2097) aus monasterium (Kloster) können wir ziem-
lich genau bestimmen, wann dasselbe in die französ. Sprache
aufgenommen worden ist, da die ersten Klöster in Gallien
von Martin von Tours gegründet worden sind. Dieses Wort
befolgt nun noch das schon im Vulgärlatein vorhandene Ge-
setz, dafs n vor s ausfällt; folglich war dies Gesetz noch im
4. Jhd. in Kraft. Der Umstand, dafs das protonische a ge-
schwunden ist, ohne durch ein e ersetzt zu werden, was im
Französischen Regel ist, zwingt zu der Annahme, dafs das
Wort in der Form monsterium nach Gallien eingeführt worden
— 110 —
ist; dann auch nur ergab sich die Lautgruppe ns 1 ). Es ist also
ein durchaus volkstümliches Wort, das im Nfr. moutier fort-
lebt, während die von Flaschl angeführten altspan. monesterio,
ital. monisterio und monasterio, prov. monestier gelehrte Bil-
dungen sind.
Ebenso gehört zu den Erbwörtern evesque aus episcopus
(Bischof), da es mehrere Lautregeln *) befolgt, gegen keine
verstöfst.
Dagegen ist gelehrt und zwar ein Lehnwort penser. Zu-
nächst seiner Bedeutung nach, denn es hat ursprünglich den
Sinn von »nachdenken« (so nach RoL i38), spater scheint es
daneben auch den vulgaren »meinen, glauben« gehabt zu haben
(V. 354). Aber auch der Form nach; denn n vor s ist hier
erhalten, während das regelrechte aus demselben Etymon
pensare entwickelte peser, in den betonten Formen peiser V.
1279, 1687 etc. vorkommt und wie nfr. die Bedeutung »drücken«
hat. Ganz ähnlich verhält es sich mit conseil aus consilium
(Rat). Die korrekte Form coseil findet sich im Sponsus (V. 73),
wie auch coselier Ratgeber. Dagegen ist häufiger die gelehrte
Form conseil und conseiller mit erhaltenem n vor s. Es stan-
den also in der gebildeten und in der Volkssprache Frankreichs
conseil und coseil neben einander, wie in der Roms consul
neben cosul, das frühlateinische Inschriften bieten. In beiden
Fällen hat die Form mit con den Sieg davon getragen, wahr-
scheinlich weil die Anzahl der Wörter, wo auch in der Volks-
sprache con berechtigt war, den übrigen numerisch über-
legen war.
Zu den Lehnwörtern gehört auch diable. Der Vokal der
vorletzten Silbe ist hier ausgestofsen, aber das anlautende di
erhalten geblieben, während es sonst vor Vokal zu j wird, z.
B. in jusque aus diusque. Diese Regel ist so präzise durch-
geführt, dafs sich aufser diable und diacre (nfr. diacre, das re-
gulär entwickelt jaine hätte geben müssen) wohl kaum eine
andere Ausnahme von derselben aus der älteren Zeit wird
nachweisen lassen. Vielleicht darf man daraus schüefsen, dafs
1 ) Wenn dieselbe erst sekundär entsteht, fällt n nicht aus, z. B. finis giebt fr.
fins, nf. fin.
2) die beiden intervokalischen Tenues p sind zu v geworden, t zu e, und vor
Allem ist der Vokal der vorletzten Silbe, als in einem Proparoxytonon, ausgestofsen.
— 111 —
der Teufel überhaupt anfangs wenig populär gewesen und
erst spät bei der Heidenbekehrung Dienste geleistet hat. Denn
die übrigen Bezeichnungen, denen man in geistlichen Texten,
wie EuL, neben Diable begegnet, deu enemi (Feind Gottes),
satanas od. satan (Hindrer des Guten) haben einen gewissen
theologischen Charakter und man sieht nicht ein, wenn über-
haupt der Begriff des Teufels verwandt worden ist, warum
man für denselben eine Umschreibung gebraucht haben soll,
und nicht das vorhandene und leicht sprechbare Wort. Um-
schreibungen, wie die genannten, vergleichen sich damit, dafs
in afr. Texten für »Gott« auch »Schöpfer der Welt« und ähn-
liches gesetzt wird, wo man auch nicht behaupten wird, dafs
dies die volkstümliche Ausdrucksweise gewesen.
Fremdwörter begegnen uns nur in geringer Zahl in den
ältesten französischen Denkmälern (Eulalia, Leodegar, Alexius),
welche sicher von Geistlichen herrühren; hier noch untermischt
mit rein lateinischen Wörtern. Eine grofse Menge derselben
enthalten aber die beiden Uebersetzungen der Psalmen und
die der Bücher der Könige, welche in Hs. des 12. s. erhalten
sind, wahrscheinlich aber schon aus dem 11. s. stammen. Ge-
meinschaftlich all den bisher angeführten Texten sind Fremd-
wörter wie angele, aneme. Es ist schwer zu sagen, wie lange
das Gesetz vom Ausfall des Vokals der vorletzten Silbe in Pro-
paroxytonis ') wirksam gwesen ist. Sämtliche Wörter, die mit
Sicherheit als Erbwörter bezeichnet werden können, haben sich
ihm unterworfen, aber auch die Lehnwörter 1 ). Dagegen müssen
angele, aneme etc. lange Zeit Proparöxytona geblieben sein,
denn angele kann seinen g'-Klang nur erhalten haben, wenn
es noch e hinter g hatte, als g schon zu g' geworden war, was
wohl im 6. Jhd. geschehen ist, ebenso wäre in aneme die Gruppe
nm einem assimilatorischen Einflufs erlegen. 8 )
Ueber andere Arten von Fremdwörtern habe ich später
*) das den Sprachen Galliens eigentümlich ist und vielen franz. und provenzal.
W. ein von den entsprechenden der übrigen romanischen Sprachen so abweichendes*
Gepräge giebt .
*) Noch weniger kann der gelehrte Charakter zweifelhaft sein bei ymagene und
idle, die nur zur Bezeichnung von Götzenbildern gebraucht werden und sicher aus
der Bibelübersetzung entnommen sind. Zur Zeit des RoL sind allerdings alle diese
Proparöxytona schon Paroxytona geworden, wie die Reime 836 angle : hanste,
3664 tindrent : ydles, etc. beweisen.
- 112 -
zu sprechen und möchte hier nur eine Gattung derselben her-
vorheben, die mir nur in den Psalmen, den Büchern der
Könige und späteren Schriften begegnet ist, und bei welchen
es sich daher fragt, ob die Letzteren in ihrem Wortschatze
direkt von den Ersteren beeinflufst worden sind. Es sind dies
Abstrakta auf -on und -ion, welche die Uebersetzer, wie sich
leicht kontrollieren läfst, direkt aus ihren lateinischen Vorlagen
herübergenommen haben, weil es ihnen an einem entsprechen-
den französischen Ausdruck fehlte. Die Zahl dieser Wörter
ist ausserordentlich grofs. Hier Kndet sich z. B. tribulation
»Drangsal« (Oxf. 9, 9; Kön. I, 10, 9 etc.), das noch heute
seinen salbungsvollen Charakter bewahrt hat; generaciun
(Oxf. 9, 28 etc.), jubilaciun (Oxf. 88, i5), significaciun (Oxf.
5g, 4) u. a. m. Wie dieses Letztere an zwei Stellen des Com-
putus von Philip de Thaun (1688 und 1829) wiederkehrt,
so ist dies auch mit vielen anderen Wörtern der Fall, und
nicht nur bei ihm, sondern auch bei vielen seiner geistlichen
Zeitgenossen. Ja, diese W. dringen noch weiter und am Ende
des 12. s. und im i3. begegnen sie uns selbst in chansons de
geste. Daraus darf man nicht, wie Flaschl (S. 41) thut, den
Schlufs ziehen, dafs diese Wörter etwa schon im Volke üblich
gewesen wären, sondern es ist vielmehr zu vermuten, dafs die
Epen, in denen sie vorkommen, von geistlichen Redaktoren
Überarbeitet worden sind. Die von ihm selbst als Beispiele an-
geführten procession, surrection, ascension, redemption u. s. f.
haben doch einen so ausgeprägten kirchlichen Sinn, dafs, wenn
sie. überhaupt von Laien verstanden wurden, ein weltlicher
Dichter sie nicht gebraucht hätte.
Uebrigens haben wir auch ein ausdrückliches Zeugnis
dafür, dafs diese Fremdwörter noch im 14. s. kein Bürgerrecht
in der französischen Sprache erlangt hatten. Es ist dasselbe
in der Vorrede zum Lothringer Psalter enthalten. Dort be-
klagt sich der Uebersetzer, dafs die Volkssprache so unvoll-
kommen sei, dafs kein noch so tüchtiger Schreiber das La-
teinische ordentlich übersetzen könne, sondern er müsse dafür
sehr häufig die lateinischen Worte in korrumpierter Form ge-
brauchen (mais convient, que per corruptio et per diseitte
des mots franceis que en dit se lou roumans selon lou latin,
si'cum iniquitet "■ iniquiteit, redemptio = redemption, miseri-
— 113 -
COfctfä ä mteericofde & dkfsf ä€ malÄS e phiiötitts Äüftrtäl te&
mos q\M ä corfviei* atasi 4fre *A> fdiftaft* corittW <ä* dif tfh
latin.
Ich bin data* gezeigt anzunehmen, dafft die änfclohötf matt-
nischen Bibelübersetzungen aus dem Ende des h. 9. ebetWb
zw Grundlage einer französischen Schriftsprache gefwofd^n
sind, wie die Uebef setaung Luthers die deutsche tlgeht\kh äfct
geschaffen hat tHese Schriftsprache hat sich dann vörrriutTich
von England aus auch auf den Kontinent verbreitet Öenn es
konnte zwar jeder Lateinköndige Wörter dieser Art aus eige-
ner Initiative schaffen, so Viel er wollte, aber es wäre dies ein
unsinniges Unternehmen gewesen, da er nicht einmal sicher
sein konnte, dafs sie von allen seinen Berafsgenössefl Ver-
standen Würden. Bei der Bibelübersetzung jedoch lag, wie wir
gesehen haben, die Notwendigkeit vor, zahlreiche Entlehnungen
aus dem Lateinischen zu machen, und nachdem diese elrtmal
durch das Medium der vielgebrauchten Bibel einem gritäctoän
Leserkreise gelaufig geworden waren, konnte auch ein Ph? de
Thaun und Andere darauf verfallen, von diesen, besonders für
den Reiih sich bequem darbietenden Wörtern einen umfassen-
den Gebrauch zu machen. Eine umfassende Sammlung und
Datierung sämtlicher gelehrten Wörter*, wie ich sie oben als
wünschenswert bezeichnete, würde auch wohl darüber Aus-
kunft geben i ob nicht ein ziemlicher Bruchteil der in der
heutigen Literatursprache üblichen Wörter sich direkt auf die
alten Bibdlübersetmmgeri zurückverfolgen läfst
Im RoL nun verhält sich die Sache so, dafe Hunderte von
Versen ganz frei von gel Wörtern sind und einzelne Tiräden
dann mehrere derselben enthalten, teils solche, die immer
Fremdwörter geblieben sind, theils solche, die es gewife noch
am Ende de* ti. s. waren 1 . Dies hätte Fiasthl nicht entgehen
dürfen, und det damals Schallet Abhandlung über die Baligfcnt-
episode längst erschienen war, so hatte er sich die Frage ver-
legen müssen, wie skh in dieser Beziehung Bai. zu dem übrigen
RoL verhalte. Allerdinga hat ihn dieser Gedanke einmal leise
gestrebt, denn Wo er die Wörter affltetiun* confushin, öGcisiuti,
perdkkm bespricht (8,40), kann er es doch nicht unterlassen
anzumerken: »vier dieser Wörter begegnen uns also ^WOhi-ati-
fiüfig) in einem Stück von nur 700 Versen» ; wie man sieht,
3
— 114 —
hat er aber bald eine bequeme Auskunft gefunden. Die Wahr-
heit jedoch ist, dafs afflictiun und confusiun in derselben
Tirade und noch begleitet von den gelehrten Bildungen ymagene,
dragun und Caneliu auftreten. Ferner, dafs auch occisiuri und
perditiun nur durch 23 Verse von einander getrennt sind und
dafs schliesslich überhaupt nur noch zwei Wörter (avisiun und
defensiun) von gleichem Bau im ganzen Rol. vorkommen.
Das hätte denn doch ein etwas längeres Nachdenken verdient!
Ich habe schon im 2. Kapitel auf die religiösen Tendenzen
des Baligantdichters hingewiesen und hätte bei dieser Gelegen-
heit auch die von ihm gebrauchten gel. W. als Beweismittel
dafür ins Feld fuhren können, dafs dieses Stück nicht von
einem Volksdichter herrühren könne. Aber da ich auf diesen
Gegenstand im 3. Kap. hätte wieder zurückkommen müssen,
so habe ich, um längere Wiederholungen zu vermeiden, vor-
gezogen, ihn hier im Zusammenhang zu behandeln. Aufser-
dem wäre jener Beweis nur dann vollständig gewesen, wenn
gezeigt werden konnte, dafs aufserhalb Bai. sich keine gel. W.
im Rpl. fänden. Dies ist nicht der Fall. Aber ihre Anzahl und
Verteilung sind meinen früher geäufserten Ansichten recht
günstig. Denn sie treten aufserhalb Bai. nicht so zahlreich auf,
wie in Werken gelehrter Dichter, aber in hinreichender An-
zahl, um die Thätigkeit eines geistlichen Redaktors auch für
diesen Teil zu bezeugen, besonders dadurch, dafs sie nur an
einzelnen Stellen und dann mit einander und mit kirchlichen
Wendungen kombiniert auftreten. Der Unterschied zwischen
diesem Redaktor und dem Balingantdichter («) ist nur ein in-
dividueller. Beide sind aus derselben Bildungssphäre hervor-
gegangen, aber wie in Stil und Ausdrucksweise, so zeigt sich
auch im Gebrauche der Fremdwörter der Redaktor x als der
begabtere. Er gebraucht sie nur dort, wo ihm die Sprache
keinen anderen Ausdruck für seine religiösen Gedanken bietet.
.Dagegen greift «teilweise nur des Reimes wegen zu ihnen
und scheut selbst vor Mifsbildungen (wie omnipotente) nicht
L zurüek. Diese Geringschätzung der sprachlichen Form ergänzt
sehr gut das Bild des Stümpers, .das sich uns aus den sti-
listischen Eigenschaften der ihm zuzuschreibenden Partieen er-
geben hat
Da also die Stelle, an welcher die einzelnen gel. W. auf-
- 115 -
treten, von Wichtigkeit ist, so können dieselben hier nicht
nach ihren formalen Elementen geordnet werden, sondern .wir
müssen das Rol. der Reihe nach durchgehen und zugleich
mit den Fremdwörtern auch alle Namen und Redewendungen
notieren, welche ein gelehrtes oder kirchliches Aussehen haben.
Schon in V, i begegnet uns magnes als Zusatz zu nostre
emperere. , Es ist als gel. W. anzusehen, weil das Französische
magnus überhaupt nicht erhalten hat, sondern es durch granz
ersetzt. Es kommt auch im Rol. nur in Verbindung mit dem
Namen Karls, also Carlemagne (wie cfr. Carlemagne) (353,
2807 etc.), aber auch getrennt Carles li magnes 703 u. 3329 etc.
und wie hier als Zusatz zum Appellativum emperere vor. Es
ist daher die Wiedergabe des lateinischen Karolus magnus.
Dafs diese vor dem Rol. im französ. Volke üblich gewesen
sei, läfst sich deshalb nicht gut annehmen, weil die ursprüng-
liche Bezeichnung, der man in den sicher ältesten Tiraden be-
gegnet, li emperere ist (so V. 96, io3, 214 etc.) oder auch nur
Carles (i56, i58 etc.). Andererseits scheint dies Wort in der
gegenwärtigen Tirade schon etwas assimiliert, denn dieselbe
reimt wahrscheinlich auf a -+- palatalem n -f- e, so dafs un-
gefähr manje zu sprechen wäre. Dieselbe Tir. bietet noch in
V. 8 Apollin. Dadurch, dafs der Verf. desselben die Araber für
Polytheisten hält, die neben Mahomet noch Apollo verehren,
aber von Gott nichts wissen wollen, legt er von seinem ethno-
graphischen Wissen grade kein ehrenvolles Zeugnis ab; aber
mit diesem war es im Mittelalter überhaupt schlecht bestellt.
Und es wird doch schwerlich damals einem Anderen, als
einem Lateinkundigen, der Name Apollo bekannt gewesen
sein. An einen solchen zu denken veranlassen auch die später
vorkommenden Namen Priamus und Jupiter.
Priamus, das V. 65 enthält, steht wieder in derselben Ti-
rade mit dem Fremdwort humilitet. Dieses verletzt die Laut*
gesetze in mehrfacher Beziehung, es hätte hombletet heifcen
müssen; aufserdem ist die Bedeutung »Demut, Ergebung in
den Willen Gottes« geistlicher Natur. Ebenso werden sieb wohl
auch die beiden Formen cariset und chertet durch ihre Be^
deutung geschieden haben, indem das erstere, das lateinische
caritatem wiedergebend, die christliche Liebe und Barmherzig-
keit bedeutete, chertet dagegen^ eine Neubildung von eher
8*
- 116 -
liefe, Liebe,, Zuneigung schlechthin, — Dies« Tilade ist «ine
E^etMonsstropfee»
V. 408 W46J begegnet , palie «testndrin. Da der Handel
mit Aite*a**drie*i schon ia <&n ersten Jabrhundemtt dea Mittel
*feeff8' begann und besonders, feinere Stoffe voft dort bezogen
wurden, so tat ajexaqdria wahrscheinlich schon früher als
Ushpwon aufgenommen worden; Das regelwidrige x, das
intervQkaÜ3ch z\i i$ werden 3oJite, ist vielleicht auf die Rech-
nung des Schreibers zu asteen. ^
In , V. 555 ist eölumimet aus demselben Grunde, wie btf-
n>ai>i^t, ein Fremdwort, wi$ die ganze Wendung »Gott hat
ihn out solcher Tugend erleuchtet« durchaus biblisch fct. Auch
difl9-.faft.eki0 Repettfionsstfophe.
. V, 6ofj schwört Ganefon den Verrat auf die Reliquien
s#h&* Schwertes.
., P43 eijst^Fremdw.ort auf uo. favisiun) begegnet uns V. 73$
in def Erz^hiung qines Traumes; da später noch mehrte
Träumer folgen» $0 sollen diese suswunen betrachtet werden
£ft Qkicbfi gilt vjcxa V. 836.
;il Die Hede des Erzsbischofs, in Tir. 90 enthalt mehrer« Lehn-
Wörter* und zwau seemun* Predigt, die Wendung chuner sa
ödps seme Sünde beichten, welche ihrer Bedeutung nach ge-
lehrt sind, und rrartir (Märtyrer), welches es außh. dadurch, ist,
dftfo es y zu i statt u entwickelt hat; aufcerdem das Fremd-
wort penitwee Bufse. (auch Alex, uo, b)* Es. ist ohne weitere
zuzugeben, dftfs wenn der Dkhiier einen Erzbbchof eine An-
sprache toi. die« Soldaten halten liefs, dieser solche Ausdrücke
gebrauche® mttfate* Aber ist e« nicht dem ganaeo Charakter
4er Pichtung entsprechender, da& Roland seinen Kempe^
die nach dem Kampfe, lechzen, mit ' kureen Worten zuruft:
D^n ißi der Feind, der Siegt ist unser? Da* thut er audi in
dfiff torheigehendea Tirnde, wwwu' dann noch eine zweite Rbdc
döSn Erzhißßhjofe?, üjasne Vermutung, daft. diese eia späteBear
gieis|Jfcböc Zusatesfli, wird: dadurch gesichert, daf* C wohl
dte Btede Roland*, :(V.. a35— 438)> aber nicht« . die ; Turpins
Im U i4;5 der T. t*i> wenden die biblischen Namejr Datah
e^AfeiflWi<g*iianiit« .'ttterfcöDwitef es. fraglich seio^ ob dieselben
nicht td«ch:r«i0ßjgr(tfsere. Popularität gelassen haben* Mär
— 117 —
finden nämlich in einem jener mittelalterlichen Schulbücher;
die unter dem Namen ioca monachorum bekanrit sind/ 'und
zwar in demjenigen, das P. Meyer wiederholt') ediert hat, ab
41. Frage: Qui vivi sepolti sunt? Dathan et Abiron. Da das
Rol. noch andre biblische Anspielungen bietet, deren Kennt-
nis gleichfalls durch diese Büchlein vermittelt werden krotmtey
so ist die Frage, ob diese für weitere Kreise bestimmt Waren,
für unsern Gegenstand von Wichtigkeit. Sie erledigt sich ein-
fach dadurch, dafs sie in lateinischer Sprache geschrieben,'
daher dem Volke nicht verständlich waren* Daher ist die
Bemerkung von Wilmanns*) in Bezug auf diese. Schulbücher:
»sie können ihren Ursprung aus den gelehrten Kreisen* der
Geistlichen nicht verleugnen«, dahin zu erweitern »und
sie sind auch offenbar für den Unterricht von Geistlichen
bestimmt«
Der T. 97, die im übrigen *lt ist, ist als Uttt» -Zeile der
V. 1268
l'onme de lui enportet Satanas
angefügt Satanas ist nicht einmal zu den Fremdwörterh zu
rechnen, bei denen doch wenigstens die Endung beseitigt ist,
sondern einfach die aus dem Griechischem herübergenommene
lateinische Form, wie sie z. B. bei Tertulliän begegnet
Fraglich ist, ob ein sonderbarer Zusatz der T. 109 auf
Rechnung von x oder a zu setzen ist Der Erzbisdhof tötet
(i3go) einen Heiden namens SigloreL Dieser Name, den ein
Bearbeiter vielleicht Viglorel gelesen hat, muls ihn. an Virgii
erinnert haben. Er setzt als Erklärung hinzu
Fencanteur ki ja fut en enfer
Par artimalTi conduist Jupiter.
Dieser Zug kann nur von Virgii erzählt worden sein, der
im Mittelalter als encaffl&ur galt Es ist auch leicht begreiflich,
dafs man ihn die Unterwelt besuchen liefs, da Virgii selbst
dies von Aeneas erzählt, somit nur eine Ueberträgung einet
Erzählung auf eine andre Person stattgefunden hätte. Aller-
dings erwähnt Comparetti in seinem Buche Vergilio nel medio
evo diesen Zug der Sage nicht, was jedoch gegen seine Existenz
noch nichts beweist, und giebt auch dort, wo er von den Mo-
Romania I, 483 ff. und Recueil des anciens texte» I, 16 f.
— 118 —
tiveh spricht, die Dante veranlafsten, Virgil zum Führer durch
die Unterwelt zu wählen, nur allgemeine psychologische an,
während, wenn meine Vermutung richtig ist, dafs es eine der-
artige Volkstradition gegeben habe, es viel wahrscheinlicher
ist, dafs sich Dante an diese angeschlossen, wie er es in seiner
Beschreibung der Hölle gethan.
Diese beiden Zeilen werden nun von der Ks nicht wieder-
gegeben. Halten wir daran fest, dafs dieselbe wohl einzelne
Wörter, aber nicht ganze Sätze unübersetzt gelassen hat, so
sind sie als Zusatz von et anzusehn. Es ist dabei nur auf-
fällig, dafs «, der Virgil unter seinem richtigen Namen kannte
(V. 2616), auch die entstellte Form desselben gekannt haben
und sich nicht der Identität der beiden Namen bewufst ge-
worden sein soll.
Die Tir. 112 und 114 gehören beide, wie am Ende des
zweiten Kapitels gezeigt worden ist, dem Baligantdichter an.
Die erstere dokumentiert ihren gelehrten Charakter durch
vigur, das v£ur hätte geben müssen, und geste Francur, das
dem lateinischen Gesta Francorum entspricht. Genetive Plu-
ralis, wie Francur, sind nicht etwa in der Volksprache erhalten
geblieben, sondern kommen ausschliefslich in Verbindung mit
Substantiven in anderm Kasus und in gelehrten Werken vor:
so al tems ancienur im Alex., feste Pascor, im Rol. auch aufser-
halb der BäL: gens paienur (1019, 2427, 2639, 2694 etc.). T. 114
trägt im ganzen Ausdruck den Charakter einer Predigt und
weist das Fremdwort Innocent (die Unschuldigen, Seligen) auf.
T. 117 läfst sich bestimmt chronologisieren, da die Verse
1 523 Jerusalem prist ja par traisun
Si violat le temple Salemun
Le Patriarche ocist devant les funz,
wie Gautier mit Recht thut, nur auf die Gewaltthaten des Ka-
lifen Hakem im Jahre 1012 bezogen werden können, die ein
gewaltiges Aufsehn machten und die erste Veranlassung waren,
dafs sich die Blicke der Christen nach dem heil. Lande rich-
teten. Aber sie scheinen ein Zusatz zu sein, durch den Namen
Valdabrun veranlafst, denn die Tirade selbst ist alt und un-
entbehrlich. Dieser Zusatz enthält das Fremdwort Patriarche
mit erhaltenem t und Hiat i und die gelehrte Verbindung
~ 119 -
temple Salemun (Tempel Salomonis), während die Tirade selbst
von gelehrten Bestandteilen frei ist.
T. 124, Repetitionsstr., nicht in Ks, enthält wieder vigur
(wie T. ^12 und später T. 269).
In T. 126 ist Abismes, der Name eines Sarazenen, als
gelehrte Bildung aufzufassen, es soll wohl heifsen »der Ver-
worfenste«. Die Form abisme kommt statt abyssus (Abgrund)
im Oxf. Ps. mehrfach vor (z. B. 32, 6; 35, 6). Es ist eine Superlativ-
bildung nach dem Muster von Wörtern wie altisme (Oxf. Ps. 7, 8;
45, 4 etc.), das gleichfalls gelehrt ist und häufig zur Bezeich-
nung Gottes gebraucht wird. Geistlich ist auch Dieu le filz
Sainte Marie und herite (Ketzer), dessen Etymologie mir nicht
klar ist. Darf man ein heritus, verkürzt aus heriticus, denken?
In T. 127 zeigt wieder ein Zusatz (VV. i66i : — 64), der,
weil er in Ks fehlt, auf <* zurückgeht, die Vorliebe desselben
für Fremdwörter. Ametiste (1661) ist uns schon einmal im
Rol. begegnet, dort aber in der volkstümlichen Form matice
(c wohl gleich ss); es gab also eine solche, trotzdem gebraucht
« die unveränderte latein.-griechische. Dazu kommt (166 1) to-
pazes, gleichfalls unverändert, und esterminals, ein exterminalis,
das a sich selbst aus ex und terminus gebildet zu haben
scheint, »was alle Grenzen übertrifft, unübertrefflich«.
Der 2. Vers von T. 144 enthält ein Fremdwort auf ~ün
(defensiun); aber wie Ks bezeugt, gehört dies wie die übrigen
Wörter dieser Form dem Baligantdichter an. Ebenso ist T. 145
discipline sicher ein Fremdwort, und auch die Kenntnis von
Namen wie Kartagene und Ethiope ist wohl nur einem Ge-
lehrten zuzutrauen.
Die religiösen Gedanken häufen sich bei der Schilderung
von Rolands Tode. Es ist dies begreiflich, da ein Redaktor
eine Umarbeitung direkt zu dem Zwecke unternommen zu ha-
ben scheint, um Roland als Märtyrer sterben zu lassen. Schon
eine Wendung wie
Cest TArcevesque, que Deus mist en sun num
(in T. 168) würde ein weltlicher Dichter kaum gebraucht ha-
ben, und ein solcher würde nicht hervorgehoben haben, dafs
Turpin sich aufser durch seine kriegerischen Thaten auch
durch mult bels sermuns ausgezeichnet habe. Noch weniger
— 190 —
aber wÄrde er, wie in der folg. Tirade geschieht, Roland die
Worte geliehen haben
Hoi te cumant al glorius Celeste,
und Des les apostles ne fut mais tels propfaete,
in welchen beiden Versen nicht weniger als vier gelehrte
Wörter vorkommen.
Von der Repetitionsstr. iy5 habe ich schon in anderm Zu-
sammenhange gesprochen.
In Bezug auf das Gebet Rolands (T. 178) gilt das, was ich
schon früher gesagt habe. Ich glaube nicht, dafs der erst«
Dichter einen so kampfeatrotaigen Helden wie Roland Über-
haupt hat beten lassen ; diese Demütigung selbst vor Gott wider-
spricht diesem ungestümen Charakter und selbst wenn der
Dichter sich ihn fromm dachte, so hatte er keine Veranlassung
noch Absicht, dies in seinem Liede hervorzuheben. Betet
aber Roland einmal, dann ist es nicht zu verwundern, dafs er
sich liturgischer Formeln wie veire paterne bedient oder die
Wunder, die Lazarus und Daniel geschehn sind, erwähnt;
wobei noch am auffälligsten die Beibehaltung des re*urre*i$
(== resurrexisti) igt. Uebrigens kommt auch in den ioca
monachorum und zwar sowohl in den yen F, Meyer, als in
einem der von Wilmann* edierten Exemplare die Fr^ge vor
Qui seine! natus et semul (sepoltqs) m<$rtm*s ? worauf die Ant-
wort ist: Lazarus.
Wir kommen nunmehr an eine Stelle, die ich schon im
dritten Kapitel besprochen habe, nämlich wo Gott für Kar} die
Sonne stillestehn läfst. Ich will hier zu erklären suchen, wie
ein Mönch zur Einfuhrung dieses Wunders veranlagt werdet*,
konnte. Schon zu Karls des Grqfsen Zeit war die Tradition,
die sich über ihn in den Klöstern verbreitete 1 ), eine von der
weltlichen und der wirklichen Sachlage verschiedene. So be-
zeichnen die Annalen als Motiv, wetehe? Karl mm spanischen
Feldzug veranlafst habe, Eroberungslust (spem captendarum
quarundam in Hispania civitatuqn hqud fnutra coneipiens),
nach dem Astronorous dagegen laboranti Ecclesiae aub Sara-
cenorum acerbissim^ jugo, was der wirklichen Situation gar-
nicht entspricht. Es ist nicht zu bestreiten, dafe Karl ein fromr
— m* . ... ■ . ■
1 ) Hierüber belehrt eingehend das 2, Kap. von G. Paris, histoire po&ique de
Charlemagne, das den Titel führt l'histoire de Charlemagne dans 1'eglise,
— löl —
mßT Mann gewesen, dafs er Kirche und Mesaen regeJmäfeig
besucht und dein Papsttum wesentliche Dienste geleistet hat.
Aber diese wurden übertrieben; es wurde bald so dargestellt,
als ob er alle seine Kriege um der Kirche willen unternommen
und Gptt ihm deswegen beständigen Sieg verliehen habe.
Fromme Geschichten kamen Über ihn in Umlauf, van der Art
derer, mit welcher der Mönch von St. Gallen das ganze erste
Buch seines Werkes füllt, wahre und noch viel mehr erfun-
dene; und allmählich bildete sich die Meinung heraus, Karl,
wftre eine Art Heiliger gewesen, für den Gott viele Wunder-
thaten verrichtet habe; wie es das Hol. ausdrücklich sagt
2458 Pur Carlemagne fist Deus vertut muit grant.
Ein Mönch nun, der in der vita die, wieder beschönigende,
Wendung, denn die Annalen bieten ganz Entgegengesetztes,
fand, dafs die Feinde sich nach dem UeberfaU schnell hätten
verstreuen können: noctis beneßcio quae iam irotabat, protecti,
konnte leicht auf den Ausweg kommen, das Wunder, da»
einst Gideon geschah, sich wiederholen zu lassen* Die Feinde
fliehen? aber die Sonne bleibt stehen.
kar ü sojeü* est remes en estant;
Karl erreicht die Heiden und vernichtet sie vollstifcidig.
Aufeer dieser Wendung giebt es in demselben Abschnitt
noch mehrere andre Züge geistlichen Charakters. Es wird er-
#thit, dafs ein Engel mit Karl zy sprechen pflegte (*45a)i
ebenso später, dafs ein Engel an seinem Bette wacht ($5*8), es
werden wunderbare Geschichten von dem Schwerte Karls und
von der heiligen Lanze erzählt, mit welcher Christus auf dem
Kreuze durchbohrt wurde, es kommen Ausdrucke vor, wie qo
set Peus (3455) und mercit Deu (aSoJ), welche zu vergleichen
sind mit solchen wie Christo fautore oder Christo favente im
Astronomus. Es kann daher nach meiner Ansicht diese ganze
Stelle nur von einem Geistlichen herrühren.
Die Tätigkeit dieses Redaktor« hat sich bis T. 179, bis
wohin das C reicht, wie wir gesehn haben, auf die Interpo-
lation einzelner Verse oder Repetitionsstrophen beschränkt,
also im Wesentlichen nichts Neues gebracht Mit T. 180 be-
ginnt seine Produktivität, e r setzt die Erzählung zunächst da-
mit fort,£dafs Karl die Feinde y * Ttol g* und besiegt. Inzwischen
haben mehrere Grafen die Leichen der P* ir $ zu bewachen.
— 122 -
Karl kehrt dann zurück und läfst diese in Särge legen und
nach Frankreich bringen, um sie in Arles zu bestatten. Die
hier angedeutete Erzählung, welche den Rest des erhaltenen
RoL, mit Ausnahme von Bai., umfafst, macht den Unterschied
von Ks und C aus, ist also auf Rechnung des Redaktors x zu
setzen. Wir haben uns zu denken, dafs dieser seine Arbeit
in der Absicht unternahm, die schon vorhandene Tradition,
nach welcher Roland in Arles begraben liege, zu rechtfertigen.
Zu diesem Zwecke mufste, wie bemerkt, der ganze spanische
Feldzug als ein heiliger Kampf gegen die Ungläubigen, bei
dem es nicht an Wundern fehlte, dargestellt werden, Roland
selbst als Märtyrer; seine fromme Gesinnung, seine Ueberzeugung,
dafs er für den Glauben sterbe, mufste dokumentiert werden, was
Alles natürlich weit von der geschichtlichen Wahrheit entfernt
ist. Diesem Zwecke dienen auch die Träume Karls, die, ob-
wohl sie in C fehlen, wahrscheinlich schon früh vorhanden ge-
wesen sind, aber eine bedeutende Einwirkung im theologischen
Sinne erfahren haben.
Die ersten Träume Karls enthalten, ich greife hier zurück
und hole das nach, was ich des Zusammenhangs wegen bisher
unerörtert gelassen habe, die Tir. 57 und 58. Die erstere er-
zählt, dafs Karl in' der Nacht vor der verhängnisvollen Rats-
versammlung geträumt habe, dafs Ganelon ihm' seine Lanze zer-
breche. Dies ist einfach und klar. Die Lanze kann nur Roland
sein, sein Kämpe par excellence, die Waffe, die das ausführt,
was der alte Karl erdacht, und der Traum will besagen, dafs
Ganelon seinen Liebling vernichten werde. Ein solcher Traum
ist in hohem Grade volkstümlich, man wird sofort an den
Anfang der Nibelungen erinnert, wie es Kriemhilden träumt,
dafs zwei Adler ihren Falken (Sigfried) zerreifsen, und es ist
sehr wahrscheinlich, dafs das französische Epos diese künst-
lerische Art, eine ahnungsvolle Stimmung im Hörer zu er-
wecken und ihn auf das Kommende vorzubereiten, die sehr
weit absteht von jener Epigonenmanier, den Inhalt des Späteren
mit dürren Worten anzugeben, 1 ) gleichfalls der germanischen
Dichtung verdankt.
1) Vgl. z. B. V. 178 Guenes; vint, ki la traisun fist.
Des or cumencet le cunseil que mal prist.
3704 Des or cumencet li plaiz de Ganelun.
3740 Des or cumencet li plaiz e les nuveles
De Guenelun, ki traisun ad faite
3946 De» or cumencet l'ocisiun des altrea.
— 123 —
Der Überarbeiter x hat aber den Eindruck dieser wirklich
schönen Stelle total verdorben, indem er in der folgenden Tir.
einen anderen Traum hinzufügt. Dafs dieser ein späterer Ein-
schub ist, geht erstens daraus hervor, dafs (Tir. 68) Karl dem
Herzog Naimes nur von einem Traume und zwar den Inhalt
des ersteren erzahlt. Zweitens aber finden sich in dieser Tir.
mehrere Verse die fast wörtlich mit solchen der Tir. 188
übereinstimmen.
V. 725 Apres i ceste altre avisiun sunjat,
V. 2555 Apres i cele li vient altre avisiun.
V. 726 Qu'il ert en France a sa capele ad Ais
V. 2556 Qu'il ert en France ad Ais ad en perrun,
ebenso V. 728 » 2558; 729 = 255 1 etc.
Nun sind diese Verse dort, wie gezeigt werden wird,
besser an ihrer Stelle, indem sie ursprünglich unmittelbar der
Bestrafung Ganelons, auf welche sie sich beziehen, voraus-
gingen. Hier sind sie gänzlich unpassend und daher von einem
späteren Bearbeiter («) den andren nachgebildet.
Im Bericht über den ersten Traum (Tir. 68) ist derselbe
in eine göttliche Erscheinung, in eine Vision umgewandelt.
Das avisiun d'angele ist dabei so ungeschickt eingeflickt, dafs
die ganze Konstruktion darüber in Verwirrung geraten ist und
man ohne die originale Fassung in T. 67 zu Rate zu ziehn,
kaum herausbekommt, ob Ganelon oder der Engel die Lanze
zerbricht.
Dafs das religiöse Gepräge des Traumes unursprünglich ist,
geht auch daraus hervor, dafs der fromme Karl einer di-
rekten Weisung Gottes, die ihm widerriet, dem Vorschlage
Ganelons zu folgen, nicht den Gehorsam verweigert hätte. Und
dafs er, nach der Auffassung des ersten Rolandsdichters, die
Macht besafs, seinen Willen durchzusetzen, sehen wir an der
energischen Weise, wie er (in T. 18) Roland und Olivier
zurückweist und entscheidet:
li duze per mar i serunt jugiet.
Wie richtig dagegen, dafs er einem bösen Traum, einer furcht-
samen Regung nicht nachgiebt! Er ahnt, dafs Roland in diesem
Kampfe zu Grunde gehen werde, und kann es nicht verhindern,
dafs ihm bei diesem Gedanken die Thränen in die Augen
kommen (V. 773), aber er widersetzt sich doch dem dringenden
— 124 —
Verlangen Rolands, ihn ziehn zu lassen, nicht und am wienig-
sten greift er zu Bitten oder beruft sich auf den Traum. Dte
wäre Weiberart gewesen. Wahrhaftig, der Dichter unseres
RoL versteht sich auf psychologische Feinheiten nicht minder
gut als die Dichter der ältesten Nibelungenlieder, und er darf
es verlangen, dafe ihm nicht all das Schwächliche und manch-
mal Thörichte, das das gegenwärtige Rol. enthält, in die Schuhe,
geschoben wird. . „ • -
Dann begegnen uns Träume wieder in den Ttr. 186—188,
wie man sofort sieht, an ungehöriger Stelle. Was sollen sie
jetzt, da Roland und seine Begleiter längst tot und sogar schon
gerächt sind? Was. sie ursprünglich sollten, kann uns noch
gegenwärtig das Rol. sagen, wenn wir die nur löse aufgelegte
Decke voft ihm entfernen* . Die Tir. 186 bestand nämlich urspr.
nur aus den Versen
*5i3 Carle? se gist, mais doel ad de Rollant,
E d'Olivier li peis et mult forment
Des XII per*, de la franceise gent
En Rencevals (les) ad kissiet ....
Ne poet rauer n'en plurt e ne s' des mfcnt,
reimte also in ent, das Uebrige ist Tiradenanschub in ant 1 )
Die Besorgnis um Roland, die den Kaiser schon den Tag über
sehr gequält hatte (V. 8?3 f.), hat ihn auch in der .Nacht nicht
verlassen. Unruhige Träume, wie sie die VV. 2M9 ff. ent-
halten, lassen ihn nicht schlafen. Hier wird wohl gleich ge-
folgt sein, dafs er vom Lager aufspringt, zu Pferde steigt und
nach Renceval reitet, welchen Inhalt noch die VV. 2849—5410
wenig veränderter Form darbieten:
Li reis se drecet st a . • . . . ses armes,
Si se , • . . par tute Thost li altre.
Puis. sunt muntet par grant vertut chevalchent
Cez veies lunges e cez chemins mult larges
Si vunt vedeir le merveillus damage
En Rencesvals 14 ü fut la bataille.
Daran schliefst sich unmittelbar
*) V. 2516 ist in der Redaktion a durch die Ueberarbeitung zerstört worden
er lautet in O
en Rencesvals ad laissiet morz . . .
Der Name RoManz kommt auch ia en-Tiraden vor (vgl T. 25).
— 125 —
2398 Li Empererr en Rencesrals parvietit
II nen i ad ne veie, ne sentier
Ne vuide ttrre, ne alne, ne plein pied,
Que il n'i ait o Franceis o paien etc.
Dieser Traum hatte also urspr. eine praktische Bedeutung
für die Komposition; er unterrichtete Karl von der Bedrängnis
der Seinigen und veranlafste ihn, nach Rencevais zurückzu-
kehren, wo allerdings die Franken schon gefallen sind; aber
dodh wenigstens -von ihm bestattet werden. Er mufe ako schon
früher dagewesen sein, als die Erzählung vom Hörn, die dtin*-
selben Zwecke dient. Nachdem diese aufgenommen und in
ergreifender Weise ausgeschmückt worden war, war er über-
flüssig geworden '). Der Bearbeiter * brachte ihn jedoch an
eine andere Stelle und verwertete ihn für seine Tendenz, indem
er dem Ganzem einen frommen Anstrich gab.
So wurde zunächst T. 1S6 dahin umgeformt, dafs Karl
mn Rolands und der Übrigen himmlisches Heil besorg« ge-
wesen wäre, indem hinzugefügt wird
E priet Deu, qu'as anmes seit garant
Dann wurde die folgende Tirade*) mit reichen Zusätzen ver-
sehn.
Diese stellt in ihrer gegenwärtigen Fornf ein solches Gs-
wirr dar, dafs sie dadurch und ihre ungewöhnliche Länge die
Unursprünglichkeit derselben allerdings aufs Schlagendste dar-
thue, aber die Auflösung des Knotens und die Aufzeigung des
Ursprünglichen, wo um die andern Ueberlieferungen im Stich
lassen^ in hohem Grade schwierig macht.
Ich vermute, dafs der älteste Bestandteil die Verse sind
2539^-41
Fruissent cez hanstes de cez trenchanz espiez
Cruissent osberc e eist helme d'aeier.
En grant dulur i veit ses Chevaliers.
Das ist einfach, klar und der Situation angemessen* Dazu ge-
hört vielleicht ursprünglich noch
.»-+—
. i) C hat um viellaicht gar nicht mafcr. ü* »etatr Yoriaget grfunde* und «ptirift
ihn deswegen, nicht. Sollte sein Verf. aus eigener Initiative dieses störende Motiv
«a^eläaMA haben, so macht dies die Voraussetzung eines* sehr gHickHcben DngeÄhrs
<*d*r die, «ine* VarstBkeas in die.K^i^l^sitwö'seHief 'Vorlafp.ftftÜMg, zto dacC, spaat
keine Veranlassung bietet.
? ) welche die Träume selbst enthalt.
- 126 -
V. 2546 E Franceis crient : Carlemagnes, aidiezl
Dann kam der Kleriker und fügte die W. 2532 — 38 hinzu.
Diese haben ganz den Charakter einer Vision und erinnern
durch wörtlichen Anschlufs an Joh. Offenb.;
Zunächst VV. 2533 34
veit les tuneires e les venz et les giels
e les orez, les merveillus tempiers
an »und da geschahen Stimmen und Donner und Blitze
und Erdbeben. Und es war ein Hagel mit Feuer und Blut
gemenget und fiel auf die Erde (Kap. 8, 5 und 7);
Dann V. 2535 36
E fous e flambe i est apareillez
Isnelement sur tute sa gent chiet,
»und machte Feuer vom Himmel fallen vor den Menschen«
(12, i3) »den Menschen heifs zu machen mit Feuer (16, 8).«
Die W. 2537 38, in denen gesagt wird, dafs die Lanzen
auch von dem Feuer ergriffen werden, nehmen sich sonderbar
neben der ursprünglichen Angabe (V. 25g3'4o) aus, dafs die
Lanzen im Kampfe zersplittern.
2542 Urs e leupart les voelent pois mangier
und 2549 devers un gualt unz granz l£un li vient
enthalten noch Anklänge an Jeremias 5, 6:
»Darum wird sie auch der Löwe, der aus dem Wald
kommt, zereifsen, und der Wolf aus der Wüste wird sie
verderben, und der Pardel wird auf ihre Städte lauern; Alle,
die daselbst herausgehn, wird er fressen.« Ich will auch
hier nicht behaupten, dafs der Dichter diese Stellen grade vor
sich gehabt und nach ihnen seine Schilderung verfafst
habe, aber sie waren ihm geläufig, vielleicht als Reminiszenzen
aus Predigten, wie denn der angeführte Vers aus Jerem. schliefst
»Denn ihrer Sünden sind zu viel, und bleiben verstockt in
ihrem Ungehorsam«. Dafs sie aber nicht mittelbar zu dieser
Schilderung gedient haben sollen, dazu ist die Ueberein-
stimmung zu grofs.
Diese Form der Tirade sollte noch nicht bleiben. Zunächst
füg«te , d. h. derjenige Redaktor, welcher die Bestrafung Gane-
lons erzählte, die T. 188 ein, welche deutliche Anspielungen
auf dieselbe enthält. Der Bär, den Karl an zwei Ketten ge-
fesselt hält, ist Ganelon, der in Fesseln gelegt worden war;
- 127 —
die 3o Bären, die ihm zu Hilfe kommen, seine Verwandten,
die später mit ihm getötet werden. Ein Windhund (Tieny)
kommt zu Karls Hilfe herbei und greift den Gröfsten unter
ihnen an — Pinabel.
Aber auch a liefs sich die Gelegenheit nicht entgehn, zur
Anknüpfung der Baligantschlacht etwas zu thun, denn die
Verse 2525 — 3i sind, wie auch avisiun, anunciet, senefiance,
demustrat zeigen, unzweifelhaft von seiner Hand und die
Schlacht, von der 253o die Rede ist, keine andre als die Ba-
ligantschlacht.
Es stellen also die Tir. 187 und r88 eigentlich mehrere
Repetitionsstrophen dar und durch die übliche Vermischung
des Alten und Neuen sind sie fast unverständlich geworden.
Ich vermesse mich auch nicht, sie jetzt ganz durchsichtig ge-
macht und ihre Geschichte im Einzelnen genau dargelegt zu
haben, sondern* würde eine einfachere Lösung mit Freuden
begrüfsen. Aber überraschen darf uns das Vorhandensein ein •
zelner solcher komplizierter Stellen nicht, wenn, wie als that-
sächlich erwiesen gelten kann, die verschiedensten Hände am
Rol. gearbeitet haben.
Aus den litterarischen Verhältnissen der damaligen Zeit
wird man auch begreifen, wie die Ks, obwohl sie die Bai. und «
VR ') nicht enthält, doch diese Tiraden in ihrer gegenwärtigen
Form aufnehmen konnte, die, wie Dönges mit Recht behauptet,
Anspielungen auf diese Teile enthalten. Da sie in der ersten
Hälfte des i3. Jhd. abgefafst ist, so wird ihre Vorlage kaum
aus früherer Zeit, als aus dem Ende des 12. s. stammen. Da-
mals war die Fassung mit Bai., wie die überwiegende Anzahl
der franz. Hs. darthut, die verbreitetere, und nur im Süden hatte
sich, wie ich wahrscheinlich zu machen gesucht habe, die ältere
Form erhalten. Wenn auch der Schreiber von k (franz. Vor-
lage von Ks), ebenso wie von L (Lyon) mit Rücksicht auf
diese, Bai. und VR den Eintritt verweigerte, so übersah er
doch, dafs die angeführten Tiraden Anspielungen auf diese
Fortsetzungen enthielten, und nahm sie daher in seinen Text
auf. Ks a)>er, die Bai und VR. überhaupt nicht kannte, wufste
garnicht, was sie mit den 3o Bären anfangen sollte, und er-
laubte sich daher die einzige Änderung, welche wir ihr nach-
1 ) die Bestrafung Ganelons (vengeance Roland).
- 128 -
weisen können, und die ich im ersten Kapitel besprochen
habe.
Damit sind wir an der Schwelle von ßal. angelangt. Idi
kann mich von jetzt ab kürzer fassen, da ich Manches schon
vorausgenommen habe. Besonders erinnere ich an meine Be-
merkung, dafe die* gelehrten und geistlichen Elemente in Bai.
nufr an bestimmten Stellen und zwar in denjenigen Tiraden
auftreten, welche eine notdürftige Verbindung mir der Haupt-
er Zählung herzustellen suchen, was mich veranlafst anzunehmen,
dafs Bai. urspr. ein selbständiges Gedicht gewesen ist. Die
Ueberteitungsst. 189/90 enthalten die geLW.sceptfeund(cambre)
voftice. Wörter auf itia haben volkstümlich esse ergeben, folg-
lich mu&te man voltesse erwarten. Dieselbe Verbindung
(cambre voltice) kommt nur noch an einer Stelle des ftol. vöf,
die gleichfalls « zugeschrieben werden mufs (3992).
Die folgende Tirade (191) enthält dann eine ganze Anzahl
gek W. antiquitet, chrestientet, auref, ydles und Vergilie und
Homer. Damit, dafe der V. 2616, der diese beiden Namen
enthÄh, nicht in den übrigen Hs. steht, ist noch nicht einwiesen,
dafs er, wie Müller annimmt, ein Zusatz des Schreibers von O
ist, sondern er kann ganz gut in * gestanden haben. Schon
V und nocfr mehr die jüngeren Hs. erstreben den Reim; die
vorausgehenden und folgenden Zeilen eignen sich zu einem
Reim auf <£, Homer stört denselben, folglich können sie aus
diesem Grunde, wie öftere geschehen ist, den V. 2616 aus-
gelassen haben. Aufserdem pafst dieser Vers ganz gut zum
vorhergehenden. Bäligant wird als ein Uralter (li vielz cfanti-
qtrhet) dargestellt und * wählt als Beispiel Virgil und Homer,
die ihm die bekanntesten Namen aus dem Altertum waren.
: Der grobe Anachronismus, der darin liegt, dafs er einen Gegner
Karls des Grofsen in diese fremde Zeit versetzt, ist nicht
schlimmer, als wenn er von einem andern Heiden erzählt, dafs
Jupiter ihn in die Unterwelt geführt habe.
Verbindungsstr. sind ferner 19& und 197, wo die Boten
des BaHgant an den Hof des Marsäies kommen. Hfer findet
sieh das Fremdwort confusiun und die gelehrte Verbindung
gent paiemnv Audi (palais) altisme ist eine- gelehrte Supern
latirbildürtg; zu vergleichen mit seinrismetn f. 17R -
Dafs der erste Einschub von Bai. bis 2848 geht und V. 2845 ff.
— 129 —
Tiradenänschub sind, wie ich im 2. Kap. dargelegt habe, wird
gewissermafsen dadurch besiegelt, dafs am Ende von V. 2848
das Fremdwort signacle steht.
In T. 214 sind mehrere kirchliche Ausdrücke gebraucht,
die zum teil volkstümliche Entwicklung zeigen, verdächtig ist die
Menge derselben. Ein Laie würde schwerlich zwischen evesque,
abez, munies, canunies, pruveires, curunez unterschieden haben.
Aufserdem sind mirre und timonie Fremdwörter und erinnern
an die Art, wie der Leichnam Christi behandelt wurde.
In Tir. 217 heifst es vom Kaiser Karl 2998 Recleimet Deü
e l'apostle de Rome. Ich glaube, dafs hier nicht etwa an
Petrus, sondern an den Papst zu denken ist, der auch im
Alex, so bezeichnet wird. Ist dies der Fall, so ist diese Stelle
besonders beweiskräftig, denn nur ein Mönch konnte so hoch-
färtig sein, Karl zum Papste beten zu lassen.
Die Tir. 237 ist besonders mit Fremdwörtern gespickt.
Sie soll zeigen, dafs der Admiral seinen Heidengöttern treu
anhing, die ihm aber trotzdem nicht helfen konnten. Deswegen
läfst er die Standarten Tervagans und Mahum herbeibringen
und ymagene Apollin le felun und spricht dann folgenden ser-
tnun: wer von den Göttern Hilfe erwarte, solle ihnen dienen
mit afflictium. > Man sieht: die gelehrten Ausdrücke sind an un-
passender Stelle gebraucht. Die Franzosen antworten:
De vus seit hoi male confusiun. Unser Gott beschützt
Karl und in seinem Namen soll diese Schlacht entschieden
werden.«
T. 262 enthält eine disputatio zwischen Karl und Bali-
gant, wie sie in Werken von Geistlichen, z. B. auch im Ps.-
turpin, öfter zwischen Heiden und Christen vorkommen. Der
Moment ist recht ungünstig gewählt. Denn sie sind im hef-
tigen Zweikampf begriffen, noch die vorhergehende Tirade
schlofs
Ceste bataille ne poet remaneir unkes, , k
Jusque li uns sun tort i reconoisset,
da ist es doch undenkbar, dafs die beiden Todfeinde den Kampf
unterbrechen, um die Sache gütlich beizulegen. Auch ist der
Ausdruck ganz verfehlt. Der Admiral sagt zu Karl: »kar te
purpense, überlege Dir die Sache doch«, so spricht man zu
einem Sohn oder Bruder; auch das viens me servir d'ici en
— 130 —
Oriente hat hier keinen Sinn und ist nur Wiederholung aus
V, 401- Tut conquerrat (Karl) dici qu'en Orient. Oriente ist
eine im Französischen unerhörte Sprachbildung, ebenso das
rei omnipotente. Diese beiden Wörter sind ebenso des Reimes
wegen entstellt, wie derselbe in T. 237 den Gebrauch von ser-
mun, afflictiun und confusiun veranlagt hat.
T, 266 ist eine Bramimundestr. Die Königin erscheint hier
mit ihren clere e canonie und wieder wird bemerkt, dafs diese keine
Weihen (ordre) empfangen haben und keine Tonsuren tragen.
Vgl das zu T. 214 Gesagte. Als Marsilies die Niederlage der
Seinigen vernimmt, wendet er sich zur Wand und stirbt. Gautier
bemerkt dazu: il est Evident que Tauteur du Roland a pens£ ä
ce celebre passage d'baTe oü Ton voit le roi Ezechias, frappd
d'Ufie maladie mortelle, se tourner vers k muraille pour prier
Dieu et fondre en larmes : Et convertit Ezechias faciem suam
ad ptrietem (== vers la pareit se turnet) et öravit ad Deum
(im frana. Texte wenigstens pluret des oilz 1 ) (Isaias 3^ 2). Ganz
richtig bis auf den auteur du Roland. Denn da Gauti$r selbst
diesen für einen Laien hält, wie sollte er eine derartige Chat-*
kenntnis besitzen, dafs sie in seinem Werke zum Ausdruck
käme? Also: ein geistlicher Bearbeiter. Charakteristisch für
ein^n solchen ist auch die logische Schlufsform:
3646 Si cum pecchiez Pencumbret,
L'anme de lui as vife diables doftet.
**Öa ihn ja die* Schuldenlast bedrückt, so mufs er in die Hölle«,
welche der sonst im Rol. üblichen parataktischen Verbindung
der Sätze nidrt entspricht.
• ' Auch T. 268 bietet mehrere gelehrte Ausdrücke ydie, bap-
tistiriej eunvertir. Besonders interessant ist das Wort sinagoge.
Ich vermag dasselbe aus <ter Bibel nicht nachzuweisen, anderer-^
seifö kt doch kaum anzunehmen, dafs ein Nichtgelehrter das
griechische Wort, selbst wenn er es von den in Frankreich
lebenden Juden entlehnt hätte > so richtig wiedergegeben hätte.
Die Bai. schMefst mit T< 269» In dieselbe eingeschoben
s*Jtöiritn die VV. 368o^43. Einmal, weil Bramimunde unver-
mlwölt iuf tritt, dankv wfeil, wie ich schon im zweiten Kap.
ausgeführt hafe&, zwischen 3683 und den folgenden Versen
a> es steht übrigen« schon im nächsten Vers: »und Hlskia weinet« sehr.«
- 131 *-
Personenwechsel eintritt. Der Einschub bietet das Fremdwort
vigur; über den übrigen Teil der Tirade habe ich schon. anderr
weitig gesprochen.
Es folgen die Aldastrophen und das Gericht über Ganelon,
von denen ich ausgeführt habe, dafs sie früher vorhanden
waren und vom Kompilator « aufgenommen worden sind. Auf
« selbst sind nur noch die Schlufstiraden zurückzuführen,
So scheint schon in T. 289 der Schlufsvers
Des or cumencet l'ocisiun des altrcs,
des Fremdworts ocisiun halber, von seiner Hand hinzugefügt
zu sein. Ferner rührt wohl T. 291 in ihrer gegenwärtigen
Fassung von ihm her, denn es bietet perditiun. Und T. 29a
ist sicher von ihm, weil sie von Bradimunde handelt. Wenn
auch frei von Fremdwörtern, ist ihr ganzer Charakter geistlich
und geistliche Bedeutung haben auch die sermuns und es-
samples.
Von der nachfolgenden Tir. meint Müller, dafs sie nicht
mehr zum Rol. gehöre, dafs sie vielmehr von einem gelehrten
Ueberarbeiter verfafst sei. Da ich nun einen solchen für das
ganze Rol. in Anspruch nehme, so habe ich keine Veran-
lassung, ihm nicht auch diese Tirade zuzuschreiben. Wie seine
ganze Thätigkeit nach meiner Auffassung darin besteht, dafs
er verschiedene eh. de geste, die mit Karl dem Grofsen in
Verbindung stehen, kompiliert, und wie er schon das Rolands-
lied, die Aldastrophe und die Baligantschlacht, die ursprünglich
von einander unabhängig waren, vereinigt hat, so wollte er
wahrscheinlich auch den Sachsenkrieg hinzufügen und diese
Tir. bildete dazu eine ähnliche Überleitung wie die T. 189/190
für Bai.; dann aber brach er ab, durch welche Umstände ver-
anlagst, läfst sich nicht angeben, vielleicht ist er inzwischen
gestorben. Von der Schlufszeile glaube ich, dafs sie nicht von
seiner Hand, sondern von einem Schreiber herrührt. Denn
wer mitten in der Tirade abbricht, wird doch kein Schlufswort
anfügen, das mit derselben in gar keiner Verbindung steht.
Dagegen hat der Schreiber sich zu entschuldigen, dafs et
hier plötzlich abbricht, und er thut dies mit den Worten ci
falt la geste, hier hörte meine Vorlage auf. Geste hat hier
den gewöhnlichen Sinn von eh. de geste und wenn an anderen
Stellen unsres Gedichtes (wie 3262) dies nicht der Fall ist,
9«
— 132 —
vielmehr dort geste Francur die Wiedergabe eines lateinischen
gesta Francorum ist, so ist zu bedenken, dafs diese Verse nicht
von derselben Hand stammen und zwei verschiedene Leute
auch einen verschiedenen Sinn mit diesem vieldeutigen Worte')
verbinden können.
Das Wort decliner wird gewöhnlich intransitiv gebraucht,
im Sinne von »sich neigen, zu Ende gehen, untergehen«, so
vom Abend
Rol. 2447 Quant veit li reis le vespre decliner
und 707a Tresvait li jurz, declinet la vespree,'
und von der Sonne im Computus V. 446 und 2646. Dies kann
hier nicht der Fall sein, da es ein Objekt bei sich hat. Viel-
leicht ist deshalb an die schulmäfsige Bedeutung des lateinischen
Wortes zu denken: ein Substantivum deklinieren, nach seinen
Kasus verändern, variieren, und der Schreiber, der, wie wir
aus dem ganzen Verse sehen, nicht übermäfsig geschickt sich
auszudrücken weifs, hat mit dem Verse sagen wollen: Hier
hört die geste auf, die Turoldus bearbeitet hat. Danach wäre
Turoldus der von uns postulierte Kompilator «. Da die ge-
lehrte Namensform auf einen Geistlichen deutet, und unser
Kompilator ein solcher gewesen sein mufs, so ist dies nicht
unwahrscheinlich. Welcher aber von den bekannten Männern
dieses Namens unser Turoldus gewesen ist und ob er sich
überhaupt mit einem derselben identifizieren läfst, das bedürfte
einer eignen Untersuchung.
Ich lasse, der Bequemlichkeit halber, ein alphabetisches
Verzeichnis der geL W. des Rol. folgen. Das in Klammern
Stehende deutet an, wodurch sie sich von den regelmäfsig ent-
wickelten Wörtern unterscheiden.
acutniniet (Erhaltung des Vortonvokals) V. 386o, vgl. Als. 52 b.
afflictiun (et statt it, 4silbig) V. 3272, vgl. Als. 72 c, Oxf. Ps.
i3, 21. Kön. II, 16, 12,
alexandrin (x statt ts) V. 408, 463.
altisme (i statt e) V. 2708, vgL Oxf. Ps. 7, 18 (= dei altissimi).
') das noch aufserdem (V. 788) »Familie bedeutet
*) vgl. Gesta Francorum, das bekannte anonyme Geschichtswerk des 7. s., Gesta
Romanorum etc. .
— 133 —
angk (tauis lange Proparoxytonon gewesen sein, sonst hätte
es aindle ergeben) V. 2262, 2393, 2528 etc.; 3 silbig geschrieben,
Als. 18c, 122b, Oxf. Ps. 8, 6, Kön. II, 14, 17 etc.
anetne (s. angle) V. 1^48, 2898 etc.
anüquüet (Erh. d. Vortonv.) V. 261 5.
anunciet (4 silbig) V. 2529.
apostle (p intervokal, erh.) V. 2255, 2998, vgl. Comp. 920, 976.
avisiun (5 silbig) V. 725, 836, 253i, 2555, vgl Kön. II, 7, 17.
baptiziet (pt erh.) V. 3671, 3981, 3g85.
baptistirie (pt erh.) V. 3668, vgl Comp. 41, Kön. II, 22, 17.
cherubin (Vortonv. erh.) V. 23g3, vgl. Oxf. Ps. 17, 12; 79, 2.
clerc (c erh.) V. 3637-
confusiun (4silbig) V. 2699, 3276, Oxf. Ps. 34, 3o, Kön. I, 2, 53.
criminel (Vortonv. erh.) V. 2456.
cristal (y hatte u geben müssen) V. 1263, 2296 etc. Oxf.
Ps. 147, 6.
culpe (Bedeutung »Sünde«) V. 2239, 2364, 2369 etc., vgl. EuL 21.
defensiun (4 silbig) V. 1887, vgl. Oxf. Ps. 21, 20.
diable (di vor Vofc. erh.) V. 746, 983, 3647. vgl. Eul. 4, Oxf.
Ps. 90, 6 etc.
discipüne (Vortonv. erh.) V. 1929, vgl. Oxf. Ps. 2, 12.
dragun (g erh.) V. 2543, 3266, 333o etc.
ducs u. duc (c statt i) V. io5, 243, 378 etc.
enhtminet (Vortonv. und Bedeutg.: »[Gott hat ihn] erleuchtet«)
V. 535, vgl. Comp. 429, 445, Oxf. Ps. 26, 1.
esterminal (ex-terminalis? Vortonv. erh.) V. 1662.
grifun (i statt u) V. 2544.
humüitet (Vortonv. erh.) V. 73, vgl. Als. 6a, Oxf. Ps. 9, i3 etc.
idle (s. angle) V. 2619, 3664, vgl. Comp. 134, Kön. I, 3i, 9;
III, n, 2 etc.
imagine (Proparoxytonon) V. 3268, vgl. Oxf. Ps. 72, 20; 96, 7.
Kön. I, 19, i3 u. 16.
innocent (lat. Präfix; Vortonv. erh.) V. 1480, vgl. Oxf. Ps. 9, 3o.
magne (= Karolus magnus, g erh.) V. 1, 3329, 36n.
martir (i statt u) V. 1 1 34.
martirie (i statt u) V. 591; 965, 1166, vgl. Comp. 543, 829.
mauste (i statt u, intervok. t erh.) V. 638, 166 1.
tnirre (i statt u) V. 2958.
ocisiun (4silbig) V. 3946, vgl. Kön. I, 4, 10; 5,g; 14, i5 etc.
— 134 —
ofrende (Bedtg. — offerenda) V. 386 1; vgl Kön. I, 2, 36; io, %
H, 6, 17.
omnipotente (Erh. des Vortonvok., das intervok. t) V. 3599.
paterne (t erh.) V. 2384.
patriarche (t erh.) V. i525.
penitence ( Vorton v. erh.) V. n 38, vgL Als. nob.
penser (n vor s erh.) V. i38 etc. vgl. Kön, I, 20, 26 etc.
perdtikm (4silbig) V. 3969, vgl. Öxf. Ps. ip6, 20.
Principal (Vortonv. erh.) V. 3432, vgl. Oxf. Ps. 5o, 7, Comp. 2798,
prophete (t intervok. erh.) V. 2255, vgl. Oxf. Ps. 73, 10; 104, 14.
reliques (qu erhalten) V. 607, 2345.
resurr exis (die ganze Form [= resurrexisti] unfranzösisch)
V. 2385.
satanas (t erh.) V. 1268, vgl. Kön. II, 24, 1.
sceptre (Fehlen des Vorschlages) V. 2585.
science (Fehlen des Vorschlages) V. 3oo3. vgl. Oxf. Ps. I, 18, 2.
sinagoge (i statt u, Vortonv, erh.) V. 3662.
topaze (p intervok. erh.) V. 1661,
vieler ie (et statt it) V. 36 12, vgL Comp. i55g.
vigur (i statt e; g erh.) V. 1438, 3683.
y
Inhalt.
. » . . - ■ ■
.-,-■-- Seitc
Einleitung. ............."....... 1
I. Das Verhältnis der französischen Handschriften zu ein-
ander und zu den ausländischen Ueberlieferungen ... 8
Prüfung der Stammbäume Gautiers, Försters, Ram-
beaus und Müllers. Eigene Untersuchung: Umarbeitung
oder Abschrift; Wertbestimmung der ausländischen
Ueberlieferungen für die Kritik.
II. Die nächste rekonstruierbare Vorstufe der französischen
Handschriften 42
Die Unursprünglichkeit der Baligantepisode wird nach-
gewiesen
a) durch das gemeinschaftliche Fehlen von Bai. in
Ks., C und T;
b) durch den mangelnden Zusammenhang von Bai.
mit der Haupthandlung;
c) durch starke Widersprüche zwischen beiden.
Ks. repräsentiert eine ältere Version und man kann
mit ihrer Hülfe eine frühere Stufe des Rol. rekon-
struieren. Beispiele.
III. Bemerkungen über die älteste Gestalt des Rolandsliedes
und die Entstehung der Zusätze 69
Dreierlei macht die Existenz eines Rol. im 9. Jahrh.
wahrscheinlich :
a) das Rol. beruht nicht auf schriftlichen Quellen,
sondern auf mündlicher Ueberlieferung. Diese
erhält sich nicht durch Jahrhunderte so rein, wie
dies in Teilen des Rol. der Fall ist;
b) Zeugnisse von Schriftstellern für das Vorhanden-
sein von Cantilenen. Diese können nur epische
Gedichte historischen Inhalts und werden der
älteren deutschen Volksdichtung sehr ähnlich ge-
wesen sein. Vermuthung ihrer Entstehung aus
kleineren Dichtungen anderen Inhalts;
— 136 -
Seite
c) im Haager Frg. ist uns eine eh. de geste des
10. Jhd. erhalten. Hier ist der epische Stil schon
ausgereift, daher sind die Anfänge in eine frühere
Zeit zu setzen.
Inhaltlich zeigte das erste Rol. nur geringe Ab-
weichungen von den historischen Ereignissen. Die
späteren Zusätze sind teils Ausflüsse einer geistlichen
Gesinnung, teils aus dem Streben nach genauerer
Motivierung entstanden. Das Interesse am Detail Über-
wuchert und bringt Repetitjonsstrophen hervor. Dieser
Vorgang noch beim Alexiuslied deutlich sichtbar..
Schlufs.
Excurs: Die gelehrten und geistlichen Elemente im Rolandsliede 107
Druck vuu O. Bernstein in llet-liu.
1
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